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Kunstberichte
Kunst am Berg – der Weg von der romantischen Distanz zur Einbindung des Menschen in die Natur

Felder der Kunst auf hohen Bergen

Die 
menschliche Figur setzt Antony Gormley als einsame Gestalt in die Natur.
 Foto: epa/Ennio Leanza

Die menschliche Figur setzt Antony Gormley als einsame Gestalt in die Natur. Foto: epa/Ennio Leanza

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Aufzählung Landschaftskunst als Erinnerung an vorchristliche Kulte.
Aufzählung Menschliche Körper und Riesenhasen bevölkern die Bergwelt.

Wien. Ein Soldat aus Schottland gilt als anonymer Vorläufer einer Verbindung von Berg und Kunst: Er baute in der Zeit von 1939 bis 1945, also lange bevor Land-Art und Arte-povera erfunden waren, eine Steinstraße über mehrere Berge. Erst rund zweieinhalb Jahrzehnte später folgten die Eckpfeiler der Kunstgeschichte: Richard Longs Steinkreissetzungen auf Bergen, Robert Smithsons "Spiral Hill", Dennis Oppenheims "Branded Mountain" und Walter de Marias "Lightning Field" in einem Hochtal.

Seit über dreißig Jahren feilt Lichtkünstler James Turell an seinem "Roden Crater" in Arizona, einem Observatorium im Schlund eines Vulkans. Beat Wyss spricht im Zusammenhang mit der dem Publikum dabei abverlangten ästhetischen Pilgerreise vom Schüren religionsnaher Empfindungen. Die minimalistische Land-Art der ersten Generation ist mit den großen Gefühlen des Erhabenen beschäftigt. Den Besuchern verlangen diese Markierungen in einsamer Berg- und Wüstenwelt laut Wyss "Geognostik" und meist "pietistische Askese" ab.

Mythische Kräfte

Zur Erinnerung an erste kultische Steinsetzungen der Megalithkulturen, an künstliche Kultberge wie Zikkurat oder Pyramide, integrieren diese Werke die meditative Praxis einer Kultprozession zur Besichtigung. Auch Performerinnen wie Rita Furrer haben noch in den achtziger Jahren die mythische Kraft der Berge im Zusammenhang mit urzeitlichen Mutterkulten für feministisches Publikum in kultischer Verschleierung beschworen.

Christo als Vertreter der "Nouveau Réalistes" holte mit seinen Schirmsetzungen in Kalifornien und Japan in den Achtzigern weiter aus: Seine textilen Landschaftslinien zitieren weniger Kultisches als vielmehr die chinesische Mauer. Diese galt zwar ehedem als Schutzwall gegen Norden, wir sehen sie heute allerdings als monumentalstes Kunstwerk, das über unzählige Berge führt und sogar noch aus dem All sichtbar ist.

Mit der erhabenen Ästhetik der Land-Art will alpine Kunst in den letzten Jahren nur noch wenig zu tun haben. Die Künstlergruppe Gelitin versetzte 2005 den 60 Meter langen und 6 Meter hohen rosa Wollhasen "Hase/Rabbit" mit Strohfülle auf einen Berggipfel im Piemont – voraussichtliches völliges Verfallsdatum: 2025.

Der englische Bildhauer Antony Gormley wiederum macht den Paradigmenwechsel mit seinem "Horizon Field" im Gebirge Vorarlbergs über Stuben, Zürs, Lech bis Schopperau 2010 bis 2012 verständlich. Zwar kann der Hinweis auf die vom Menschen nahezu aufgebrauchten Ressourcen der Natur und eine damit im Umbruch befindliche Gesellschaft in diese Kunstwerke am Berg hineingedacht werden, aber im Grunde ist die Setzung der hundert Eisenabgüsse von Gormleys Körper eine Demokratisierung der Beziehung von Skulptur, Außenraum und Beobachter.

Serielle Anonymität

In Gormleys neuer Kunst auf dem Berg geht es nicht mehr um denkmalhafte Setzung. Eine Gesamtsicht über 150 Quadratkilometer ist schließlich nicht möglich. Die offenen Naturräume sind besonders geeignet für das Integrieren von Kultur in die Natur. Im Winter können die Figuren von Schifahrern und im Sommer von Wanderern gesehen werden, deren über die Objekte streichende Hände werden sie zusätzlich verändern. Das Gusseisen wird rosten, die verschiedenen Wetter bieten so viel Abwechslung wie die serielle Anonymität auf 2039 Metern Höhe, im Abstand von 60 Metern bis zu einigen Kilometern.

Die je 630 Kilogramm schweren Figuren sehen einander nicht an, sie blicken alle in die Landschaft. Gormley interessiert die Frage nach der Rolle des Menschen in der Evolution – der Blick zurück in die Kunstgeschichte bis zur Frühzeit ist daher auch in Werken der Postmoderne nicht auszuklammern (siehe Kasten). Im "Guardian" nannte der Künstler Anfang September "Horizon Field" die Erfüllung eines Wunschtraums, der nun das größte Projekte für ihn und das Kunsthaus Bregenz geworden ist.

Groteske und Philosophie

Das Teamwork zahlreicher Besitzer – von Gemeinden, Vereinen, Bauern, Bergsteigern, Jägern, Förstern, dem Bundesheer und den Kulturverantwortlichen – ist tatsächlich einmalig. Es gibt bereits eine Fotoaktion im Internet, einen Dokumentationsfilm, und auch Zeitungen haben die wertneutrale Koexistenz von Kunst als Verortung in einer sozialisierten Naturlandschaft mit positivem Interesse aufgenommen.

Bei Gelitin 2005 war der Akt der Setzung subversiver, und der Vergänglichkeitscharakter des gestrickten Riesenhasen mit leidend geöffnetem Maul, bösem Blick und herausquellenden Eingeweiden war ein bedrohlicher Faktor. Wie stets ist für die exzessive Boygroup das Groteske zwischen der Lieblichkeit eines überdimensionierten Spielzeugs in Rosa und jenem handwerklich Komischen zum absurden Ausdruck verbunden, was emotionale Empfindungen über die vernunftdiktierte ästhetische Reaktion stellt. Heute ist das Rückerobern der Natur über die Kunst bereits fortgeschritten.

"How low can you go" war das Motto einer anonymen Künstlergruppe 2008, die mit der Androhung des Austauschs von Gipfelkreuzen in Halbmonde in Guerillataktik einen populistischen Politiker bewusst in die Medienfalle lockte. Die Aktion, mit der Chinas Künstler Ai WeiWei Alpinisten am Dachstein massiv verärgert hat, war die Verpflanzung eines Felsbrockens aus dem chinesischen Erdbebengebiet Sichuan unter den Gipfel zur "regionale 10". Er kam per Schiff und Helikopter, nachdem er 2008 in der Provinz Sichuan auf ein Dorf gefallen war – die Spannungen Natur-Kultur sollen hier spürbar werden wie die Baumängel bei staatlichen Bauten, denen 5000 Schüler zum Opfer fielen.

Der Rückweg ins Aufzeigen des Erhabenen gewalttätiger Natur trotz sozialen Engagements ist für die Kunstphilosophie des (fernen) Ostens erstaunlich, der Brocken entbehrt jedenfalls einer von Gormley integrierten "Korpographie" als humanes Maß im Bezug auf die Natur.

Aufzählung Kunst am Berg

(bbb) Nach den kultischen Steinsetzungen der Megalithkulturen und den Götterfiguren für Tempel in der griechischer Hochstadt (Akropolis) war das erste Kunstwerk auf einem Berg nur ein Entwurf: Dinokrates, Hofarchitekt Alexander des Großen, wollte einen Riesen ins Athosgebirge setzen. Der Koloss sollte Alexander darstellen, mit einer Stadt für 10.000 Einwohner im angewinkelten linken Arm und einem Becken mit Wasserfällen in der Rechten. Eine kleine Nachahmung ist die mit einem Hügel verwachsene Figur des "Apennin" von Giambologna im Renaissancegarten der Villa Medici in Pratolino. Im Barock überlieferte Johann Bernhard Fischer von Erlach in Wien die Idee in einem Stich.

Davor haben von China bis Afghanistan in Henan, Sichuan, Gansu oder Bâmiyân monumentale Buddhastatuen heilige Berge geschmückt. Wie man kürzlich erforschte, war auch hier Dinokrates Vorbild. Wesentlich spätere Nachfahren sind die vier amerikanischen Präsidentenköpfe, die Gutzon Borglum 1924 bis 1938 in den Mount Rushmore in South Dakota einmeißelte. Mit der Romantik begann der Kult um Berge, Eis und Schnee als letzte Wüsteneien, was sich in der Malerei von Caspar David Friedrich bis zur kristallinen Struktur der Expressionisten und in die Objekte und Performances der Land-Art fortsetzte.

Ab 1970 findet sich die ökologische Ethik in der Kunst wieder. Damit entdecken europäische Künstler die durch die nationalsozialistische Heimatideologie aus ihrem Bereich verdammten Berge neu.



Printausgabe vom Mittwoch, 13. Oktober 2010
Online seit: Dienstag, 12. Oktober 2010 17:18:00

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