Salzburger Nachrichten am 31. Mai 2006 - Bereich: Kultur
Die leidige Produktwahrheit HERBERT GIESE
Irgendwie ist er ja rührend, der Kunstbericht 2005. Rot und dick und
bemüht. Durchweht von Beamtenfleiß und doch auch bewunderungswürdig. Denn
man spürt, hier wird ernsthaft gearbeitet. Sowohl was die Kunstförderung
selbst betrifft als auch im peniblen Auflisten derselben. Erstaunlich ist,
was alles gefördert wird, erstaunlich, aber auch beruhigend. Ein
Kulturland definiert sich nun einmal auch über seine
Förderungsbereitschaft. Freilich kommt er mit enormer Schlagseite daher, dieser Kunstbericht.
Wie ein havarierter Donaudampfer, um Haltung bemüht, aber nur bedingt
manövrierfähig. Diese seine Schlagseite resultiert aus einer grotesken
Disproportionalität. Man stelle sich vor: Die Förderungen für all das, was
in Österreich neuschöpferisch unternommen wird - in der Bildenden Kunst,
in der Architektur, im Design, der Mode, auf dem Gebiet der Neuen Musik,
der Darstellenden Kunst, des Films und der Medienkunst, der Fotografie,
der Literatur und des Verlagswesens - all das wird mit 84 Millionen Euro
subventioniert. Allein die Bundestheater und die beiden großen Festspiele
hingegen bekommen 141 Millionen. Bevor jetzt die zuständigen Direktoren empört hochschnellen und für
ihre Pfründe zu kämpfen beginnen, gleich die Versicherung: Diese
Förderungen sind angebracht, wünschenswert und notwendig. Sie sollen gar
nicht zur Diskussion gestellt werden. Aber - eines sollen sie nicht: Im
Sinne einer Produktwahrheit in den gleichen Topf wie die Kunstförderung
geschmissen werden. Denn so aufregend und brillant sein kann, was im Burgtheater und der
Staatsoper (vielleicht auch wieder) in der Volksoper und der Josefstadt,
in Salzburg und Bregenz passieren mag, so wenig hat das mit
neuschöpferischer Kunst zu tun, mit Avantgarde und Experiment. Auch wenn
manche Regisseure avantgardistisch daherkommen. Als Schlachtrösser des
Kulturalltags, die vom Renommierten leben - von den vergangenen
Jahrhunderten, vom Bewährten und Geprüften, ab und an von zahnlos
gewordenen Staatskünstlern - gehören sie in einen anderen Stall. In den
Stall der Wirtschaft, dorthin jedenfalls, wo vom Kulturland-Sein am
meisten profitiert wird. Kurz: Der Wirtschaftsminister und niemand anderer
sollte diese Förderungen budgetieren, und Gerechtigkeit wäre
hergestellt. Herr Morak wäre plötzlich reich und könnte einiges mehr tun zur Mehrung
der Chancen Österreichs, auch in fernerer Zukunft als Kulturland zu
gelten. |