Salzburger Nachrichten am 11. Juni 2005 - Bereich: kultur
"Ziegelsteine" in der Leere

Die Biennale von Venedig, eine Mischung aus Eurovisions-Song-Contest und Olympischen Spielen, ist immer wieder ein Fixpunkt im Betriebssystem Kunst.

MArtin BeHr berichtet aus Venedig Kunst kennt keine Grenzen, die Sprache der Kreativen ist transnational. So weit, so naiv, so rührend. Und dann lädt alle zwei Jahre die Biennale von Venedig zu einer Schau, in der die Nationen ihre Kunstschaffenden zum Zwecke des kulturtouristischen Amüsements und der Marktwertsteigerung Werke ausstellen lassen. Auch jene, die diesen Umstand kritisieren, kommen an Venedig nicht vorbei. Bisweilen belächelt, aber stets gut besucht ist diese internationale Kunstschau alle zwei Jahre. Die diesjährige Biennale wird heute, Samstag eröffnet. Hinein also in den üppig wuchernden Garten der Kunst!

Vor diesem hat der Lokalmatador Fabrizio Plessi ein spekulatives Monument, ein Boot in Stelenform aufgestellt, wo via Bildschirm Meereswellen von oben nach unten plätschern. Um einiges prägnanter ist der unmittelbar angrenzende albanische "Pavillon", ein an Ku-Klux-Klan-Maskeraden erinnerndes (Geister-)Objekt. Gespenstisches Flair prägt auch den traditionell originellen Island-Pavillon, die von Björk-Musikvideos bekannte Gabriela Fridriksdottir entführt über Zeichnungen, Skulpturen, Video und Musik in die Mystik und Sagenwelt ihres Heimatlandes.

Keine Experimente wagen die Schrittmacher der Westkunst: Während es an der "Course of Empire" benannten Vorher-Nachher-Gemäldegalerie von Ed Ruscha im USA-Pavillon kaum einen Makel gibt, ist das Stammhaus der britischen Kunst mit neuen Arbeiten von Gilbert & George fast penetrant gefüllt.

Mehr Platz zum Ausruhen für Augen und Seele ist im rumänischen Pavillon: Daniel Knorr belässt die vom Verfall geprägte Architektur so, wie sie ist. Das ist ein zynisches Arte-Povera-Readymade, welches auch auf (westliche) Armutsklischees Bezug nimmt. Statt einer Ausstellung verschenkt Knorr 910 Seiten starke "intellektuelle Ziegelsteine": Gedanken und Bilder zur Zeit unter dem Motto "European Influenza".

Getanzt wird im deutschen Pavillon. Das liebenswerte und bewundernswerte Aufseherpersonal bewegt die Hüften und singt "This is so contemporary!" Unweit davon werden die Besucher in Gespräche über Marktwirtschaft verwickelt. Dieser von Tino Sehgal betriebene Aktionismus wirkt insgesamt aber aufgesetzt und lenkt von den übrigen Arbeiten ab.

Im Domizil der Dänen lässt Anarcho-Clown Peter Land ein trauriges Kinderpaar mit einem Ball spielen. Das Video der Kanadierin Rebecca Belmore stellt auf eindringliche Weise die Gleichung Feuer + Wasser = Blut auf.

Korea hat Mini-Menschen im Glassturz (Ham Jin) und noch einige Überraschungen zu bieten. Der Japaner Ishiuchi Miyako thematisiert (fast schon zu) drastisch die letzten Lebensjahre seiner Mutter.

Israel, besser gesagt: Guy Ben-Ner gibt zweckdienliche Hinweise für die Fertigung eines ungewöhnlichen Holzbaumes. Der ungarische Bildhauer Balazs Kicsiny bespielt den Pavillon seiner Heimat mit erzählerischen Installationen: Skifahrer begeben sich auf eine "Winterreise", im "Pumpenraum" trinken Taucher aus Kelchen, was als Anspielung auf die maritimen Probleme der Lagunenstadt zu werten ist.

Starke Akzente setzen die Niederlande und die Schweiz: Die coole Quasi-Sitcom "Mandarin Ducks" von dem Künstlerduo Jeroen de Rijke und Willem de Rooij besticht durch Süffisanz und Klarheit, das eidgenössische Quartett Gianni Motti, Shahryar Nashat, Marco Poloni und Ingrid Wildi handelt gesellschaftspolitische Fragen in unterschiedlichen Zugängen unpeinlich ab.

Auf der Außenwand des Schweizer Pavillons prangt ein Straßenschild: "Viale Harald Szeemann." Ein schöner Tribut an den renommierten, kürzlich verstorbenen Ausstellungsmacher und Kurator.