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25.11.2003 - Kultur&Medien / Leute
Interview: "Berühren, halten und herumschieben"
Louise Bourgeois über "Das verschlossene Kind" im Wiener Freud-Museum.

Heute, Dienstag, eröffnet das Wiener Freud-Museum in der Ausstellungsreihe "Außenansicht" im ehemaligen Geschäftslokal der Fleischhauerei Kornmehl eine Installation der 1911 in Paris geborenen Louise Bourgeois: "Das verschlossene Kind". Die "Presse" erreichte die Grande Dame der zeitgenössischen Bildhauerei per E-Mail in New York.

Die Presse: Ihre Kindheit und die Erinnerung daran sind Hauptbestandteil Ihres Werks. Wie ist Ihre Beziehung zu Sigmund Freud?

Louise Bourgeois: Meine Erinnerungen sind meine Dokumente. Sie müssen verstehen, meine Arbeit beschäftigt sich mit Problemen. Es gibt Dinge, die in der Vergangenheit passiert sind, die ich nie bewältigen konnte und die mich heute noch beeinflussen. Die Psychoanalyse führt mit der Zeit zu den Wurzeln dieser Probleme. Meine Arbeit ist meine Psychoanalyse. Die Psychoanalyse ist ein verbaler Prozess, und dieser scheint bei mir nicht zu funktionieren. Ich muss meinen Körper involvieren, der physische Vorgang des Machens einer Skulptur ist wichtig.

Einige Ihrer Skulpturen für das Freud Museum zeigen Kinder, die in Betten liegen. Sie wirken einsam und ängstlich. Was ist der Hintergrund für diese Inszenierung?

Bourgeois: Eines der Elemente der Arbeit ist ein marmornes Kind, in einem Bett liegend. "Das verschlossene Kind" ist jemand, den ich kenne: mein Sohn Alain. Er ist verspätet geboren worden, und ich frage mich, ob seine Verschlossenheit nicht daher kommt. Ist da etwas, das er gefühlt hat, dass ihn davon abgehalten hat, aus meinem Bauch heraus zu wollen? Wie viel von dem, was wir sind und fühlen, ist einfach unser Schicksal? Und wie viel davon resultiert aus unserer Beziehung zu dem "Anderen"? In "Das verschlossene Kind" habe ich versucht, das zu verstehen. Obwohl mich dieses Thema immer schon interessiert hat, ist es die erste Skulptur, die diese Gefühle ausdrückt.

Wie erklären Sie sich das im Vergleich zur männlichen Konkurrenz schwere Standing der Frauen am Kunstmarkt - obwohl die meisten Kunststudenten weiblich sind?

Bourgeois: Ich glaube, dass Künstlerinnen nicht anders wahrgenommen werden als Frauen in anderen Berufsgruppen. Es gibt eine Ungleichheit, aber der Graben schließt sich.

Viele Künstlerinnen konzentrieren sich auf die noch nicht so besetzten Neuen Medien.

Bourgeois: Mich interessieren Video oder Film nicht, sondern das Greifbare, das ich berühren kann, halten und herumschieben.

26. 11. bis 29. 2. 2004, täglich 0-24 Uhr; Eröffnung: Wien 9, Berggasse 19, 25. 11., 16 Uhr.

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