Wiener Zeitung · Archiv


Kunstberichte

Galerien live

Bach macht wach

(cai) Hört sich verdammt nach Regietheatereinfall an. Was denn? Womöglich eine Stubenfliege, die verzweifelt an den Spinnweben zerrt und währenddessen mit barocker Inbrunst eine Bachkantate jodelt? Nein, keine Fliege, aber immerhin eine Gefängnisausbrecherin, die singt die Kantate. Freilich säbelt sie dabei keine Gitterstäbe durch. Ach, ich fang’ lieber noch einmal von vorn an: Kleider machen Leute. Punktum. Nachthemden machen ja auch Großmütter (sonst wär’ das Rotkäppchen doch nie auf diesen transvestitischen Wolf reingefallen).

Clarina Bezzola hat nun, kostümiert als Stewardess, also in der vertrauenerweckenden Uniform einer fliegenden Kellnerin, Hausbesuche gemacht und diverse Kleidungsstücke abgeholt (die bekanntlich ein gutes Gedächtnis haben, sich den Achselschweiß merken und die Wunden, die der Cockerspaniel ihnen zugefügt hat). Diese Spenden hat die Geburtszürcherin allesamt an Ärmeln und Hosenbeinen zusammengenäht und als Gewanddschungel in einen Raum der Krinzinger Projekte gespannt. "Die Gesellschaft" muss das wohl sein. Oder das penetrante Über-Ich (diese WG aus Normen und Verboten).

In den gestreiften Pyjama mit der Aufschrift "Ich" (eine modische Sträflingsuniform – oder einfach die Tracht der Schläfer?) hat sich Bezzola während der Eröffnungsperformance selber reingezwängt. Zuerst raunzt sie tüchtig. Auf Kisuaheli. Ach nein, das ist Schwyzerdütsch (ist eh fast dasselbe). Dann kommt sie in die Pubertät. Ihr Ego kämpft mit dem . . . nennen wir’s "Altru" (nach dem Ismus). Und während sie alles niederreißt, singt sie besagte Bachkantate: "Ich habe genug" (woraus sie vorher den Jesus gründlich entfernt hat). Das mit dem Ein-bissl-sterben-Müssen am Ende hab ich zwar nicht wirklich verstanden (denn wie meinte schon Toni Polster: "Also, entweder voll oder ganz!"), doch insgesamt war’s ergötzlich, professionell sowieso und wenigstens nicht peinlich.

Krinzinger Projekte
(Schottenfeldgasse 45)
Clarina Bezzola
Bis 13. Oktober
Mi. bis Fr. 15 bis 19 Uhr
Sa. 11 bis 14 Uhr
Sehr "psychologisch".

-----

Glücklich ist, wer pi...

(cai) Natürlich werden diese Nörgler wieder quengeln: "Das ist Schwulst. Reine Pinsel-, oder eigentlich: Besen -Rhetorik. (Mit dem Haarpinsel sind diese "heroischen" Formate ja nicht mehr zu bewältigen.) Muss denn der Herbert Brandl immer auf die Pathosdrüse drücken?" Die wissen das eben nicht zu schätzen, wenn sich die Farbe dreieinhalb Meter in die Tiefe stürzt. Mich hat das Wasserfallbild ja so beeindruckt (Joseph Anton Kochs "Schmadribachfall" ist ein Männeken Pis dagegen), dass ich bereits einen leichten Druck auf der Blase verspürt habe und dem bombastisch rinnenden Blau flüssige Ovationen bereiten wollte. Und die Kirschblüten erst, die er "energisch ätherisch" hingepeitscht hat! Tja, was soll ich machen: Ich steh halt auf sowas.

Galerie nächst St. Stephan
(Grünangergasse 1)
Herbert Brandl
Bis 3. November
Mo. bis Fr. 11 bis 18 Uhr
Sa. 11 bis 16 Uhr
Wuchtig.

-----

Trunkene Treppen

(cai) "Ma" – aber da fehlt doch die Hälfte. (Als würde man sagen: "Pa" oder: "Bla.") Falsch. Das ist Japanisch für "dazwischen". Aha, deshalb diese Treppen (die ja zwischen zwei Etagen vermitteln). Übrigens mit "rauschigen" Stufen, die hin und her schwanken. Norio Kajiura (der gern Holz als Bronze verkleidet) weicht die Strenge seiner Skulpturen behutsam auf (mit japanischer Selbstbeherrschung). Subjektive Geometrie quasi. Charmante Objekte. Die Papierarbeiten von Stephan Fillitz daneben sind schon etwas zu ... dezent. Und unscheinbar. Seine betretbare weiße Kammer freilich, der leibhaftige "White Cube", durchflutet von künstlichem Tageslicht, beschert dem Besucher ein erhebendes Raumerlebnis. (Oooh!)

artmark galerie wien
(Singerstraße 17)
Fillitz/Kajiura
Bis 13. Oktober
Di. bis Fr. 12 bis 18 Uhr
Sa. 11 bis 14 Uhr
Bekömmlich.

Mittwoch, 03. Oktober 2007


Wiener Zeitung · 1040 Wien, Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Mail: online@wienerzeitung.at