(Des)-Informations-Gesellschaft 2000

Information wird zum "Erdöl" des neuen Jahrtausends. worldinformation.org wollen dafür sorgen, dass die "Benzinpreise" auch für Normalsterbliche leistbar bleiben.
Von Simon Hadler.


Information ist die heiße Ware des 21. Jahrhunderts. Militärs und Regierungen sind in Sachen Informationsbeschaffung durch ihre "Intelligence Agencies" (Geheimdienste) relativ up to date. Die Wirtschaft zieht nach, vor allem im Internet: Kaum eine Kommerz-Website, die nicht Cookies setzt oder sonstwie Informationen über ihre User sammelt.

Informationsgesellschaft?!

Damit Informationen aber nicht nur als reines Mittel zum jeweiligen politischen Zweck oder als Marketing-Tool enden, wird jenen Entwicklungen von Seiten der Zivilgesellschaft nun eine zentrale "Cultural Intelligence Agency" gegenübergestellt: world-information.org.

Das Projekt wird von Public Netbase t0 im Rahmen der Europäischen Kulturstadt Brüssel 2000 unter der Patronanz der UNESCO realisiert und verläuft auf mehreren Ebenen. Von 30. Juni bis 30. Juli finden in Brüssel die drei Ausstellungen "World-Infostructure-Exhibition", "Future Heritage Expo" und "World-C4U-Exhibition" statt.

Landkarte der Informationsflüsse

Die "World-Infostructure-Exhibition" führt zu den technischen, politischen und kulturellen Grundlagen der weltweit vernetzten Gesellschaft. Auf dem Weg vom Alphabet zum Internet lassen sich die historischen Entwicklungslinien der Informations- und Kommunikationstechnologien nachvollziehen. Die Ausstellung zeigt, wie Informationsressourcen weltweit verteilt sind, wo und wie die Datenströme auf dem Erdball verlaufen, und auf welchen Grundlagen die "New Economy" beruht.

Hilfe für zukünftige Archäologen

Mit der "Future Heritage Expo", dem zweiten Ausstellungsteil, lädt world-information.org zur Auseinandersetzung mit dem Kulturerbe von morgen ein: den vielfältigen Ausdrucks- und Arbeitsformen, die sich Künstler im Umgang mit Informationstechnologien und elektronischen Netzwerken angeeignet haben. Als wegweisende Künstler sind unter anderem RTMark (USA), Mongrel (UK), Ingo Günther (GER/USA), das Critical Art Ensemble (USA) oder Marko Peljhan vertreten. Das Gros der Künstler ist persönlich anwesend und hat zum Teil spezifische Arbeiten für world-information.org entwickelt.

Big Brother, der Echte

Die "World-C4U-Exhibition" steht ganz im Zeichen der neuesten Sicherheits- und Kontrolltechnologien. Command, Control, Computer und Communication sind die Stichworte für die hautnahe Begegnung der Besucher mit Technologien wie elektronische Stimmerkennung, digitaler Fingerabdruck oder Iris-Scan. Die Besucher hinterlassen während des Rundganges durch die Ausstellung ihre individuellen Datenspuren im integrierten Closed Circuit TV System und werden mit ihren virtuellen Doppelgängern konfrontiert.

World InfoCon

Zur Vertiefung der Ausstellungsthemen und zur Intensivierung der Diskussion lädt world-information.org zu einer Serie begleitender internationaler Konferenzen, Symposien und Expertentreffen im Centre Brussels 2000. Die größte Konferenz, die prominent besetzte und dicht programmierte World InfoCon, findet von 13. bis 14. Juli 2000 im Centre Brussels 2000 statt. Künstler, Experten, Nachrichtendienstmitglieder, Wissenschafter und Politiker erörtern die wichtigsten Fragen der Infosphäre.

Europa ist Österreich!

Ein wichtiger Punkt ist aber auch das Lobbying in den von worldinformation.org angesprochenen Bereichen: "Weil wir nun schon einmal in Brüssel sind", so Konrad Becker, t0-Chef und Mastermind von world-information.org, "konzentrieren wir uns auf politisches Lobbying. Was übrigens etwas desillusionierend ist. Auch auf europäischer Ebene gibt es nicht viel mehr Verständnis für kulturelle, nicht-kommerzielle und nicht-staatliche Anliegen in Bezug auf die neuen Medien als in Österreich."

"Mit einem Fuß im Schuldenturm"

Dabei hatte man es hierzulande schon fast geschafft. Bis eine neue Regierung kam. So wurden sämtliche Projektgelder für world-information.org von Seiten des Außenamtes, des Wissenschaftsministeriums und der Kunstsektion des Bundeskanzleramtes zurückgezogen. Becker: "Wir wurden fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel."

Keine angenehme Situation, vor allem auch für Becker selbst, der persönlich für das Projekt haftet: "Ich steh' mit einem Fuß im Schuldenturm. Eine Förderung von Seiten der Stadt Wien hat mich quasi vor dem Gefängnis bewahr." Von "Brüssel 2000" erhält t0 in Form von Infrastruktur, Personal und Finanzen ein Gesamtbudget von sieben Millionen Schilling.

"Von der Umweltbewegung lernen"

Auf die Frage, wie man dermaßen komplexe Themen an die Zielgruppe bringen kann, um die es letztendlich geht, nämlich den durchschnittlichen Netizen, der von einem Großteil relevanter Information ausgeschlossen bleibt und den Rest manipuliert vorgesetzt bekommt, antwortet Becker: "Wir versuchen in diesem Punkt von der Umweltbewegung der 70er und 80er Jahre zu lernen. Aber wir arbeiten hier leider mit einem Taschengeld und müssen aufpassen, dass das Projekt nicht in der Mitte durchbricht."

Schließlich solle keine Wanderausstellung, sondern eine bleibende Struktur geschaffen werden, innerhalb derer die schwer vermittelbaren Themen von world-information.org einfach, aber nicht simplifiziert für ein breites Publikum aufgearbeitet werden. Auf der Website gibt es schon einen Newsroom mit Informationen, Meta-Informationen und Links zum weiten Feld der Informationstechnologie und ihren gesellschafts- und sozialpolitischen Implikationen.

Aktionismus garantiert

Dass Medienaktivisten wie Rtmark oder das Critical Art Ensemble trotzdem nicht Bilder malen oder plumpe Statements abgeben, damit jeder sofort weiß, worum's geht, versteht sich von selbst. Sie versuchen mit ihrer üblichen Mischung aus Ironie und konzeptioneller Kunst aktuelle Entwicklungen rund ums Netz auf höchstem theoretischen Niveau zu verarschen.

Rtmark werden einen eigenen Messestand für "Captain Europa" betreiben und sämtliche Mechanismen der Propaganda für diesen fiktiven Counterpart zu "Captain America" durchspielen. Das Critical Art Ensemble thematisiert das "Human Genome Project", bei dem für die Entschlüsselung der menschlichen DNA nur die Messdaten einer einzigen Frau hinzugezogen wurden. Das Critical Art Ensemble verehrt diese Frau und hat den "Cult of the New Eve", einen Eva-Kult, gegründet. Ganz im Stile der Zeugen Jehovas werden sie versuchen, bei der Ausstellung Gläubige anzuwerben.

Aus Österreich nehmen Oliver Ressler, Max Moswitzer und die Künstlergruppe Monochrom an world-information.org teil, das von November bis Dezember übrigens in Wien gastieren wird. Auch hierzulande soll ein hochkarätiges Symposion zum Programm gehören, an der Planung wird noch gearbeitet. ON KULTUR wird berichten.

Themenverwandte Links:

Netcondition (1999), Netzkunst- und Netzpolitik- Ausstellung (ebenfalls inklusive Vorträgen) des ZKM
Infowar - Schwerpunkt der Ars Electronica 1998
Artikel zum Thema "Information" im bytesforall-e-zine

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