Seine Druckgrafik ist bis 7. Juni in einer umfangreichen Ausstellung
im Heiligenkreuzerhof zu sehen
Marcel Duchamp ist König Midas
Von Claudia Aigner
Ist jedes Pissoirbecken ein "echter Duchamp"? Vermutlich ja,
wenn auch kein waschechter, weil bestenfalls posthum autorisiert. Aber
auch das nur solange, wie der stehende Teil der Menschheit mit totaler
Stoffwechselverachtung nicht hineinwischerlt. Noch wichtiger ist
womöglich die Frage: Darf man überhaupt über Duchamp schreiben, wenn man
nicht einmal g'scheit Schach spielen kann und obendrein der französischen
Sprache nicht mächtig ist? Nun ja, es bleibt dem Vater des Readymades, dem
begeisterten Schachspieler und ausgekochten Wortspieler jetzt jedenfalls
nicht erspart, dass ich mich zu ihm äußere. Denn die Universität für
angewandte Kunst nimmt sich noch bis 7. Juni seiner an (im
Heiligenkreuzerhof, Stiege 8, Schönlaterngasse 5). Mit liebevoll
zusammengetragenen Exponaten (der Sammlung Hummel).
Duchamps
Readymade
Das Readymade: ein Gebrauchs- oder sonstiger
Gegenstand, der in den Rang eines unbenutzbaren Kunstwerks erhoben wird.
Etwa ein Urinoir. Im Extremfall wird die ganze Welt einmal unbrauchbar,
und es geht uns ärger als dem König Midas. Und wir müssen, wenn die Blase
drängt, wieder hinter die Büsche gehen. Die Schau ist nun aber
gewissermaßen keine dreidimensionale. Vielmehr sieht man vorwiegend
Poster, Druckgrafisches oder von Duchamp gestaltete Bucheinbände. Oder
"Die Grüne Schachtel", eine archivarische Box u. a. mit Arbeitsnotizen zu
seinem "Großen Glas", das meine zerebralen Möglichkeiten eindeutig
übersteigt. Duchamp hat sich um die Rezeption seines markant obskuren
Œuvres zwischen Antikunst uns Doch-Kunst (ätsch!) halt auch selber
gekümmert und sein schwieriges, aber nicht humorloses Werk nicht ruhen
lassen, sondern fortwährend zitiert und "intellektuell künstlerisch"
kommentiert. Kurator Martin Zeiller: "Es reicht das Glotzen nicht aus."
Stimmt, aber bei Duchamp lohnt sich der Zeitaufwand namens Denken
wenigstens (auch wenn man dabei nicht immer auf einen grünen Zweig kommt).
Dereinst, 1919, hat er (man muss schon sagen: bekanntlich) der Mona
Lisa, die oberhalb der Augen glatzert, nämlich brauenlos ist, die
wohlverdienten Haare implantiert. Freilich an der ungünstigsten, sprich
denkbar unfemininsten Stelle im Gesicht: rund um ihr Lächeln. Bis sie ein
Damenbärtchen im fortgeschrittenen Stadium hatte. Im selben Atemzug, im
Titel, hat er ihr auch noch Hitzewallungen am sitzbegabten Körperteil
angedichtet: "L.H.O.O.Q" (französisch buchstabiert: "Elle a chaud au cul",
zu Deutsch: "Ihr ist heiß am Arsch"). Jahrzehnte später, als er sich
bereits sicher sein konnte, dass praktisch jeder seinen "Lausbubenstreich"
kennt, hat er die stinknormale Mona Lisa reproduziert, die sich ja eh
keiner Testosteron-Überproduktion bewusst ist, und hat sie keck betitelt:
"rasiert". Und Duchamp liebte es, seinen Arbeiten "abwegige" Titel zu
verleihen. Wie seinem Hundekamm, dem er die bizarr-poetische Inschrift
verpasste: "3 oder 4 Höhentropfen haben nichts zu tun mit der Wildheit."
Duchamp: "Es ist nicht leicht, unsinnig zu sein, weil unsinnige Dinge sich
sehr oft als sinnvoll herausstellen." Wie wahr. Trotzdem ist Duchamp
deshalb nicht gleich zwangsläufig ein hochgeistig abgehobener
Eigenbrötler. Vieles ist ganz irdisch. Die Luxusausgabe eines Kataloges
für eine Surrealismusausstellung zum Beispiel. Mit einer leibhaftigen
Schaumstoffbrust und der Aufforderung: "Bitte berühren." Quasi für die
"manuelle Phase" des Mannes, die wohl irgendwann nach der ödipalen
einsetzt und in der Regel bis ans Lebensende fortdauert. Apropos
Urnengrab: 1965 aschte der starke Raucher Duchamp in eine Urne hinein, die
er bei einem Diner eben als profanen Aschenbecher benutzte. Die Aufschrift
auf der Urne mit der krematierten Zigarre: "Rrose Sélavy", der Name seines
pseudonymen Alter Egos, einer hintergründig vielsagenden Kunstfigur, mit
deren Hilfe er zeitweise zu den Frauen konvertierte. Rrose Sélavy = "éros
c'est la vie" (Eros, das ist das Leben). Das Rauchen ist ja tatsächlich
irgendwie mit dem Odem des Lebens verbandelt. Drei Jahre später, also nach
seinem ironisch nekrophilen vorauseilenden Gehorsam gegenüber dem
Sensenmann (sozusagen), war Duchamp tot.
Erschienen am: 13.05.2003 |
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