Charim Galerie Wien, Dorotheergasse 12, 1010 Wien
Bis 04.10.
Kinder
der 80er Jahre erinnern sich wohl oder übel: Bis zu den Hüften im
Wasser wird Frances 'Baby' Houseman wieder und wieder von Johnny Castle
in jene Hebefigur gebracht, die dem Traumpaar aus Dirty Dancing
schließlich den Sieg beim Tanz-Contest des biederen Ferienressorts
einbringt. Um diese kollektive Erinnerung - oder war es vielleicht doch
eine Halluzination? - kreist auch Agnes Miesenbergers Video The Dirty Dancing Lift Machine (2006), das bis 4. Oktober in der Charim Galerie Wien zu sehen ist.
Now I've had the time of my life
No I never felt like this before
Als Teil der Werkschau der Linzer Klasse für Experimentelle Gestaltung mit dem Titel Aus Gnade und Verzweiflung. Performative Kulturvermittlung vom Sofa aus
dokumentiert das Video einen Wettbewerb, der vor rund zwei Jahren von
der Künstlerin am Donauufer in der Nähe von Linz veranstaltet wurde.
Der Hebemechanismus einer gemeinsam
mit Wolfgang Gratt aus Stahlformrohr gebauten und mit einem
lebensgroßen Patrick Swayze geschmückten Apparatur diente dort, am
Wasser, sowohl der Überprüfung von Medienredundanzen als auch der
Grazie der teilnehmenden PerformerInnen. In der Manier gängiger
Fernsehshows wurden diese von einer Jury bewertet.
Das Thema medial vermittelter Alltagskultur als Zündfunken für die künstlerische Idee
und die kollektiven Erinnerungen der Generation 30+ ziehen sich durch
den gesamten Ausstellungsverlauf. Es wird ein nicht unironisches Bild
des Künstlergenies gezeichnet, dessen Existenz bereits vor langer Zeit
widerlegt wurde und dem hier - allen Theorien und Absagungen zum Trotz
- wieder neu nachgespürt wird. Der Titel der Ausstellung Aus Gnade und Verzweiflung
spielt - so die Kuratoren Herbert Lachmayer und Antonia Prochaska - auf
die geheimnisvolle Herkunft jener Ideenblitze an, von welchen die
KünstlerInnen "aus Gnade" nicht verfehlt wurden.
Yes I swear it's the truth
And I owe it all to you
Ein ähnlicher Ideenblitz wie bei ihrer Tanzmaschine wiederfuhr Miesenberger wohl auch bei der Produktion des Videos Alpenglühen
(2008), das ebenfalls in der Galerie zu sehen ist: Weibliche Schreie
der Entzückung, männliches Dominanzverhalten und das Röhren eines
brunftigen Hirsches aus Schnulzenfilmen der 1950/60er Jahre wurden hier
mit DarstellerInnen wie Peter Weck und Uschi Glas zu einen Heimatporno
- soft - montiert. Ergänzt wird dieser Exkurs in die Klischees der
frühen Nachkriegszeit durch Christina Pavlics Bestickungen mit dem
programmatischen Titel XXX (2008). Unter dem Motto "Provinz
ist kein Ort, sondern ein Zustand", verfremdet sie das Bild von Heimat,
indem sich die liebliche Geste des Stickens mit einer Bohrmaschine auf
hölzernen Parkbänken zu einem Gewaltakt an öffentlichem Eigentum und
damit wiederum zu einem Durchlöchern der kollektiven Identität
entwickelt.
Die Ausstellung Aus Gnade und Verzweiflung
zeigt eine Mischung aus Installationen, Malereien, Film, Video,
Performances und sonstigen Aktivitäten - wie es sich eben für
"experimentelle Gestalter" gehört, die sich selbst zur Diskussion
stellen. Marlies Stöger
etwa bedient sich der Titel von Konsalik-Romanen und nimmt so
pathetische wie vielversprechende Zitate wie etwa "Niemand lebt von
seinen Träumen" als Ausgangspunkt für ihre assoziativen
Spontan-Hörspiele. Parallel dazu konstruiert das Mitglied der Gruppe ekw 14,90
ihre eigene Identität als Künstlerin in Form von fein säuberlichen
Karteikärtchen, die nach Kategorien geordet sind und die Gesamtheit
ihres bisherigen künstlerischen Schaffens akribisch dokumentieren.
Cause I've had the time of my life
And I owe it all to you
In der Installation Thinking about Movie-Making (1998-2008) nimmt der Filmemacher Siegfried A. Fruhauf mit der Stopmotion-Animation seines Gehirns und dem gegenüber gestellten Loop Versuch sich an die Idee zu erinnern
auf den eigenen Denkprozess Bezug. Er befragt damit die
Produktionsbedingungen künstlerischen Schaffens und die Herkunft der
künstlerischen Idee mit den medizinischen Bildern einer
Gehirntomographie. Der eigene Körper dient auch Martin Music
dazu, sich die Rolle des Künstlers im institutionalisierten
Kunstbetrieb vorzunehmen: Das Logo des Bundesministeriums für Kunst und
Kultur - ein emblematisches .KUNST - ließ er sich als
hochoffizielles Insignium in einer 45 Minuten langen Performance auf
den Allerwertesten tätowieren. In der Galerie sind sowohl ein
Doku-Video des Tätowierens als auch ein lebensgroßer fotografischer
Rückenakt des Künstler ausgestellt. Einschreibungen der ganz anderen
Art, jedoch ähnlich körperbewusst, durchlebt Katharina Gruzei im Video Dialoge I-IV, das in seiner Ästhetik an die beklemmenden Arbeiten Chris Cunninghams erinnert. Die Künstlerin, die kürzlich das Ö1-Talente-Stipendium erhielt, zeigt extrem verlangsamte und von einem wummernden Ton untermalte Blick-Dialoge zwischen zwei Frauen, die ihren dramturgischen Höhepunkt in einer Ohrfeige haben.
"Sich
mit künstlerischen Ideen am Kunstmarkt durchzusetzen, bedeutet, so
manche Verzweiflung in Kauf zu nehmen", zeigen sich die Kuratoren
gemeinsam mit der Galerie Charim in einem Text zur Ausstellung bewusst.
Dass es dabei aber nicht nur auf die Idee ankommt, sondern in erster
Linie auch auf die eigene Haltung der Idee gegenüber, beweisen die
gezeigten KünstlerInnen wie 'Baby' Houseman in Dirty Dancing und
verdienen mit ihrem Balance-Akt die Haltungsnote 9,5 - Yes I swear it's the truth ... (fair, derStandard.at, 21.09.2008)