Salzburger Nachrichten am 2. Juni 2006 - Bereich: Kultur
Wenn der Kirchturm surrt

Klangnetze und verkehrte Technowelt: Kurator Tomas Zierhofer-Kin im Gespräch über den zweiten Teil des Festivals Kontracom und die Kunst der Verstörung.

CLEMENS PANAGL INTERVIEW Eine Loveparade sieht doch anders aus? Zwar könnte der Menschenzug, der sich heute, Freitag (ab 16 Uhr), vom Rockhouse durch die ganze Salzburger Altstadt bis zum republic schiebt, leicht Erinnerungen an die Kundgebungen der Generation Techno wecken. Aber statt lautstark Peace- und Partyparolen auszuposaunen, bleiben die Teilnehmer stumm und bewegen sich zu einem Soundtrack, den jeder Einzelne nur über Kopfhörer hören kann. Mit Oliver Hangls "Inverted Parade" und einer anschließenden "Gehsteigdisco" beginnt die zweite Etappe von Kontracom. Für sechs Performances hat Kurator Tomas Zierhofer-Kin Elektroniker und Hip-Hopper wie Radius, Radian, Franz Pomassl oder Mike Ladd verpflichtet. Der Intendant des Donaufestivals und ehemalige Salzburger "Zeitfluss"-Macher im Gespräch:Als Kontracom-Kurator holen Sie im Mozartjahr Vertreter der experimentellen Popkultur nach Salzburg. Was war die Ausgangsidee für den Musikteil des Festivals? Zierhofer-Kin: In Salzburg herrscht eine Situation, die der zur Mozartzeit verblüffend ähnlich ist. In der Ära von Festspielintendant Gérard Mortier gab es einen Aufbruch, und es ist seltsam zu sehen, dass heute wieder so ein wahnsinnig museales Klima herrscht, das einer zeitgenössischen Kreativität so feindlich gegenübersteht. Ich fand die Idee schön, mit dem Festival zu zeigen, dass man Künstler nicht mehr wie Mozart aus Salzburg wegjagt, sondern - im Gegenteil - Künstler, die im Heute leben, einlädt, sich mit der Stadt auseinander zu setzen. Die meisten Künstler kommen aus dem Umfeld der elektronischen Musik. Was verbindet die Programmpunkte sonst noch miteinander? Zierhofer-Kin: Die Projekte thematisieren Dinge, die über die Musik hinausgehen. Musik interessiert mich nur im Zusammenhang mit ihrer Rezeption und der Gesellschaft. Darum haben wir bewusst Musik mit Performance gemischt. Und wir sind bewusst in den subkulturellen Bereich gegangen und haben auf akademische Musik verzichtet, die in Salzburg ohnehin repräsentiert ist. Zwei Projekte finden im öffentlichen Raum statt und sind so auch Anknüpfungspunkte zum ersten Kontracom-Teil.

Zum Auftakt findet Oliver Hangls "Inverted Parade" statt. Ist es nach all den Debatten, die Kontracom über Kunst im öffentlichen Raum ausgelöst hat, ein lustiger Zufall, dass die Parade zwar in der Öffentlichkeit stattfindet, aber eigentlich die Öffentlichkeit ausschließt, weil nur 350 Personen mit Kopfhörern teilnehmen können? Zierhofer-Kin: Das Projekt an sich schließt niemanden aus. Bei der "Inverted Parade" wird die Zurschaustellung der Loveparades nach innen verkehrt. Alle Teilnehmer tragen Kopfhörer, und Rapper kommentieren das, was in der Außenwelt geschieht, für diese esoterische Gemeinde, die da stumm durch die Stadt zieht, nach innen. Es gibt also sogar zwei Möglichkeiten des Miterlebens: einen Kopfhörer holen und mitmachen oder von außen betrachten. Aber natürlich funktioniert die Parade auch als ironischer Kommentar zur Salzburger Hochkulturidee, die ja auch davon ausgeht, dass es eine Elite gibt, die am Geschehen teilnimmt und die anderen schauen von draußen zu. In dem Projekt "Million Oscillions" wird der Experimentalelektroniker Franz Pomassl die Stadt von ihren Glockentürmen aus beschallen... Zierhofer-Kin: Pomassl hat weltweit tolle Sachen realisiert. Als ich mit ihm über ein Werk für Salzburg sprach, hat er mir von einem Projekt erzählt, das er kurz nach dem Ende des Kommunismus in einer slowakischen Stadt gemacht hat. Dort gab es ein Lautsprechersystem, mit dem der ganze öffentliche Raum lückenlos mit Politparolen beschallt wurde. Das hat er kurzerhand für seine Zwecke umfunktioniert. "Million Oscillions" thematisiert also die Idee eines akustischen Systems, das den gesamten Altstadtbereich überwacht. In Salzburg sind es die Kirchenglocken, die ständig von oben ihre Botschaften verkünden. Daraus ergab sich die Idee, von den Türmen aus Klangnetze zu schaffen, die andere Botschaften verbreiten (9., 10. 6.). In der Elektronikszene wird Franz Pomassl durchaus anerkennend als "Soundterrorist" bezeichnet. Wird Salzburg Furchterregendes hören? Zierhofer-Kin: Es gibt keinen Grund, sich zu fürchten. Aber die Leute könnten sich wundern, was für Klänge es gibt. Pomassl arbeitet etwa mit Sinusfrequenzen, die nur mehr als Druckwellen oder Wummern wahrnehmbar sind. Aber es wird niemand wegrennen müssen! Es geht im Gegenteil darum, sich die Klänge zu erwandern, in einer Art akustischer Schnitzeljagd.In der ersten Etappe hat Kontracom hitzige Debatten ausgelöst. Welche Reaktionen wünschen Sie sich als Kurator des Musikteils? Zierhofer-Kin: Wenn man in den öffentlichen Raum geht, gelten andere Voraussetzungen als in geschlossenen Kunsträumen. Es geht nicht darum, den Leuten die Kunst aufs Auge zu drücken und zu sagen: So, das ist Kunst, und das müsst ihr lieben! Es kann Kunst sein, aber vorrangig ist für mich, dass da ein Moment der Verunsicherung oder Verstörung ist. Ich würde mir wünschen, dass diese Verunsicherung eine positive ist. Dass die Leute sagen: Hoppla, da bimmelt es heute nicht, sondern es surrt vom Turm, und dass diese Irritation nicht Aggression auslöst, sondern Neugier.Die "Inverted Parade" startet um 16 Uhr beim Rockhouse. Am Ziel (republic) findet ab 18 Uhr eine "Gehsteigdisco" statt. Morgen, Samstag: Radius (republic, 21 Uhr). Programm: www.salzburg-kontra.com.