Ein Zyklus von etwa zwanzig großformatigen
Kohlezeichnungen des Wiener Künstlers Eduard Angeli hat Häuser, Brücken,
Kräne, Fischerhütten und Strandkabinen aus Venedig als Thema.
Zwar ist an manchem unspektakulären Fragment zu erkennen, dass es sich
um die berühmte Lagunenstadt handelt, aber Alltag und Menschen sind nicht
zu finden. Es ist eine Stadt im Zustand des Traumes, auch wenn die
Realität von Lido oder Arsenale, von Hafen und Glasfabriken tatsächlich
gegeben ist.
Wie immer spielt aber die Reflexion über die Kunst, die geometrische
Form, Farbreduktion und das Material des weichen Kohle- und Kreidestifts
eine ebenso große Rolle.
Vor zwanzig Jahren hatte Angeli seine erste Albertinaschau – damals war
er von einem langen Aufenthalt in Istanbul heimgekehrt. Heute lebt er
wieder am Meer und widmet sich anhaltend Stille und Einsamkeit. Auch wenn
vor seinem Atelier die Touristenmassen durch Venedig strömen, beherrscht
die Leere wesentlich seine künstlerische Gegenwart.
Inneres Sehen
In seinen Blättern könnte es Morgen oder Abend sein oder ist es gar ein
"inneres Sehen", wie es schon Caspar David Friedrich bevorzugt hat?
Der Vorwurf, das Nichts zu malen, kann Angeli heute nicht mehr
einholen, seine Position zwischen Abstraktion und Gegenstand ist ganz am
Puls der Zeit.
Die Ironie, mit Mitteln des Realismus eine mythische Gegenwart zu
erzeugen, kannten jedoch neben Friedrich auch Künstler des Symbolismus wie
Fernand Khnopff. Dessen Interpretation von Maurice Maeterlincks Text über
Brügge gaben einst Ernst Krenek die Anregung zur Oper "Die tote Stadt".
Angelis Zeichnungen teilen mit allen Künstlern, die das
Geometrisch-Abstrakte betonen, die Affinität zur Musik.
Da er aber jegliche subjektive Interpretation offen lässt, mag so
mancher vordergründig an reduzierte Arbeiten von Giovanni Battista
Piranesi oder Francesco Guardi denken, doch es sind eben keine
Stadtansichten in deren Sinn.
Die Parallele zum Manierismus liegt schon eher in der Vieldeutigkeit
und in der Bühnenhaftigkeit, die Klaus Schröder für einzelne Ansichten mit
stürzenden Perspektiven konstatiert.
Auch weil sich die Farbnebel des kreidigen Materials düster über diese
Raumgassen legen, wirkt das Ambiente nicht abgeschlossen. Auch diese
mögliche Ausdehnung der dunklen Flächen in den Betrachterraum mag an die
letztlich irreale Landschaftsmalerei des großen Romantikers erinnern.
Angelis Zitate von der Bühnenkunst der Antike wie der Renaissance,
seine Einbindung von Romantik und Symbolismus zeigen Kenntnisse der
Kunstgeschichte, geben aber keine Inhalte preis. Sie sprechen direkt die
Psyche an.
Freitag, 13. Jänner
2006