Bilder Weggegangener

Die künstlerische Fotoszene in Ungarn, beleuchtet
von Dorothee Frank.


Wenn man von klassischer Fotografie in Ungarn spricht, dann muss man die typisch osteuropäische Geschichte vom großen Exodus erzählen. In den 20er und 30er Jahren gab es eine Massenauswanderung ungarischer Wissenschafter und Künstler - in Ungarn war die erste kommunistische Revolution niedergeschlagen worden, und im reaktionären Horthy-Regime wurde es immer enger. Einige der talentiertesten jungen Fotografen gingen nach Frankreich oder in die USA.

André Kertész,
André Kertész, "Chagall und seine Familie", 1933

André Kertesz oder Brassai (recte Gyula Halász) waren Leitfiguren der großen Pariser Fotokultur in der Zwischenkriegszeit. Zum Kanon der klassischen Schwarzweiß-Fotografie gehören auch der grandiose Mihály Munkácsi oder der Kriegsreporter und Magnum-Begründer Robert Capa, der eigentlich Endre Friedmann hieß: Von ihm stammt das bekannte Foto des sterbenden Kämpfers im spanischen Bürgerkrieg.

Daheimgeblieben

André Kertész,
André Kertész, "Magda oder die satirische Tänzerin", Paris 1926

Die weltberühmte Fotografie aus Ungarn ist also ein Exilphänomen. Was im Land selbst seit den 20er Jahren entstanden ist, kennt man dagegen im Ausland kaum. Die Leiter des ungarischen Fotomuseums Kecskemét, Károly Kincses und Magdolna Kolta, wollten dagegen etwas tun. Sie lancierten ein internationales Ausstellungs- und Buchprojekt namens "Photography made in Hungary - some went away, some stayed behind" - also: "Die Weggegangenen und die Daheimgebliebenen".

Károly Kincses meint dazu: "Wir stellten fest, dass man diese Generation von Fotografen nicht in zwei Teile teilen kann - hier die besten, die Emigranten, dort die Zurückgebliebenen, die weniger guten Künstler. Wir fanden das Niveau beider Gruppen gleich hoch - nur hatten die Exilfotografen eine andere Maschinerie hinter sich. Wir wollten die Weggegangenen und die Daheimgebliebenen zusammenbringen und auf diese Art zeigen, was das kleine Land Ungarn der Welt in dieser Sparte zu bieten hat."

"Photography made in Hungary" war eine ungarische Erfolgsgeschichte. Die Ausstellung wurde in zwölf Städte wie New York, Mailand oder Wien eingeladen und war auch bei den renommierten "Rencontres de la Photographie" in Arles zu sehen.

Das Museum

Das Fotomuseum Kecskemét befindet sich in einer eigens dafür umgebauten Synagoge. Die studierte Theaterhistorikerin Magdolna Kolta und der Fotograf Károly Kincses haben das Museum vor zehn Jahren als private Stiftung gegründet, mit Kapital von der ungarischen Fotografen-Assoziation und Sponsoren. Hätten die beiden es auf staatlichem Weg versucht, dann wären sie in den damaligen Übergangswirren wohl kaum zum Ziel gekommen. So hat das Haus unter den ungarischen Museen eine eigenartige und finanziell nachteilige Sonderstellung.

Magdolna Kolta beschreibt das so: "Eigentlich handelt es sich um das nationale ungarische Museum für Fotografie - aber wir sind eben eine Stiftung. Die Folge ist, dass wir weder vom Staat noch von der Stadt regelmäßige Unterstützung bekommen. Jedes Mal im Jänner starten wir mit Null Forint. Das Budget für laufende Ausgaben und für das Ausstellungsprogramm müssen wir selber auftreiben."

Haus der Fotografie, Budapest

In Budapest gibt es eine Partnerinstitution des Kecskeméter Fotomuseums - das ungarische Haus der Fotografie. Es befindet sich im "Mai Manó ház", einem besonders schmucken Gründerzeitbau nahe der Oper - der Jahrhundertwende-Fotograf Immanuel May, der sich dann magyarisiert Mai Manó nannte, hatte das Haus als Fotostudio für sich bauen lassen. Hier gibt es Ausstellungsräume auf drei Etagen, darunter das schöne glasüberdachte "Tageslichtstudio" ganz oben.
"Das Kecskeméter Fotomuseum ist sozusagen der Hauptsitz der Firma, das Budapester Haus dient als glitzerndes Schaufenster", meint dessen Leiter András Török.

Im Mai Manó-haus wird derzeit unter anderem eine Ausstellung junger Foto-Stipendiaten gezeigt. Farbfotografie als Medium zeitgenössischer Kunst. Konzepte und Strategien auf dem aktuellen Stand der Medienkunst, unterschiedlich originell. Die meisten Serien haben eine Tendenz zum Narrativen, zum Erzählen kleiner Geschichten.

Help Yourself

Hajnal Nemeth
Hajnal Nemeth

Was noch auffällt, ist der Humor in den meisten Bildern. "Humor in der Kunst finde ich sehr wichtig", sagt Hajnal Németh, eine der Künstlerinnen in der Schau. Ihre Arbeiten waren schon in der Galerie Knoll (Wien/ Budapest) zu sehen. Eine ihrer Serien heißt "help yourself": Németh als Krankenschwester, die gerade eine Pause macht und nicht den Kranken hilft, sondern sich selbst - mit roten Strümpfen bekleidet, sendet sie ungeachtet des weißen Kittels diskret erotische Signale aus. Der Titel "help yourself" in der Szenerie vor einem Spital spielt aber auch auf den extremen Sozialabbau in Ungarn an.

In zwei Fotos thematisiert Hajnal Németh einen anderen Aspekt der neuen ungarischen Realität: Eine kleine Szene in einem Supermarkt, auch in Ungarn heute bereits das tägliche Lebensambiente der Menschen. Speziell am Stadtrand von Budapest entstehen Supermärkte und Einkaufswelten von riesigen Dimensionen.

Hajnal Nemeth,
Hajnal Nemeth, "Face to Face"

Marktwert

Auch die Fotografie und die Bildende Kunst im allgemeinen findet allmählich und zögerlich, aber doch einen Markt. Bis vor kurzem hörte man von Galeristen immer die gleiche Klage: "Die Intellektuellen haben kein Geld, die Neureichen keinen Geschmack, und der wohlhabende Mittelstand existiert noch nicht.." Das beginnt sich zu ändern. Johannes Knoll, der in Wien und Budapest Galerien betreibt, ortet ein neues Käuferpublikum: Familien, Wirtschaftstreibende, ein paar Großkäufer wie Museen. Die Institutionen aber kaufen zumeist bei den Künstlern direkt - zu extrem niedrigen Preisen, sodass die endgültige Professionalisierung des ungarischen Kunstmarktes noch aussteht.

Tipp:

Reichhaltige Informationen über die ungarische Fotoszene auf der Homepage des Fotomuseums.

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