Die Dokumentation
„Grenz.Räume“ führte die Fotografin Inge Morath kurz vor ihrem Tod
in ihre südsteirische Heimat zurück. profil sprach mit Moraths Mann
Arthur Miller.
Wie heißt er denn, Ihr Mann?“, fragt der
südsteirische Bauer aufmüpfig. „Arthur Miller“, antwortet die
Fotografin und drückt unbeirrt weiter auf den Auslöser ihrer Leica.
„War der nicht mit der Marilyn verheiratet?“ – „Ja, zuerst, und dann
mit mir“, antwortet sie kalt. – „Ah, dann san Sie die berühmte
Fotografin …“ – „Right.“ – „War der Miller-Arthur net amoi da?“,
will der Bauer von seinem Spezi wissen. „Millers gibt’s wie Sand am
Meer“, versucht Inge Morath das Gespräch zu einem Ende zu bringen.
„Aber Monroe hat’s nur ane geben“, spielt er jetzt seinen letzten
Trumpf aus. Die Morath seufzt.
Eine Szene aus „Grenz.Räume“,
einer Dokumentation voll elegischer Poesie, die die in Graz geborene
Inge Morath in ihre südsteirisch-slowenische Heimat zurückführte.
Vor zwei Jahren begab sich die Dokumentarfilmerin Regina Strassegger
mit der weltberühmten Fotografin, die als anfängliche Schülerin von
Henri Cartier-Bresson und späteres Mitglied der legendären Agentur
Magnum in den Pantheon der Porträtkunst einging, auf die Suche nach
den Spuren ihrer Kindheit.
Vermächtnis
Inge Morath sollte die
Fertigstellung des Films nicht mehr erleben. Der neue Fotoband
„Grenz.Räume“, in dem Strassegger die während des Drehs entstandenen
Arbeiten der Fotografin sammelte, wird so zum Vermächtnis. Wenige
Wochen nachdem Strassegger im Herbst 2001 „diese unglaublich
disziplinierte Person“ im Rollstuhl zum Flugzeug geschoben hatte,
starb Ingrid Morath am 30. Jänner 2002 in ihrem 79. Lebensjahr in
einem New Yorker Spital an Lymphdrüsenkrebs.
„Wir wussten
nicht, dass Inges Krankheit tödlich sein würde“, erzählt Arthur
Miller, 87, der 40 Jahre mit der Österreicherin verheiratet gewesen
war, profil in einem seiner raren Interviews. „Nach ihrer Rückkehr
hatte ich leider keine Gelegenheit mehr, mit ihr über ihre
Reiseeindrücke zu sprechen. Wir waren damals viel zu besorgt,
dachten aber, dass man Inge würde behandeln können. Das war zunächst
auch so. Dann aber haben sich diese Zellen verändert. Die tun das
manchmal. Und dann war alles vorbei.“
Millers literarisches
Œvre hat zwar Weltgeltung erlangt, trotzdem ist der amerikanische
Autor vor allem als dritter Ehemann der personifizierten
Männerfantasie Marilyn Monroe ins kollektive Bewusstsein
eingegangen. Auf die Frage nach dem Stand seiner literarischen
Produktionskraft antwortet er einsilbig: „Ich arbeite an
Kurzgeschichten und parallel an zwei Theaterstücken, deren Inhalt
ich jedoch nicht verraten möchte.“ Von der Rezeption erhofft Miller
sich nicht allzu viel, das allgemeine Kulturbewusstsein in Amerika
sei zurzeit leider nicht viel mehr als „ein großer Müllhaufen“.
Dann seufzt er, und in diesem Seufzen liegt die Resignation
eines alten Mannes, der weiß, dass er seinen Beitrag zur
Geistesgeschichte des Landes ohnehin längst abgeliefert hat. An
seine frühen Erfolge, wie „Tod eines Handlungsreisenden“ (1949), die
Tragödie eines Vertreter-Jedermanns, der an den Anforderungen der
amerikanischen Leistungsgesellschaft zerbricht, oder „Hexenjagd“
(1953), seine Abrechnung mit der Kommunistenhetze während der
McCarthy-Ära, konnte Miller nicht mehr anknüpfen. „Ich glaube nicht,
dass ich in meinem Alter noch so ein Stück schreiben könnte“, sagt
Miller über „Tod eines Handlungsreisenden“. „Ich bin philosophischer
geworden. Eigentlich bin ich verwundert, dass ich mich damals so
ereifern konnte, aber auch wieder froh, dass ich dazu in der Lage
war.“
Amerikas Ibsen
Das
Schreiben fällt ihm mit fortschreitendem Alter nicht leichter: „Ich
habe dabei dieselben Probleme, und es kostet mich dieselbe
Anstrengung wie früher. Die kreative Erleichterung durch Weisheit
ist ein Mythos. Aber jemals mit dem Schreiben aufzuhören befindet
sich jenseits meines Vorstellungsbereichs.“
Literarisches
Aufsehen erregte Miller letztmals 1987 mit seiner Autobiografie
„Zeitkurven“, in der „Amerikas Ibsen“, so die „New York Times“,
neben einem detailgenauen Bericht seiner fünfjährigen Ehe mit der
Monroe, „dem traurigsten Mädchen, das ich je kennen gelernt habe“,
auch seine Traumatisierung durch den McCarthyismus mit allen
persönlichen Konsequenzen wie Zwangsverhören und einem Reise- und
Aufführungsverbot schildert.
Deprimierend
Das geistige Klima in der
Bush-Ära sei zwar „äußerst deprimierend, aber nicht hoffnungslos“,
erklärt Miller. „In der letzten Zeit ist ziemlich schnell eine große
Bewegung der Intelligenz gewachsen. Ob diese Bewegung die
Bush-Politik abzuschmettern imstande sein wird, kann man jetzt noch
nicht sagen. Ich hoffe es. Denn wenn nicht bald etwas geschieht,
wird dieses Land explodieren.“ Miller würde sich gern auch stärker
in der Antikriegsbewegung engagieren: „Bedauerlicherweise kann ich
nicht mehr auf Demonstrationen so herumhüpfen wie früher, aber ich
leiste meinen Beitrag.“
Diese „trotzdem immer
weitermachen“-Haltung, erzählt die Dokumentarfilmerin Regina
Strassegger, sei neben dem Sinn für Humor die verbindende
Charaktereigenschaft zwischen den Eheleuten Miller und Morath
gewesen.
Während der letzten Drehwoche für „Grenz.Räume“ im
Herbst 2001, in der die Morath von „Rückenschmerzen gepeinigt war,
die sie an die Grenzen des Ertragbaren geworfen hatten“
(Strassegger), versuchte die Fotografin immer Haltung zu bewahren:
„Sie hat mit zusammengebissenen Zähnen ihre Arbeit fortgesetzt, ihr
ist aber kein Muckser von den Lippen gekommen.“ Damals war Morath
noch fest im Glauben, dass die Schmerzen durch einen Kreuzverriss
beim Spielen mit ihrem vierjährigen Enkel Ronan, dem Sohn ihrer
Tochter Rebecca und des Hollywood-Stars Daniel Day-Lewis,
herrührten.
Die Vermittlung der Gewissheit, ihr
Selbstbewusstsein ausschließlich aus ihrer künstlerischen
Eigenständigkeit und nicht aus dem Status als Ehefrau eines
berühmten Schriftstellers zu ziehen, war Morath immer ein markantes
Anliegen, vor und hinter der Kamera. „Ich war bereits wer, als ich
den Miller kennen gelernt habe“, betonte sie während der
Dreharbeiten im steirischen Grenzland einmal. „Wir haben beide
vieles mitgebracht und uns dann eben zusammengetan.“
1960
waren Morath und Miller einander in Reno auf dem Set von „The
Misfits“ begegnet, Monroes letztem vollendeten Film unter der Regie
von John Huston. Miller wollte mit seinem Drehbuch, „einem östlichen
Western“, seine bereits in Trümmern liegende Ehe mit der Monroe
retten. „Er hatte bezüglich der Monroe eine Erlösungsfantasie“,
erzählt Strassegger, die Miller nach Moraths Tod zu einem
mehrstündigen Gespräch in seiner New Yorker Wohnung getroffen hatte,
„sie war für ihn das missbrauchte Kind, das er so gerne von seinen
Qualen erlösen wollte.“
Monroe-Opfer
Die damals 37-jährige Morath, von der Filmfirma als
Setfotografin engagiert, empfand Miller als „einen präokkupiert
wirkenden Menschen, der sich nur zerstreut am Tischgespräch
beteiligte und voll in seiner Eheproblematik aufging“. Moraths
Aufnahmen einer Monroe, die selbstvergessen und weit weg von
jeglichen abrufbaren Posen auf einer Wiese tanzte, gingen in die
Fotogeschichte ein.
Wahnsinnig
geliebt
Der Anfang der Morath-Miller-Beziehung
gestaltete sich eher unromantisch. „Nichts wie weg, habe ich mir
gedacht“, erinnerte sich Morath, als die Mikrofone der Filmcrew
abgeschaltet waren. „Der Arthur, der die Marilyn wahnsinnig geliebt
hat, war verzweifelt und hat den Kontakt mit mir gesucht. Aber ich
wollte kein Monroe-Opfer trösten.“ Diese Verweigerung sollte das
Fundament für eine vierzig Jahre dauernde Ehe bilden, in der beide
einander ein künstlerisches Eigenleben zugestanden.
Auf die
Gemeinsamkeiten zwischen Morath und Monroe angesprochen, sagt Miller
im Film: „Beide waren einzigartige Frauen. Niemand war wie sie. Sie
waren beide sehr künstlerisch … Beide gingen für die
Perfektionierung ihrer Kunst an die äußersten Grenzen. Das waren
ihre wahren Leidenschaften. Nur: In einem Fall war es Qual und im
anderen Freude.“