Artikel aus profil Nr. 05/2003
„… und dann war alles vorbei“

Die Dokumentation „Grenz.Räume“ führte die Fotografin Inge Morath kurz vor ihrem Tod in ihre südsteirische Heimat zurück. profil sprach mit Moraths Mann Arthur Miller.
Wie heißt er denn, Ihr Mann?“, fragt der südsteirische Bauer aufmüpfig. „Arthur Miller“, antwortet die Fotografin und drückt unbeirrt weiter auf den Auslöser ihrer Leica. „War der nicht mit der Marilyn verheiratet?“ – „Ja, zuerst, und dann mit mir“, antwortet sie kalt. – „Ah, dann san Sie die berühmte Fotografin …“ – „Right.“ – „War der Miller-Arthur net amoi da?“, will der Bauer von seinem Spezi wissen. „Millers gibt’s wie Sand am Meer“, versucht Inge Morath das Gespräch zu einem Ende zu bringen. „Aber Monroe hat’s nur ane geben“, spielt er jetzt seinen letzten Trumpf aus. Die Morath seufzt.

Eine Szene aus „Grenz.Räume“, einer Dokumentation voll elegischer Poesie, die die in Graz geborene Inge Morath in ihre südsteirisch-slowenische Heimat zurückführte. Vor zwei Jahren begab sich die Dokumentarfilmerin Regina Strassegger mit der weltberühmten Fotografin, die als anfängliche Schülerin von Henri Cartier-Bresson und späteres Mitglied der legendären Agentur Magnum in den Pantheon der Porträtkunst einging, auf die Suche nach den Spuren ihrer Kindheit.

Vermächtnis

Inge Morath sollte die Fertigstellung des Films nicht mehr erleben. Der neue Fotoband „Grenz.Räume“, in dem Strassegger die während des Drehs entstandenen Arbeiten der Fotografin sammelte, wird so zum Vermächtnis. Wenige Wochen nachdem Strassegger im Herbst 2001 „diese unglaublich disziplinierte Person“ im Rollstuhl zum Flugzeug geschoben hatte, starb Ingrid Morath am 30. Jänner 2002 in ihrem 79. Lebensjahr in einem New Yorker Spital an Lymphdrüsenkrebs.

„Wir wussten nicht, dass Inges Krankheit tödlich sein würde“, erzählt Arthur Miller, 87, der 40 Jahre mit der Österreicherin verheiratet gewesen war, profil in einem seiner raren Interviews. „Nach ihrer Rückkehr hatte ich leider keine Gelegenheit mehr, mit ihr über ihre Reiseeindrücke zu sprechen. Wir waren damals viel zu besorgt, dachten aber, dass man Inge würde behandeln können. Das war zunächst auch so. Dann aber haben sich diese Zellen verändert. Die tun das manchmal. Und dann war alles vorbei.“

Millers literarisches Œvre hat zwar Weltgeltung erlangt, trotzdem ist der amerikanische Autor vor allem als dritter Ehemann der personifizierten Männerfantasie Marilyn Monroe ins kollektive Bewusstsein eingegangen. Auf die Frage nach dem Stand seiner literarischen Produktionskraft antwortet er einsilbig: „Ich arbeite an Kurzgeschichten und parallel an zwei Theaterstücken, deren Inhalt ich jedoch nicht verraten möchte.“ Von der Rezeption erhofft Miller sich nicht allzu viel, das allgemeine Kulturbewusstsein in Amerika sei zurzeit leider nicht viel mehr als „ein großer Müllhaufen“.

Dann seufzt er, und in diesem Seufzen liegt die Resignation eines alten Mannes, der weiß, dass er seinen Beitrag zur Geistesgeschichte des Landes ohnehin längst abgeliefert hat. An seine frühen Erfolge, wie „Tod eines Handlungsreisenden“ (1949), die Tragödie eines Vertreter-Jedermanns, der an den Anforderungen der amerikanischen Leistungsgesellschaft zerbricht, oder „Hexenjagd“ (1953), seine Abrechnung mit der Kommunistenhetze während der McCarthy-Ära, konnte Miller nicht mehr anknüpfen. „Ich glaube nicht, dass ich in meinem Alter noch so ein Stück schreiben könnte“, sagt Miller über „Tod eines Handlungsreisenden“. „Ich bin philosophischer geworden. Eigentlich bin ich verwundert, dass ich mich damals so ereifern konnte, aber auch wieder froh, dass ich dazu in der Lage war.“

Amerikas Ibsen

Das Schreiben fällt ihm mit fortschreitendem Alter nicht leichter: „Ich habe dabei dieselben Probleme, und es kostet mich dieselbe Anstrengung wie früher. Die kreative Erleichterung durch Weisheit ist ein Mythos. Aber jemals mit dem Schreiben aufzuhören befindet sich jenseits meines Vorstellungsbereichs.“

Literarisches Aufsehen erregte Miller letztmals 1987 mit seiner Autobiografie „Zeitkurven“, in der „Amerikas Ibsen“, so die „New York Times“, neben einem detailgenauen Bericht seiner fünfjährigen Ehe mit der Monroe, „dem traurigsten Mädchen, das ich je kennen gelernt habe“, auch seine Traumatisierung durch den McCarthyismus mit allen persönlichen Konsequenzen wie Zwangsverhören und einem Reise- und Aufführungsverbot schildert.

Deprimierend

Das geistige Klima in der Bush-Ära sei zwar „äußerst deprimierend, aber nicht hoffnungslos“, erklärt Miller. „In der letzten Zeit ist ziemlich schnell eine große Bewegung der Intelligenz gewachsen. Ob diese Bewegung die Bush-Politik abzuschmettern imstande sein wird, kann man jetzt noch nicht sagen. Ich hoffe es. Denn wenn nicht bald etwas geschieht, wird dieses Land explodieren.“ Miller würde sich gern auch stärker in der Antikriegsbewegung engagieren: „Bedauerlicherweise kann ich nicht mehr auf Demonstrationen so herumhüpfen wie früher, aber ich leiste meinen Beitrag.“

Diese „trotzdem immer weitermachen“-Haltung, erzählt die Dokumentarfilmerin Regina Strassegger, sei neben dem Sinn für Humor die verbindende Charaktereigenschaft zwischen den Eheleuten Miller und Morath gewesen.

Während der letzten Drehwoche für „Grenz.Räume“ im Herbst 2001, in der die Morath von „Rückenschmerzen gepeinigt war, die sie an die Grenzen des Ertragbaren geworfen hatten“ (Strassegger), versuchte die Fotografin immer Haltung zu bewahren: „Sie hat mit zusammengebissenen Zähnen ihre Arbeit fortgesetzt, ihr ist aber kein Muckser von den Lippen gekommen.“ Damals war Morath noch fest im Glauben, dass die Schmerzen durch einen Kreuzverriss beim Spielen mit ihrem vierjährigen Enkel Ronan, dem Sohn ihrer Tochter Rebecca und des Hollywood-Stars Daniel Day-Lewis, herrührten.

Die Vermittlung der Gewissheit, ihr Selbstbewusstsein ausschließlich aus ihrer künstlerischen Eigenständigkeit und nicht aus dem Status als Ehefrau eines berühmten Schriftstellers zu ziehen, war Morath immer ein markantes Anliegen, vor und hinter der Kamera. „Ich war bereits wer, als ich den Miller kennen gelernt habe“, betonte sie während der Dreharbeiten im steirischen Grenzland einmal. „Wir haben beide vieles mitgebracht und uns dann eben zusammengetan.“

1960 waren Morath und Miller einander in Reno auf dem Set von „The Misfits“ begegnet, Monroes letztem vollendeten Film unter der Regie von John Huston. Miller wollte mit seinem Drehbuch, „einem östlichen Western“, seine bereits in Trümmern liegende Ehe mit der Monroe retten. „Er hatte bezüglich der Monroe eine Erlösungsfantasie“, erzählt Strassegger, die Miller nach Moraths Tod zu einem mehrstündigen Gespräch in seiner New Yorker Wohnung getroffen hatte, „sie war für ihn das missbrauchte Kind, das er so gerne von seinen Qualen erlösen wollte.“

Monroe-Opfer

Die damals 37-jährige Morath, von der Filmfirma als Setfotografin engagiert, empfand Miller als „einen präokkupiert wirkenden Menschen, der sich nur zerstreut am Tischgespräch beteiligte und voll in seiner Eheproblematik aufging“. Moraths Aufnahmen einer Monroe, die selbstvergessen und weit weg von jeglichen abrufbaren Posen auf einer Wiese tanzte, gingen in die Fotogeschichte ein.

Wahnsinnig geliebt

Der Anfang der Morath-Miller-Beziehung gestaltete sich eher unromantisch. „Nichts wie weg, habe ich mir gedacht“, erinnerte sich Morath, als die Mikrofone der Filmcrew abgeschaltet waren. „Der Arthur, der die Marilyn wahnsinnig geliebt hat, war verzweifelt und hat den Kontakt mit mir gesucht. Aber ich wollte kein Monroe-Opfer trösten.“ Diese Verweigerung sollte das Fundament für eine vierzig Jahre dauernde Ehe bilden, in der beide einander ein künstlerisches Eigenleben zugestanden.

Auf die Gemeinsamkeiten zwischen Morath und Monroe angesprochen, sagt Miller im Film: „Beide waren einzigartige Frauen. Niemand war wie sie. Sie waren beide sehr künstlerisch … Beide gingen für die Perfektionierung ihrer Kunst an die äußersten Grenzen. Das waren ihre wahren Leidenschaften. Nur: In einem Fall war es Qual und im anderen Freude.“

Autor: Angelika Hager


© profil bzw. profil Online - Wien, 2003. Alle Inhalte dienen der persönlichen Information. Eine Weiterverwendung und Reproduktion über den persönlichen Gebrauch hinaus ist nicht gestattet.