Als geflochtener Zopf oder zum Pferdeschwanz gebunden, so präsentiert sich Frauenhaar meist auch bei Ulrike Lienbachers Mädchenfiguren. Sie spiegeln gesellschaftliche Vorstellungen von Disziplin, aber auch eigene psychische Zwänge, Erwartungshaltungen an die Reinheit des "Jungmädchen-Seins". Lienbacher fängt aber auch jene Momente ein, in denen das Haar entfesselt ist, wallend über den Boden fließt. Intime Augenblicke, die sich mit dem Akt der Reinigung und dem "Sich-Beschmutzen", dem verlegenen, verstohlenen Entdecken eigener Sexualität verbinden.
In ihren neuen Arbeiten illustriert die 1963 geborene Salzburgerin das Thema des kulturell disziplinierten Körpers am Thema Sport. Lienbacher spricht vom ambivalenten Gefühl, Lust daran zu haben, Leistung zu erbringen und zu funktionieren, aber zugleich auch ausbrechen zu wollen. - Zart umreißt sie in großformatigen Tuschezeichnungen turnende Mädchenkörper: Stilisierte Figuren in uniformen Trikots, zusätzlich entindivualisiert durch dem Betrachter abgewendete oder auf grafische Akzente reduzierte Gesichter, mitunter durch das - wie ausradierte - gänzliche Fehlen von Köpfen. Entrückt und rein wirken die gerade zu Frauen heranwachsenden, auf die Gymnastik konzentrierten Mädchen. Im flüchtigen Blick scheinen jegliche Anzeichen von Anstrengung oder Schweiß zu fehlen. Aber sie sind da: Die leichten Schatten, die Schweißperlen im Dekolletée ebenso andeuten wie zerschundene Knie. Der Schmutz auf den bloßen Fußsohlen straft jeden Verdacht, das grazile In-die-Höhe-Recken würde mit Leichtigkeit geschehen, Lügen. Viel zu dünne, fluoriszierend rote Springschnüre wirken eher wie schmerzende Fesseln. Und auch die wie beiläufig an der Wand lehnenden, in ihrer Flechtstruktur das Thema von Haar und Kontrolle wieder aufgreifenden Hula-Hoop-Reifen erinnern an das beengende Leistungssystem.
Die Lust an der selbstgesteuerten Kontrolle über den eigenen Körper kommt in den gelungen gegenübergestellten Fotoporträts junger Sportler zum Tragen: Im selbstgewählten Augenblick zwischen Erregung und Erschöpfung, fast noch im Zustand des "Außer-sich-Seins", offenbaren sie ihre Lust an Schweiß und Anstrengung. (kafe / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24.5.2007)