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Der verschlüsselte Weg zur Realität

Ab 6. September stellt die Linzer Ars Electronica Codes als "Language Of Our Time" vor. Die TT sprach mit dem künstlerischen Leiter Gerfried Stocker.

TT: Welche Grundidee steht hinter der Ars Electronica, hat sich an ihr seit ihrer Gründung 1979 Wesentliches geändert?

Gerfried Stocker: Wir wollen Experten aus den Bereichen Kunst, Technologie und Gesellschaft einmal im Jahr zusammenbringen, um über aktuelle Problemstellungen - vor allem aus den Bereichen Informationsgesellschaft und "Digitale Revolution" - zu diskutieren. Daran hat sich seit 1979 nichts geändert, verändert haben sich vor allem die Präsentationsformate.

TT: Die Ars Electronica beschäftigt sich heuer mit digitalen Codes und Software, deren Rolle und Einfluss auf Kunst und Gesellschaft. Können Sie kurz die thematischen Schwerpunkte umreißen?

Stocker: Zunächst fragen wir unter dem Titel "Code=Law", wie sehr Software, die aus Codes besteht, langsam zum Gesetz der neuen Informationsgesellschaft wird. Noch können wir als Computerbenützer ja jederzeit auf jede beliebige Internetseite gehen, selber entscheiden, ob wir uns im legalen oder illegalen Bereich aufhalten. Schon gibt es aber auch von der Industrie forcierte Bestrebungen, uns diese Entscheidung abzunehmen.

TT: Wie schauen solche Zugangsbeschränkungen aus?

Stocker: In die Software können jederzeit Zugangsbeschränkungen eingebaut werden, die uns als Nutzer dann nicht einmal mehr bewusst sind. So stellen wir die wichtige Frage: Wer oder was kontrolliert über Software die Computer und damit wichtige Teile des gesellschaftlichen Lebens?
Neben dieser Bewusstseinsbildung, dass Software als Machtinstrument einsetzbar ist, wollen wir aber auch darauf hinweisen, dass Software in der Kunst ein ganz phantastisches Werkzeug ist. Codes sind also nicht nur abstrakte Zugänge zu Programmen, aus ihnen entstehen auch wunderschöne Bilder, Animationen oder Musikstücke.

TT: Damit sind wir beim zweiten thematischen Schwerpunkt der diesjährigen Ars Electronica, "Code=Art". Hier stellen Sie die Frage nach den Besonderheiten einer neuen digitalen Kunst.

Stocker: Software als neues Werkzeug in der Kunst ermöglicht neben neuen künstlerischen Ausdrucksformen vor allem auch eine andere Begegnung zwischen Künstler, Kunst und Publikum. Es gibt jetzt die Möglichkeit, Prozesse zu schaffen. Der Künstler stellt nicht mehr zwingend ein Werk fertig, bevor er es dem Betrachter oder Zuhörer zur Kontemplation übergibt. Er schafft einen dynamischen Prozess, den er in die Hände des Besuchers übergibt. Der kann dann dank Software mit dem Kunstwerk interagieren.

TT: Ein weiterer Bereich, in dem Codes und Software in unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle spielen, ist die Gentechnik. Mit "Code=Life" weist die Ars Electronica auf die Problematik eines sorglosen Umgangs mit dem menschlichen Erbgut hin.

Stocker: Das Problem beginnt schon mit der Sprache. In der allgemeinen Diskussion wird das menschliche Erbgut als Code bezeichnet und damit impliziert, dass Leben ähnlich leicht kontrollierbar und veränderbar wäre wie ein Computerprogramm.
Es muss uns aber klar sein, dass wir eine ethische Verantwortung haben, dass über dieses wunderbare Phänomen "Leben" wesentlich differenzierter und ehrfürchtiger nachzudenken ist wie über einen profanen Computercode.
2003-09-04 16:43:53