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Kunstberichte
Zumeist liegt es an politischen und biografischen Umständen, wenn das Werk begabter Künstler vergessen wird

Wenn Künstler verloren gehen

Jahrzehntelang verschollen: "Erinnerung an Else U." (1940) von Karl Wiener. Foto: Wien Museum

Jahrzehntelang verschollen: "Erinnerung an Else U." (1940) von Karl Wiener. Foto: Wien Museum

Von Edwin Baumgartner

Aufzählung Gesualdo oder: Ein Genie als Opfer der barocken Mode.
Aufzählung Nur nicht anstreifen an NS-belastete Künstler.

4. März 1989, Cincinnati, USA: Die Symphonie eines österreichischen Komponisten wird uraufgeführt. Ganze Abschnitte stammen aus Symphonien Gustav Mahlers. Auch das Konzept der "sprechenden Symphonie", der Symphonie als metaphysische Auseinandersetzung, ist bei Mahler ausgeborgt. Der Komponist, ein gewisser Hans Rott, wäre geradezu ein Mahler-Epigone – wäre es nicht genau umgekehrt.

Aufzählung Karl Wiener und die Montage als politisches Ventil

Denn Rott schrieb seine E-Dur-Symphonie, ehe sich Mahler an seine Erste machte. 109 Jahre lang lag Rotts Werk unaufgeführt im Archiv. Der Komponist, zu Lebzeiten nur im Freundeskreis (darunter auch Mahler) bekannt, war ein Vergessener. Nun entpuppt er sich als zukunftsweisendes Genie.

Dass ein Künstler verloren geht, hängt fast immer mit unglücklichen biografischen Umständen zusammen – oder mit Modeerscheinungen. Als beispielsweise das Madrigal der Renaissance-Musik dem Geschmack des Barock nicht mehr entspricht und verschwindet, verschwindet auch Gesualdo da Venosa, der sein Schaffen ausschließlich dieser Form gewidmet hatte. Erst die Musikwissenschaft des 20. Jahrhunderts mit ihrem steigenden Interesse an Alter Musik entdeckt Gesualdos Madrigale, deren harmonische Extravaganzen erst wieder von Richard Wagners "Tristan und Isolde" erreicht wurden. Ein verschollener Komponist war dem Bewusstsein wiedergegeben.

Spielbälle der Politik

Öfter als die Vergessenheit durch den Wandel des Geschmacks geschieht es freilich, dass Künstler durch widrige biografische Umstände in Vergessenheit geraten – was im 20. Jahrhundert zumeist mit der Politik zusammenhängt, konkret mit den Diktaturen Adolf Hitlers und des Kommunismus, die massiv auf Kunst und Künstler einwirkten.

So gelang es einerseits den Nationalsozialisten, lange über die Existenzdauer des sogenannten Dritten Reichs hinaus, Künstler aus dem Bewusstsein des Publikums zu entfernen. Andererseits schlug das politische Pendel nach 1945 in die andere Richtung aus, und der Bann traf Künstler, die, oft nur als Mitläufer aus Gründen des Selbstschutzes, scheinbar auf der Seite der Nationalsozialisten gestanden waren.

Zwar werden nun in einigen Fällen, etwa denen der Schriftsteller Agnes Miegel, Ina Seidel und Hans Carossa, schnelle Absolutionen erteilt, in anderen allerdings hält die Missachtung bis heute an. So sind die Kompositionen von Paul Graener oder Paul von Klenau nach 1945 von den Spielplänen verschwunden, obwohl sich beide Komponisten bereits vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten erfolgreich positioniert hatten, also keine reinen Partei-Karrieristen waren. Ein ähnlicher Fall ist der des österreichischen Dramatikers Richard Billinger, der aus Angst, seine Homosexualität könnte lebensbedrohliche Folgen haben, die Nationalsozialisten hofierte – und nach 1945 als "Nazi-Autor" nahezu vollständig von den Spielplänen verschwand.

Aus für DDR-Künstler

Etwas Ähnliches droht derzeit etlichen Künstlern der DDR. Wieder drohen vor allem jene verloren zu gehen, die nicht mehr für sich selbst sprechen und ein politisches Umdenken zumindest behaupten können, so der Komponist Paul Dessau, der Dichter Johannes Bobrowski oder der Maler Hans Grundig.

Entdeckungen geben mitunter auch russische Archive frei: In ihnen waren Autoren wie Jakow Golossowker oder Daniil Charms verschollen, im Falle des Zweitgenannten war die deutsche Werkausgabe sogar noch vor der russischen auf dem Markt. Ein Autor wie Michail Scholochow hingegen ist drauf und dran, der Literatur außerhalb Russlands zu entschwinden. Irgendwie haftet ihm das Odium an, er sei, trotz Literatur-Nobelpreis, doch nur ein KPdSU-Schreiber gewesen.

Welche Umstände im Fall des österreichischen Malers Karl Wiener zur völligen Vergessenheit führten, versucht derzeit das Wien Museum zu beleuchten. Die Problematik dabei ist wie bei allen entdeckten Verschollenen: Sie werden praktisch als neue Künstler wahrgenommen, sind aber aufgrund ihrer Biografie gleichzeitig Vertreter einer vergangenen Epoche. Für einen Moment kann das reizvoll sein. Ob eine Rückgewinnung auf Dauer möglich ist, kann nur die Zeit zeigen.

 

Printausgabe vom Dienstag, 10. Mai 2011
Update: Dienstag, 17. Mai 2011 11:21:00

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