VON IRENE JUDMAYER
Ein Mann spielt Fußball. Das ist nichts Ungewöhnliches. An sich. Im
Fall dieses speziellen Mannes jedoch schon: Denn der hat sein rundes Leder
mit einer Videokamera präpariert. Und die vermittelt uns live, was so ein
Fußball erlebt, wenn er über das Spielfeld rollt. Wenn er von 22 Männern
in aller Härte getreten wird.
Der Mann, der uns fast fünfzig Jahre lang mit derart absurden,
ironischen, gesellschaftskritischen, optisch verblüffenden Kunstspielen
ebenso begeisterte wie irritierte, ist vorgestern in seinem Wohnort Miami
gestorben: Nam June Paik, 1932 in Seoul (Korea) geboren, ab 1950 in Tokio,
ab 1956 in München später in Berlin und zuletzt in den USA lebend. Seit
einem Schlaganfall 1996 war er halbseitig gelähmt und auf einen Rollstuhl
angewiesen.
Der promovierte Musik-/ Kunsthistoriker und Philosoph wurde als "Vater
der Video-Art" auch international berühmt. Als Impulsgeber, Teilnehmer und
Besucher der Ars Electronica war er auch Linz jahrzehntelang verbunden.
Präsent ist er auch in der Sammlung des Linzer Kunstmuseums Lentos.
Prägend für Nam June Paik war eine Begegnung mit dem US-Komponisten
John Cage im Jahr 1958. Damals begann er, mit neuen Klängen zu
experimentieren, mit spektakulären Effekten (wie dem Zertrümmern von
Klavieren) das Publikum zu provozieren.
TV-Büstenhalter
Seine Experimentierfreude ließ ihn schließlich die elektronische
Bildübertragung als Markenzeichen entdecken: Das TV-Gehäuse diente ihm als
"Rahmen" für neue, visuell außer sich geratene Bilder. Triviale
Fernsehgeräte benutzte er als Bausteine für Kunst-Objekte. "Das Fernsehen
attackiert uns ein Leben lang, jetzt schlagen wir zurück." - wurde zu
seiner Maxime als Künstler.
Gemeinsam mit den Japanern Uchida und Abe experimentierte er mit
Elektromagneten und 1963 gelang ein technischer Durchbruch: Erstmals
konnte man an Farbfernsehern Videobilder sichtbar machen.
Als Paik 1964 nach New York ging, lernte er die Cellistin Charlotte
Moorman kennen und baute sie als Kunstfigur in seine Arbeit ein. Ihr
konstruierte er einen "TV-BH" sowie ein TV-Cello, mit denen Moorman
halbnackt auftrat. Wurden die beiden dafür 1967 noch wegen "Obszönität"
arrestiert, wurden sie 1982 in Linz frenetisch bejubelt. Aufsehen
erregende Präsentationen in den wichtigsten Museen und hochkarätige
Auszeichnungen begleiteten das Schaffen des bedeutendsten Video-Künstlers
und absurdesten Märchenerzählers des digitalen Zeitalters.
Wer ihn jemals live erlebt hat, weiß, was die Kunstwelt mit seinem Tod
verloren hat.
Bild(ge)schichten: Koreanischer Künstler Nam June Paik (73) (epa)