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vom 31.01.2006 - Seite 019

TODESFALL: Mit Nam June Paik verlor die Ars Electronica einen ihrer Vorreiter und Impulsgeber

Sein Fußball zeigte Gefühle, wenn er getreten wurde

VON IRENE JUDMAYER

Ein Mann spielt Fußball. Das ist nichts Ungewöhnliches. An sich. Im Fall dieses speziellen Mannes jedoch schon: Denn der hat sein rundes Leder mit einer Videokamera präpariert. Und die vermittelt uns live, was so ein Fußball erlebt, wenn er über das Spielfeld rollt. Wenn er von 22 Männern in aller Härte getreten wird.

Der Mann, der uns fast fünfzig Jahre lang mit derart absurden, ironischen, gesellschaftskritischen, optisch verblüffenden Kunstspielen ebenso begeisterte wie irritierte, ist vorgestern in seinem Wohnort Miami gestorben: Nam June Paik, 1932 in Seoul (Korea) geboren, ab 1950 in Tokio, ab 1956 in München später in Berlin und zuletzt in den USA lebend. Seit einem Schlaganfall 1996 war er halbseitig gelähmt und auf einen Rollstuhl angewiesen.

Der promovierte Musik-/ Kunsthistoriker und Philosoph wurde als "Vater der Video-Art" auch international berühmt. Als Impulsgeber, Teilnehmer und Besucher der Ars Electronica war er auch Linz jahrzehntelang verbunden. Präsent ist er auch in der Sammlung des Linzer Kunstmuseums Lentos.

Prägend für Nam June Paik war eine Begegnung mit dem US-Komponisten John Cage im Jahr 1958. Damals begann er, mit neuen Klängen zu experimentieren, mit spektakulären Effekten (wie dem Zertrümmern von Klavieren) das Publikum zu provozieren.

TV-Büstenhalter

Seine Experimentierfreude ließ ihn schließlich die elektronische Bildübertragung als Markenzeichen entdecken: Das TV-Gehäuse diente ihm als "Rahmen" für neue, visuell außer sich geratene Bilder. Triviale Fernsehgeräte benutzte er als Bausteine für Kunst-Objekte. "Das Fernsehen attackiert uns ein Leben lang, jetzt schlagen wir zurück." - wurde zu seiner Maxime als Künstler.

Gemeinsam mit den Japanern Uchida und Abe experimentierte er mit Elektromagneten und 1963 gelang ein technischer Durchbruch: Erstmals konnte man an Farbfernsehern Videobilder sichtbar machen.

Als Paik 1964 nach New York ging, lernte er die Cellistin Charlotte Moorman kennen und baute sie als Kunstfigur in seine Arbeit ein. Ihr konstruierte er einen "TV-BH" sowie ein TV-Cello, mit denen Moorman halbnackt auftrat. Wurden die beiden dafür 1967 noch wegen "Obszönität" arrestiert, wurden sie 1982 in Linz frenetisch bejubelt. Aufsehen erregende Präsentationen in den wichtigsten Museen und hochkarätige Auszeichnungen begleiteten das Schaffen des bedeutendsten Video-Künstlers und absurdesten Märchenerzählers des digitalen Zeitalters.

Wer ihn jemals live erlebt hat, weiß, was die Kunstwelt mit seinem Tod verloren hat.

Bild(ge)schichten: Koreanischer Künstler Nam June Paik (73) (epa)


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