30.10.2001 19:43:00 MEZ
Die Kunst der Geldvernichtung
Die Schweiz unternimmt einen identitätsstiftenden Kraftakt: Mit einem Gesamtbudget von 13 Milliarden Schilling richtet man eine nationale "Expo" aus, die im Sommer 2002 stattfinden wird

Wozu Österreich? Gute Frage. Aber die noch bessere scheint: Wozu die Schweiz? Gibt es doch vier Sprachräume, sezessionistische Tendenzen, Verständigungsschwierigkeiten und divergierende Lebensgefühle. Die Gemeinsam-keit scheint bloß die demokratische Verfassung zu sein.

Sich dieses Mankos einer die Volksgruppen verbindenden Identität bewusst, organisiert die Schweiz eine gigantische Ausstellung, die nächsten Sommer, vom 15. Mai bis zum 20. Oktober, zu besichtigen sein soll. Sie nennt sich "Expo", ist aber weder eine Warenmesse noch - wie die gleichnamigen Weltausstellungen - ein sich gegenseitiges Überbieten der Nationen: Die von der EU eingekesselten Eidgenossen feiern sich selbst.

Das machen sie seit 1883 alle paar Jahrzehnte. Makabrerweise auch dann, wenn rund um die neutrale Schweiz die Weltkriege ausbrechen: 1914 fand die "Expo" in Bern statt, 1939 in Zürich. Ein schlechtes Omen? Zumindest herrscht ein mulmiges Gefühl.

Die sechste "Expo" ist zudem die erste, die nicht in einer Stadt ausgerichtet wird, sondern in einer Region, im so genannten "Drei-Seen-Land" direkt auf der französisch-deutschen Sprachgrenze. Eine kulturpolitische Entscheidung also. Und die wird in der Schweiz massiv kritisiert.

Denn die Verteilung auf vier Städtchen an drei bezaubernden Seen, die durch Kanäle miteinander verbunden sind, ließen die Kosten für die Infrastruktur ziemlich hoch werden. Und weil man rund 4,8 Millionen Besucher erwartet, von denen jeder zwei bis drei Schauplätze aufsuchen dürfte, scheint das Verkehrschaos vorprogrammiert.

An den Ufern von Yverdon-les-Bains, Neuchâtel, Biel und Murten werden derzeit die Ausstellungsgelände aus den schlammigen Böden gestampft: In jeder Stadt steht die "Expo" unter einem speziellen Thema, und jede "Arte-plage" wird von einer weithin sichtbaren "Ikone" dominiert.

Bei Murten (Augenblick und Ewigkeit) ragt ein riesiger "Monolith", ein 34 Meter hoher Kubus aus rostigen Stahlblechplatten von Jean Nouvel, aus dem See. Bei Yverdon (Ich und das Universum) schwebt eine begehbare Wolke in der Größe eines Fußballfeldes über dem Wasser: ziemlich beeindruckend! Vor Neuchâtel (Natur und Künstlichkeit) ragen drei "Kieselsteine", die wie Spielberg-UFOs ausschauen, aus dem monströsen Plastikschilf. Und bei Biel symbolisieren drei Türme, die vom österreichischen Architektenteam Coop Himmelb(l)au kreiert wurden, das Thema Macht und Freiheit.

Lauter Luftblasen

Das Budget dieser megalomanen Manifestation einer Nation beträgt unglaubliche 1,4 Milliarden Franken. Das sind grob 13 Milliarden Schilling - für eine Ansammlung von Luftblasen: Nach Ende der "Expo" sind die unter Schutz stehenden Gelände wieder in den ursprünglichen Zustand zu versetzen. Sprich: Die Ausstellungshallen und "Ikonen" müssen abgetragen werden. (Ausnahmen bestätigen die Regel: Das Théâtre de Vidy, 1964 für die "Expo" in Lausanne am Genfer See errichtet, durfte stehen bleiben - und ist heute eine der innovativsten Bühnen der Schweiz.)

Die Eidgenossen sprechen daher, was nicht weiter verwunderlich ist, von einer gigantischen Geldvernichtung. Zumal es noch immer ziemliche Finanzierungslücken gibt: Die Beteiligung der Wirtschaft liegt weit unter den Erwartungen, für die Defizite hat der Bund geradezustehen.

Zudem gab es gewaltige Probleme bei der Realisierung: Eigentlich hätte die "Expo", die 1996 beschlossen wurde, bereits 2001 stattfinden sollen. Pipilotti Rist, die künstlerische Leiterin, warf das Handtuch. Und erst kürzlich mussten wieder einige Projekte abgesagt werden.

Eine der rund 40 Hauptausstellungen kuratiert Harald Szeemann, Chef der letzten beiden Venedig-Biennalen, und sie dürfte ordentlich für Aufregung sorgen. Denn der Pavillon für Geld und Wert, das letzte Tabu hat die Form eines Goldbarrens - und ist komplett mit Blattgold verkleidet. In diesem wird man eingedoste Künstlerfäkalien von Piero Manzoni (Wert: eine Million Schilling) bestaunen und einer Geldvernichtungsmaschine von Max Dean bei der Arbeit zusehen können: Insgesamt sollen während der fünf "Expo"-Monate Banknoten mit einem aufgedruckten Wert von 280 Millionen zerstückelt werden. Diese hintergründige Provokation finanziert übrigens die Schweizerische Nationalbank. (DER STANDARD, Print, 31.10./1.11.2001)


Quelle: © derStandard.at