Gabriele Sturm
Gabriele Sturm oder die Kunst mit den  Mitteln der Malerei Politik zu betreiben 

In Osttirol, wo Gabi Sturm zu Hause ist, ist die  Welt noch in Ordnung. Die Kühe weiden auf saftigen Almwiesen und die Senner Jodeln, während sie eben diese Kühe liebevoll melken.  Gleichzeitig malen Düsenjets ihre Kondensstreifen auf den tiefblauen Himmel und  Touristen gondeln auf die allzeit präparierten Gletscherpisten. Wilde unberührte Natur, wohin das Auge reicht. Natur, die hier sinnvoll konsumiert  werden kann. 

gabriele sturmGabi Sturm ist gelernte Psychologin. Sie interessiert sich für romantische Blicke. Aber sie interessiert sich vor allem für das mehr oder weniger Unbedeutende, das der romantische  Blick ausklammert, das er übersieht, um den erwünschten Ausblick nicht zu trüben: Die unscheinbaren Fehler im Bild, die Hinweis auf die wahren Umstände geben. Und genau hier fängt  sie an Natur auf ihre Art zu malen, als berührte  Natur. Es entsteht „das Erlebnis Bergwelt": Die Bergstation, die rechts unten etwas ungeschickt  den Hang abschneidet, die Pistenraupe, die den Tourengehern den anstrengenden Aufstieg im Tiefschnee versüßt und die Aufschrift auf der Fensterscheibe der Gondel, die den Blick auf das Schotterfeld bereichert.  Gabi Sturm faßt ihre künstlerische Arbeit aber  in einem sehr aktuellen Sinne auch sehr weit: Kunst ist alles was eine KünstlerIn tut. Und Kunst ist immer auch politisch und sozial. „Man steht schließlich nicht im Atelier und produziert  Sachen, die mit der Welt gar nichts zu  tun haben." 
gabriele sturm
Während des Psychologiestudiums ist sie der  Frage nachgegangen, warum Frauen im dritten Reich in Kärnten Widerstand geleistet  haben und hat daher Partisaninnen nach ihren Geschichten und ihrer Motivation befragt. Heute sammelt sie Material von KünstlerInnen, die sich im Widerstand  gegen die schwarz-blaue Regierung  befinden und schafft daraus in Zusammenarbeit mit dem Kurator und Kunsttheoretiker  Robert Fleck ein Archiv des aktuellen Widerstandes in  Österreich, das derzeit auch schon in einer Ausstellung in  Paris zu sehen ist. 

Sie interessiert sich insbesondere für das Thema Wahrheit, das sie in New  York mit Ute Meta Bauer erarbeitet hat. Es entstand ein Würfelspiel, bei dem jede MitspielerIn sich aus verschiedenen Würfeln ihre eigene  Wahrheit zurechtlegen kann, was dann aber zur Folge hat, daß alle anderen Wahrheiten  nicht mehr stimmen. Ein Problem wie im richtigen  Leben: etwa wie der blauschwarze  Bundeskanzler und die Wahrheit – ein groß  angelegtes Verwirrspiel. 

Ö? heißt ein anderes Projekt das Gabi Sturm in Zusammenarbeit mit Andrea  Költinger und Rainer Springenschmid  durchgeführt hat. Unter dem Motto „Wir  schauen nicht über den Tellerrand. Wir kriechen unter das Schnitzel." hat sie sich unmittelbar mit Flüchtlingen und  ihrer Situation befaßt. In Zusammenarbeit mit dem Notquartier Grimmgasse und der Initiative „unbegleitete Minderjährige" in Hirtenberg bot und bietet sie noch interessierten Betroffenen die Mitarbeit in ihrem Kunstprojekt an. Jeder  bekommt als erstes einen Fotoapparat, mit dem die wesentlichen Eindrücke des neuen Lebens festgehalten werden können. Das Material dient dann zum Beispiel als Grundlage für Collagen, die gemeinsam angefertigt werden. Oder man entwickelt eine neue Art Fußball zu spielen, mit veränderten Regeln, die mehr das Miteinander und weniger das Gegeneinander betonen, zum Beispiel indem man Trikots anzieht, aber dann kein Match austrägt und keine Mannschaften bildet, sondern gemeinsam  tanzt und singt. Es geht darum das Gefühl des Beachtetwerdens zu vermitteln und neue Ausdrucksformen zu finden. Dieses Projekt hat bereits im März 2001 begonnen und während SOHO in Ottakring 2002 einen Zwischenbericht abgelegt, dauert aber bis heute  fort. 

gabriele sturm„Malerei ist nicht überholt. Ich möchte aber auch nicht alles in die Malerei packen", sagt Gabriele Sturm und interpretiert daher während des Musikfestivals „Wean hean" die stark vertikale Eingangssituation des Semper Depots als Gebirgslandschaft, die von den Besuchern erklettert werden kann. Zwischen eingetopften Latschen, den bereits erwähnten, eigenwilligen Alpenpanoramen und handgeschnitzten Wegweisern suchen sich die Besucher auf dem markierten Klettersteig den Weg zum Gipfel,  wo sie sich stilgerecht in das bereitliegende  Gipfelbuch eintragen können und vom Gipfelkreuz den nahen Alphörnern lauschen um den  atemberaubenden Ausblick zu genießen. Wilde ursprüngliche Natur. Alles nur eine Frage der Phantasie.

Götz Bury 
Alle Fotos: Sturm