Musa der Stadt Wien-Sammlung: Die sechziger Jahre. Eine phantastische Moderne
Doppelzüngiges Wienerherz
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Eduard Angelis "The So Called Death Of Suleiman" (1969) im Wiener Musa. Foto: Musa
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Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer
![Aufzählung Aufzählung](00092833-Dateien/wzfeld.gif)
Zum vierten Jahrestag des Musa im Juni schenken sich die Sammlungen
der Stadt Wien einen weiteren Überblick: Nach dem Auftakt der 50er
folgen die viel spannender anmutenden 60er Jahre. Aufbruch draußen in
der Avantgarde hieß aber keineswegs innen in der Kulturverwaltung: Die
meisten der in der Schau "Die 60er Jahre. .
Eine phantastische Moderne" gezeigten Werke sind Ankäufe und
Schenkungen aus den letzten beiden Jahrzehnten. Bewusst wird auf Lücken
hingewiesen. So besitzt die Stadt keinen frühen Hermann Nitsch, Gerhard
Rühm, keine konkrete Kiki Kogelnik oder kinetische Kästen von Helga
Philipp.
Es sind 4300 Werke von etwa 700 Künstlern im Zeitraum von 1960 bis
1969. Davon befinden sich viele Arbeiten im öffentlichen Wiener Raum;
präsentiert werden nur 130 Positionen, damit zumeist bekannte Namen
Der Titel zielt in zwei Richtungen, zum einen als Anspielung auf die
fantastischen Möglichkeiten dieser Jahre, zum anderen auf die Vorliebe
des damaligen österreichischen Kunstmarkts und der Sammler für die
"Wiener Schule des Phantastischen Realismus" in all ihren Varianten.
Nicht nur Bilder der fünf Hauptmeister Rudolf Hausner, Ernst Fuchs, Arik
Brauer, Wolfgang Hutter und Anton Lehmden wurden da gekauft, sondern
auch alle Epigonen. Dafür ließ man die "Wiener Gruppe" und die
Aktionisten aus; zu provokant wäre wohl eine Behörde erschienen, die
sich Skandalöses mit Staatsgeldern aneignet.
Wilde Maler der Gruppe "Wirklichkeiten"
Nicht vergessen ist die "Liga gegen entartete Kunst", die auch
Realisten wie Alfred Hrdlicka und sein Renner-Denkmal kalt erwischte mit
einem Slogan, der heute als "Wiederbetätigung" gelten würde. Auch die
im Mittelpunkt stehenden wilden Maler der von Otto Breicha erfundenen
Gruppe "Wirklichkeiten": Wolfgang Herzig, Martha Jungwirth, Franz
Ringel, Peter Pongratz und Kurt Kocherscheidt wurden wie Insassen einer
Irrenanstalt gesehen. Fotografie galt nicht als Kunst, eher als
Lehrmittelbehelf und reine Dokumentation, von filmischer Arbeit ganz zu
schweigen. Stattdessen war der heute fast vergessene Helmut Leherb
großer Meister, Blätter seiner Frau Lotte Profohs schätzt man nun höher
ein.
Neben den Realisten wie Fritz Martinz kamen die Aktionisten zu ihren
Skandalen; zwischen Aktion gegen modernistische Architektur und Malerei
protestierte Fritz Hundertwasser nackt vor der Kulturministerin.
Eigentlich regierten künstlerisch neben den Phantasten die Abstrakten
aus der Galerie nächst St. Stephan, ein Josef Mikl, Johann Fruhmann
oder Markus Prachensky. Die Gräben waren tief und Außenseiterpositionen
wie Padhi Frieberger, Curt Stenvert oder Gerhard Gutruf kam noch wenig
Aufmerksamkeit zu. Die Künstlerinnen Christa Hauer, Hildegard Joos,
Maria Lassnig oder Greta Freist wurden erst ab 1990 bekannter. Die
wenigen Galerien zeigten nur Männer. Familie oder Kunst hieß die
Entscheidung, deshalb verbarg Linde Waber ihren Sohn. Die
gesellschaftliche Rückwärtsgewandtheit lässt sich in der aufgestauten
Wut der Schießbudenbilder Herzigs und in Valie Exports "Genitalpanik"
noch nachfühlen. Auch in der Plastik ist der Aufbruch in den erweiterten
Kunstbegriff nur sporadisch da – etwa bei Walter Pichler oder Curt
Stenvert. Nachher ist eben immer alles anders in der Kunstgeschichte.
Ausstellung
Die 60er Jahre. Eine phantastische Moderne
Berthold Ecker, Wolfgang Hilger (Kuratoren)
Musa
bis 15. Oktober
Printausgabe vom Mittwoch, 30. März 2011
Online seit: Dienstag, 29. März 2011 17:44:00