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Keith Haring: Graffiti als Kunstform

27.05.2010 | 18:23 | BARBARA PETSCH (Die Presse)

Eine Ausstellung beleuchtet die frühen experimentellen Jahre Keith Harings und erzählt von wilden Zeiten. Die Schau wirkt, wiewohl sie Revolutionäres abbildet, retro, ja geradezu museal.

Rock Hudson & Doris Day, das blitzsaubere Traumpaar naiver Fifties-Kids, erwiesen sich wie die Liebe selbst als Schimäre: Sie, die ewige Filmjungfrau, heiratete viermal, er starb an Aids. Mit dem Tod des viril-sanften Hudson 1985 wurde die grauenhafte, bis dahin unbekannte Immunkrankheit der breiteren Öffentlichkeit bekannt. Aids setzte aber auch einer Szene zu, die, je nach weltanschaulichem Standpunkt, als Sündenbabel oder als Nukleus von Kunstinnovation und zeitgemäßer Lebenskunst betrachtet wurde: den New Yorker (Homosexuellen)-Clubs.

Eine Ausstellung in der Kunsthalle erinnert nicht nur die Kinder der Fifties und Sixties, aber diese werden sich dabei besonders nostalgisch fühlen, an die Libertinage ihrer Jugendzeit: „Keith Haring (1978–1982)“ handelt von den frühen experimentellen Jahren des vor allem als Graffiti-Künstler und -Veredler dieser verpönten Anarcho-Praxis bekannten Amerikaners. Mit nur 32 Jahren starb Haring 1990 an Aids, drei Jahre nach seinem Geistesverwandten Andy Warhol und sieben Jahre vor Roy Lichtenstein, seinem „Vorfahren“, der Comics hoffähig gemacht hatte. Lichtenstein wurde 73, Warhol 59.

 

Letzter Höhenflug der Pop-Art

Mit Warhol teilte Haring die Idee, dass Kunst und Leben zusammengehören, mit Lichtenstein, dass gerade der „niedere“ Alltag eine hervorragende Inspirationsquelle für die Kunst sei. Die Kommerzialisierung trieb Haring auf eine zu seiner Zeit umstrittene Spitze: Seine Kreationen vervielfältigte er unbekümmert und verkaufte sie im Pop-Shop in Soho. Eine weitere Spezialität Harings: Er nutzte in exzentrisch-innovativer Weise die noch jugendfrische Videotechnik.

Die Schau wirkt, wiewohl sie Revolutionäres abbildet, retro, ja geradezu museal. Wie Sexualität von Kunst verarbeitet und vom Betrachter aufgenommen wird, hat sich doch sehr verändert. Außerdem wirken die schwarzen Linien streng. Trotzdem gibt es herrliche Motive: Zwei Strichmännchen vergnügen sich unter dem Strahl eines Ufos. Ufos, was waren das damals für Wunderdinge, die zu heftigen Legenden Anlass gaben! Der Schweizer Schriftsteller Erich Däniken machte Furore mit seinen „Nachweisen“ von außerirdischem Leben auf der Erde. Ein weiterer Mythos kam auf. Der Delfin, Verwandter des Menschen: Auf Harings Zeichnungen wirkt er fröhlich-menschlich wie Flipper.

In Collagen aus Zeitungen macht sich Haring über den Papst lustig und über Ronald Reagan, der keine Schwulen mag. Auf einem Video verbindet der Countertenor Klaus Nomi, bizarr geschminkt, Klassik und Pop. Haring selbst huldigt medial mit einem ekstatisch-obszönen Tanz der schönen Eisenbahnerbin Gloria Vanderbilt. Auf einem Video sieht man Szenen von New York.

Das war in den Achtzigern noch nicht die polierte Metropole Bürgermeister Giulianis, und auch die Mächtigen der „Wall Street“ (Film I: 1987) erschienen erst allmählich als Phalanx. Die Mieten waren billig, die Drogen noch nicht völlig verdammt, die Lust enorm, der Trash noch auf den Straßen und kein Trend. NY, das war auch das Synonym für jene (Sub-)Kultur, die manchen stank, aber den Humus für den letzten Höhenflug der klassischen Pop-Art bildete.


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