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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
16. September 2007
20:55 MESZ
"Modell Martin Kippenberger"
bis 6. 1. 08 im Kunsthaus Graz  
Foto: Kunsthaus Graz
"Studentenwohnheim in Riad" (1985) - aus solchen Holzpaletten konstruierte Martin Kippenberger auch Entwürfe für "Müttergenesungswerke".

"Bitte nicht nach Hause schicken": Martin Kippenberger im Kunsthaus Graz
"Utopien für alle": Das Kunsthaus Graz widmet sich dem ausufernden Werk des 1997 verstorbenen deutschen Künstlers

Diesem lohnenden Versuch in seinem Werk ein "Modell" von Gegenentwürfen zu Gesellschaft und Kultur festzumachen stellt man sich dort allerdings mit mäßigem Erfolg.


Graz - So ändern sich die Zeiten, oder richtiger: So ändert sich, vor allem posthum, wenn ein Künstler nichts mehr zur Wahrnehmung seiner Werke beitragen kann, die Ein- und Wertschätzung von Kunst.

Graz, so Martin Kippenbergers Schwester Susanne in ihrer heuer erschienenen, den Künstler auf angenehmste Weise nicht anbetenden Biografie - Graz, das lag für den 1953 in Dortmund geborenen Künstler, Autor und Selbstdarsteller am "Arsch der Socke". Und gleichzeitig war dieses Graz, "bürgerlich, reaktionär und progressiv" zugleich, ein ideales Kippenberger-Biotop, so wie später auch Wien: Gleichermaßen groß sind hier die Verehrungs- und Ignoranz-Potenziale. Das kam, abgesehen von der vitalen Grazer Szene der frühen 80er-Jahre, einem Aufsehen erregen wollenden Unikum wie Kippenberger entgegen. Immer wieder hat er in Graz gearbeitet.

Ein wenig vom einstigen Zauber blitzte am Freitag bei der Eröffnung der jüngsten Kunsthaus-Ausstellung Modell Martin Kippenberger auf, als der steirische Kulturlandesrat Kurt Flecker vor ein dem Anlass entsprechend großes Publikum trat, um die Ausstellung durchaus selbstbewusst und vor allem angenehm kurz zu eröffnen: Er habe den "sehr intellektuellen" Katalog studiert, habe sich vom Kunsthaus-Leiter Peter Pakesch durch die Ausstellung führen lassen - und nichts verstanden. Erst nach einem Gespräch mit Susanne Kippenberger sei ihm aufgegangen: Leben als Gesamtkunstwerk!

Wäre Martin Kippenberger zugegen gewesen, hätte er vielleicht pronto eine unterhaltsame Rede zum Thema Gesamtkunstwerk für alle gehalten. Sehr wahrscheinlich hätte er dem Landesrat ein markant hingeknalltes Bild Nichts verstanden gewidmet und seine nächste Ausstellung oder Performance ebenso betitelt.

Ab ins Museum!

Kippenberger ist aber 1997 gestorben, seine Bilder, Bücher, Plakate und Installationen werden von Jahr zu Jahr mehr wert. Also machte man sich mit gebührender Ehrfurcht auf den Parcours durch eine Ausstellung, die, durchaus intelligent konzipiert, ihr Übriges zur Musealisierung eines zu Lebzeiten nicht Einordenbaren beitrug: in Glasvitrinen alte Ausstellungskataloge. Ebenfalls hinter Glas: einst ganze Innenstadtbilder irritierende Plakate mit Titeln wie Schwerter zu Zapfhähnen oder Ansprache an die Hirnlosen.

Daneben und davor: Architekturmodelle aus Holzpaletten, für Müttergenesungswerke oder ein Studentenwohnheim in Riad, die ein verrückter Gabelstaplerfahrer ersonnen haben könnte, eine ins kaputt Glamouröse hinein verfremdete Kleinbürger-Vorzimmer-Garderobe mit dem Titel Rainer Werner Fassbinder, Tischchen, in denen schon mal ein Gemälde von Gerhard Richter als Fläche herhalten darf, ein Stechuhrkarten-Kasten mit der auf Fotos vorgetragenen Botschaft "Bitte nicht nach Hause schicken".

Das Modell Kippenberger als Netzwerk zu begreifen, in dem ein Individuum bis zur Selbstaufgabe sich sowohl im Privaten wie auch bei Künstlerkollegen bedient, um quasi vom einzelnen Ehrgeiz weg größere Zusammenhänge zu schaffen: Diesen zutiefst sozialen Aspekt aufzuzeigen ist plausibel. Dennoch: Das Unternehmen scheitert an einem räumlichen Erleben, in dem letztlich nichts anderes zelebriert wird als Kunst mit Marktwert.

Viel eher hätte es dem Untertitel Utopien für alle entsprochen, wenn sich das Modell Kippenberger in einen wirren, trashigen "Chor" disparater Handschriften und Künstler aufgelöst hätte: Kippenberger selbst hat immer leidenschaftlich kollaboriert und kompiliert. Es wäre zum Beispiel heiter geworden, ihn ähnlich respektlos mit Jonathan Meese oder Christoph Schlingensief "zusammenzuwerfen", die heute mit ähnlichem Anspruch wieder sehr fröhlich "scheitern". Im Kunsthaus Graz wird bestenfalls vorgeführt, dass so ein Scheitern auf Dauer ein echter Hit wird.

Mit dieser Haltung geht einher, dass man irgendwann "große Kunst" abseits jener "kleinen Geschichten" zu feiern beginnt, die bei Kippenberger aber immer wichtig sind. In einem Gespräch im Katalog wendet sich Peter Pakeschs Co-Kurator Daniel Baumann gegen "biografische Information" und eine daraus resultierende Schwatzhaftigkeit. Dies unterschlägt den begnadeten Schwätzer und Tänzer Kippenberger, der eben gerade so offen blieb für andere. Für einen wendigen, schnellen Dialog mit dem nächsten Umfeld und der Welt, für den ihm viel zu wenig Zeit blieb. (Claus Philipp /DER STANDARD, Printausgabe, 17.9.2007)


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