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06.07.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung
Mit Tränen gerechnet
VON ALMUTH SPIEGLER
Secession. Genzkens Pathos-Orgie im Horror-Kurhotel.

Sie gilt als wichtigste zeitgenössische Bildhauerin Deutschlands, hat drei "documenta"-Teilnahmen hinter sich, wird von einer der mächtigsten Galerien (Hauser & Wirth) vertreten und unter Künstlern sogar als einflussreichste Vertreterin ihrer Generation gehandelt.

Wer Isa Genzken (58) in Österreich bisher trotzdem nicht kannte, ihre Ausstellung 1996 in der Generali Foundation versäumt hat, wird spätestens diesen Sommer schwer um ihr ebenso schwer zugängliches Werk herumkommen - zurzeit eine fast ärgerliche Anhäufung von Baumaterialien, Spielzeug, Sitzgelegenheiten, Spiegelfolie, Fotografie.

Nur, allzu leicht sollte man vor Kunst nicht kapitulieren. Also erst einmal ab nach Innsbruck, in die Galerie im Taxispalais, wo gerade ein Überblick über Genzkens so ungefähr alle Medien verbindende Produktion seit den späten 80er Jahren geboten wird.

Sehr präzis präsentiert, pro Raum nur eine Werkgruppe. Und diese haben sich bei Genzken, bewusst nicht marktkonform, bewusst den männlich besetzten "typischen Stil" vermeidend, stets sehr unterschieden. Hat die in Berlin lebende Künstlerin noch mit spröden Betonskulpturen begonnen, sensibel schon vor 9/11 in fragilen Türmen die Angreifbarkeit des Kapitalismus verdeutlicht, tobt sie sich seit kurzem in einer unbehaglich schillernden Trash-Pathos-Orgie aus. Diese hat jetzt offensichtlich einen Höhepunkt in der Secession gefunden.

Unregelmäßig verteilt, direkt am Boden hat Genzken hier kleine, theatralische Szenen arrangiert. An vorderer Front sind es Rollstühle, verkleidet mit Stoffen, Geschenkbändern, Plastikplanen, Spiegelfolien. Auf dem einen ein mit Lack verschmiertes Katzenfoto, auf dem anderen ein Marien-Rundrelief, hinter dem nächsten eine Andachtsecke mit alter New-York-Ansicht umrankt von tristen Plastikblumen.

Dazwischen zwei Spielzeugziegen, auf deren Rücken silbern besprayte Baby-Puppen zusammengebrochen zu sein scheinen. Die Ziegenfüßchen stecken in echten, viel zu großen Fußballschuhen, aus einem ragt noch ein Plastikfisch - das ist reines Neo-Romantik-Dada mit einem Hauch morbider Science-Fiction. Passend dazu, im Hintergrund, wie auf der Terrasse eines Horror-Kurhotels, beschmierte Puppen auf Liegestühlen unter zerfetzten Sonnenschirmen.

In einem Eck das Bild des jungen Kafka, davor martialische Wächterfiguren, unheimliche Kleiderständer, behängt mit Grausigem wie Pistolen, Helmen, Bomberjacken. An der Wand, verlassen, zwei Paar Krücken, ein Plastiksackerl. Das ist zu viel.

Genzken hat sich hier mit ihrem "Terror der Gleichzeitigkeit und Austauschbarkeit aller Dinge und Materialien" (Benjamin Buchloh) übernommen. Permanent penetrant spielt sie auf zu viel Persönliches, zu viel "Genaueres weiß man nicht" an. Verrätselt im Detail, wirkt die Ausstellung als ein Ganzes, in der schier endlosen Aneinanderreihung emotional aufgeladener Requisiten nur mehr berechnend. Dass dann erzählt wird, zwei Besucher hätten zu weinen begonnen, wundert da eigentlich nicht mehr.

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