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11.05.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung
Kunsthalle Wien: Mehr LSD für Liegewiesen!
VON ALMUTH SPIEGLER
"Summer of love". Die Wiener Kunsthalle im unbedenklichen Sixties-Retro-Taumel.

Gut, Janis Joplins originales, schrill mit Blumen und fliegenden Fi schen bepinseltes Porsche-Cabrio steht in der Mitte, so blitzblank poliert, wie es laut Mythos sein Garagenplätzchen wohl nie hätte verlassen dürfen, oh Lord! Daneben die klobigen rot-blauen Buchstaben-Klötze, die Robert Indiana 1966 nur scheinbar wackelig zum knalligen "Love" stapelte. Und gleich dahinter breitet sich die amorphe rosa-lila Wohnhöhle des dänischen Star-Designers Verner Panton aus, zum Hineinkriechen und Niederlegen. Doch Achtung!, vorher Schuhe ausziehen, mahnen die Wärter, und sich nicht allzu erschöpft ins Textile fallen lassen: So weich und kuschelig, wie die Wogen und Kuhlen aussehen, sind sie doch wieder nicht.

Klingt alles nach ziemlich viel Spaß und hohem Publikumsfaktor - der Schirn Kunsthalle Frankfurt, wo "Summer of Love" nach Liverpool und vor Wien zu sehen war, brachte der Wohlfühl-Sixties-Zauber über 72.000 Besucher, in etwa die Hälfte der jährlichen Besucherzahl der Wiener Kunsthalle.

Wobei diese Popularität nicht gleich mit einem Revival erklärt werden muss. Die über 500 Exponate, davon 120 Posters, 20 Doku- und Experimentalfilme, Rauminstallationen, Gemälde, Fotos, Platten- und Magazincover, bedienen einfach risikofrei das Sentiment: Die damals aktive heutige Elterngeneration verfällt vor Jimi-Hendrix-Postern sowieso automatisch in Nostalgie, und ihre Kinder finden sich in ihrer hedonistischen Protesthaltung bestätigt. Schließlich sind Hippie und Gothic die zwei hartnäckigsten pubertären Grundhaltungen, die in muffigen Jugendbunkern noch jede andere Retro-Welle ausgesessen haben.

Die Ausstellung funktioniert wie ein buntes, etwas schleißig beschriftetes Archiv - für Wien um einen architekturlastigen (Hans Hollein, Zünd-Up, Haus-Rucker & Co) Österreich-Teil erweitert -, aber eben doch nur als Archiv. Da hilft auch der in alle Ecken dringende Kling-Klang-Zither-Sitar-Soundteppich nicht viel. Der Groove der Sixties schleift heute durchs Radio Wien, das Lebensgefühl, das durch permanente Ekstase den Weltfrieden schaffen will, hat angesichts der neoliberalen Rationalität nur eine Chance als exotisches Vitrinenstück.

Und selbst damals schon, als 1967 der "Summer of Love" tausende Hippies nach San Francisco lockte, um freie Liebe und freies LSD zu konsumieren respektive zu fordern, wurde ihre typische, von Jugendstil sowie indischer und tibetischer Ornamentik geprägte Ästhetik fließend von der Werbewirtschaft aufgesogen. Im Dezember 1967 etwa erschien bereits ein Playboy-Heft mit Psychedelic-Bunny am Cover - in all seiner ideologischen Perversion in der Ausstellung zu sehen. Gilt die Hippie-Bewegung doch als Brutstätte der Emanzipation.

So gesehen fällt niemand mehr auf, dass die nie so wirklich Underground gewesene Ex-Gegenkultur-Optik heute noch ungeniert für Marketing-Zwecke eingesetzt wird: Anlässlich der Ausstellung wird gleich der ganze "Sommer im MQ" in den runden fetten Psychedelic-Lettern beworben - "Die kulturellste Liegewiese der Stadt" wird wohl trotzdem keine LSD- und Marihuana-Orgien gestatten. Doch ohne diese Substanzen ging damals nun einmal gar nichts in der Kunst. Yayoi Kusama oder Isaac Abrams, der erst durch LSD-Konsum zur Malerei kam, verarbeiteten in ihren schwindlig machenden Werken ihre "Bewusstsein offenbarenden" Erfahrungen, wie Psychiater Humphrey Osmond die von ihm an Schizophrenen getestete Wirkung von LSD nannte. Was künstlerisch durchaus in peinliche Eso-Kitsch-Orgien ausarten konnte, etwa in Mati Klarweins "Kapelle" namens "Aleph Sanctuary" (1963-71), in deren "Freskenprogramm" nackte Frauen mit Idealmaßen einen Lebensbaum bekrabbeln.

Wo allerdings der von den Kuratoren beschworene große Einfluss von Psychedelic auf die heutige Kunst zu finden ist, das zu zeigen bleibt die Ausstellung uns schuldig. Sie gibt keine aktuellen Beispiele, verharrt in den 60er und beginnenden 70er Jahren. Ein historisches Phänomen eben, dessen Errungenschaften weniger im Ästhetischen als im Technischen liegen: Die 1966 gleichzeitig von Andy Warhol (mit Velvet Underground) in New York und Mark Boyle/Joan Hills (mit Soft Machine) in London entwickelten "Lightshows" begründeten die alle Sinne beanspruchende, alle Gattungen verbindende Erlebniskunst. Die allerdings heute sehr wohl auch politisch aufgeladen ist - und nicht wie damals eskapistisch eine halluzinatorische Gegenwelt zu Vietnamkrieg und Rassenunruhen vorgaukelt.

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