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12.11.2002 19:52

Seilschaft der Gartenzwerge
Ein Kommentar der anderen zu Kunstfeindlichkeit und Verwaltungsdenken



Zur Kontinuität von Kunstfeindlichkeit und Verwaltungsdenken in Österreich: Was eine so genannte Kulturnation - nicht erst seit der so genannten Wende - unter Kulturpolitik versteht. Eine freundliche Erwiderung von Michael Wimmer.




Im Kommentar von Martin Fritz "Politik, bitte Abstand halten" (STANDARD, 4. 11.) lese ich mit Schmunzeln die Forderung nach einer neuen Jobbeschreibung für Kulturpolitik. Und frage mich: Wie lautet eigentlich die alte Jobbeschreibung? Und wer soll die neue verfassen?

Können Sie sich vorstellen, dass das österreichische Parlament - in regelmäßigen Abständen nach einer breiten öffentlichen Diskussion ein inhaltlich ausgerichtetes kulturpolitisches Grundsatzprogramm beschließt (etwa zugunsten der Förderung kultureller Vielfalt, der Stärkung kultureller Kompetenzen junger Menschen oder ein Programm zugunsten neuer Beschäftigungsverhältnisse von Kulturschaffenden), das mehr als eine allgemeine Absichtserklärung darstellt, weil es ebenso an empirische Befunde wie an eine mehrjährige finanzielle Bedeckung durch den Staat gebunden ist?

Dieses Verfahren charakterisiert die niederländische Kulturpolitik. In Österreich hingegen erfolgte bisher nur ein einziges Mal die Implementierung eines "Kulturpolitischen Maßnahmenkataloges". Und das war vor mehr als 25 Jahren. Das muss Gründe haben. Und daher frage ich mich, ob die, die sich in diesem Land als Kulturpolitiker gerieren, ihr Engagement dazu verwenden, Kulturpolitik zu machen oder diese möglichst zu verhindern.

Als Indiz dafür, dass wir es hier nicht mit einem neuen Problem zu tun haben, beziehe ich mich auf einen bereits vor zehn Jahren erstellten Bericht des Europarates. Dieser hatte damals der österreichischen Kulturpolitik ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt. Von weitgehend unzusammenhängenden und konzeptlosen Maßnahmen war da die Rede, die es verunmöglichen würden, diese überhaupt als solche zu erkennen, einzuordnen oder gar auf ihre Wirkungen hin zu überprüfen.

Im Unterschied zu kulturpolitischen Standards, wie sie sich in anderen europäischen Ländern herausgebildet haben, muss sich Österreich nach wie vor damit abfinden, über keine nennenswerte kulturpolitische Grundlagenforschung zu verfügen. Eine Skurrilität, die in keinem anderen Politikbereich denkbar wäre. Nach dem Motto "Zahlen, Daten, Fakten sind der Kultur nur abträglich" verlassen sich österreichische Kulturpolitiker lieber auf ihre Instinkte und Gefühlsregungen, vor allem auf ihre persönlichen Seilschaften.

Sie bedienen sich damit der teuersten und zugleich ineffizientesten Form von Nicht-kulturpolitik: Überall wo es brennt, Deckel drauf und durch. In Zeiten von Budgetkürzungen muss halt mehr draufgehaut werden.

Der Europarat hat sich schon damals sehr verwundert gezeigt, dass sich der Kleinstaat Österreich in einer Art europäischem Ausnahmezustand befindet, der es sich leistet, eine inhaltlich-konzeptionell abgestützte Zusammenarbeit innerhalb und zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften tunlichst zu vermeiden.

Nichts gelernt

Stattdessen unterliegen die kulturellen Angelegenheiten im Kulturministerium anderen persönlichen Prioritäten als diejenigen des ebenso mit kulturellen Angelegenheiten betrauten Außenministeriums. Nicht zu reden von denen des mit Kunstangelegenheiten betrauten Bundekanzleramtes. Schließlich will man sich in der Pflege der jeweiligen Schrebergärten nicht dreinreden lassen.

Und was die Zusammenarbeit zwischen den Bundes-und den Landes- bzw. Gemeindeeinrichtungen betrifft, so ist - siehe das derzeitige Match Bund gegen Wien - in erster Linie (partei)politisches Konkurrenzdenken angesagt, ein Umstand, der die öffentliche kulturpolitische Diskussion vorschnell auf die Frage "Bist du dafür oder dagegen?" verengt.

Österreich hat aus den Empfehlungen des Europarates nichts gelernt. Stattdessen bestätigen die derzeitigen Popanze der Kulturpolitik, was uns das politische Regime der letzten Jahre noch einmal mit aller Drastik zu vermitteln versucht hat.

Machtvolle Mixtur

Österreich ist kein modernes Land. Es repräsentiert in seiner Mehrheit eine rurale Zone, die aus kommerzialisierter Volks- und Brauchtumspflege seine vielfältig politisch und ökonomisch instrumentalisierbare kulturelle Identität bezieht.

Und am östlichen Rand befindet sich die einzige mittelgroße Stadt, die alle Hände voll zu tun hat, ihr üppiges kulturelles Erbe zu bewältigen. Eine ideale Konstellation also, um traditionelle Kunstfeindlichkeit mit überbordendem Verwaltungsdenken, das Kultur als weisungsgebundenen Zusammenhang definiert, zu einer ebenso sprachlosen wie machtvollen Mixtur zusammenzuzwingen.

Kulturpolitik, lieber Martin Fritz, findet in einem solchen Umfeld bestenfalls an den Rändern statt. Dort immer wieder. Und immer wieder neu. Und - heute mehr denn je - mit ungewissem Ausgang. (DER STANDARD, Printausgabe, 13.11.2002)


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