Immer muß man sich entscheiden. Geht man rechts oder
links? In der Wiener Kunsthalle erreicht man jeweils dasselbe Ziel: viel
nacktes Fleisch. An einem Rückenakt von Francis Picabia kommt man nicht
vorbei, egal welchen Eingang man in die Ausstellung "Lieber Maler, male
mir . . ." wählt.
18 Künstler sollen durch ihre Bilder einen Überblick über
den realistischen Stil nach Picabia zu geben. Während des Zweiten
Weltkriegs hat dieser an der Côte d'Azur Akte gemalt. Ziemlich platt, als
wären sie Pin-ups für die Spinde der Soldaten.
Wenn man diese süßlichen Gemälde zum Anfangspunkt einer
Ausstellung macht, ist die Richtung vorgegeben - womit wir beim
unvermeidlichen Wort Kitsch angekommen wären. Denn Überraschendes und neue
Zugänge zum sogenannten Realismus findet man hier nicht. Realismus wird in
der Ausstellung praktisch ausschließlich mit dem Menschen-Abbild
gleichgesetzt. Und das wird zumeist alles andere als naturgetreu
wiedergegeben. Auch kein Fehler, aber eine Definition des Begriffs bleibt
man schuldig. So mischt man bunt durcheinander - Hauptsache figurativ.
Bäume, Blumen, Bären - Flora und Fauna - wurden überhaupt
ausgespart. Auf reißerische Namen wollte man allerdings nicht ganz
verzichten - doch halten sie sich mit Picabia, Bernard Buffet, Sigmar
Polke, Alex Katz, Martin Kippenberger in noch eleganten Grenzen.
Diese Meister bilden auch das Gerüst der Schau, die
vielen Jungen zeigen vor allem die Variationsmöglichkeiten. So malt Brian
Calvin ein Sittenbild der jungen Bohemien-Gemeinde in Los Angeles. Doch
nichts wirkt hohler als die großformatigen Bilder von Alex Katz, dem
tiefgekühlten Chronisten der New Yorker Upper-Class.
Da ist im Ausdruck schwer zu konkurrieren: Elizabeth
Peyton malt gemäßigt expressiv kleine Porträtbilder. Reizend. Nett ist
auch Carole Benzakens meterlange Gemälderolle, auf der sich ein
ausschnitthaftes Miniaturbildchen ans nächste reiht. Kurt Kauper hat einen
Hang zu Operndiven und bannt fiktive Primadonnen detailgetreu auf
Leinwand. Dafür stampert er den "realen" Cary Grant vom Podest, in dem er
ihn nackt posieren läßt - mit lächerlichen Bräunungsstreifen.
John Currin nimmt die Skalpell-Schönheiten aufs Korn mit
skurrilen Mega-Busen und entstellten Gesichtern und frönt dem Zitieren
historischer Stile von Rokoko bis Biedermeier. Ein Zitat ist auch der
Titel der Ausstellung, die in Kooperation mit dem Pariser Centre Pompidou
und der Schirn Kunsthalle in Frankfurt entstand: Er wurde eins zu eins von
Kippenbergers erster Personale in Berlin 1981 übernommen. - Auch ein Bild
aus der damals gezeigten Serie ist zu sehen: Kippenberger beauftragte
einen Plakatmaler mit realistischen Gemälden zu Themen seiner Wahl, um
sein Mißtrauen gegenüber dem Klischee des autonomen Malers auszudrücken.
Sein Vorsatz: "die Dinge, die man auf der Straße sieht, anders zu sehen".
Eine etwas andere Begegnung wird einem durch die Hängung
der Bilder in der Kunsthalle ermöglicht: Die meisten wurden eine Spur
unter Blickhöhe plaziert. So fallen die Schwellen, die Abgebildeten sind
mitten unter uns. Besonders schön funktioniert das bei den abgemagerten
Frauen von Bernard Buffet. Konsequent schauen sie am Betrachter vorbei.
Ihren Blick kann man nur suchen. Sie halten eine Spannung aufrecht, die
vielen fehlt. Denn "radikal" will heute niemand mehr sein.
© Die Presse | Wien