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Junge Kunst aus Indien startet durch

21.09.2008 | 18:49 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Bisher haben sich vor allem Inder für neue indische Kunst interessiert. Das wird sich bald ändern: Sammler wie Saatchi und Essl bereiten Ausstellungen vor, Galeristin Ursula Krinzinger setzt ebenfalls voll aufs Land ihrer Träume.

Die Frage kommt einem zwar peinlich vor, mit der geringen Indien-Erfahrung, die man selber machen durfte – aber seine Handflächen waren nun einmal hennarot. So, wie man es auf Indiens Straßen bei vielen sieht. Mysteriöses Indien, wem wird dadurch wohl gehuldigt, was hat das nur zu bedeuten? Dass der indische Künstler Sudarshan Shetty in der Wiener Galerie Krinzinger gerade die rote Farbe gemischt hat, die einem kleinen weißen Modellhaus aus den Poren dringen soll. So als ob das Haus weinen würde. So wie Dutzende Madonnenfiguren, denen das Wunder nachgesagt wird, Blut zu weinen. Da wären wir schon wieder. Bei den Assoziationen zu unserer eigenen Kultur (christlich), bei unseren Klischeevorstellungen über Indien (rote Hände).

Das ist das Neue an der Kunst von Sudarshan Shetty, 1961 in Mangalore geboren, und seinen Kollegen, die in den letzten Jahren langsam den internationalen Kunstmarkt und die Ausstellungsprogramme zu erobern begonnen haben: Ihre Werke sprechen eine Sprache, die auch im Westen assoziativ verstanden wird. Trotzdem verleugnen sie ihre Wurzeln nicht, bleibt ein Hauch Indien weiterhin spürbar, macht sie unverwechselbar, authentisch. Ein Schelm, wer dahinter eine Taktik vermutet, um am genau nach diesen Kriterien gierenden Kunstmarkt Erfolg zu haben (siehe Artikel unten).

„Meine Arbeit soll einfach offen sein für Interpretationen“, betont Shetty. Bewusst will er keine „indische“ Kunst machen. Und ist genau dadurch, meint er, indischer als viele andere. Trotzdem, das ist ihm klar und wichtig, kämen alle Informationen für seine Arbeit aus seiner Umgebung, dem Chaos von Mumbai. Etwa für die riesige klappernde Brilleninstallation in der Galerie, in der hunderte Billigsonnenbrillen auf hohen, sich zum Kreis schließenden Regalen aufgereiht wurden und sich mechanisch hin und hier bewegen. Steht man im wortwörtlichen Auge dieses Konsumtempels, ist es, als verfolgen sie einen mit ihren hohlen Gläsern. Ein Gefühl, wie durch Mumbais Straßen zu spazieren, meint Shetty. „Indien ist Teil meines Werks, aber es ist nicht die Überschrift über alles.“

Die Überschrift über seiner Wiener Ausstellung, seiner ersten Solo-Show im deutschsprachigen Raum, lautet vielmehr „Leaving Home“. Es gehe darum, wie häusliches Leben nicht sein sollte, aber häufig ist, erklärt Shetty. Und das scheint in Indien nicht anders zu sein als im Rest der Welt. Eine harte Teakholzpritsche mit einem sich maschinell bewegenden Hundeskelett darauf, straft vieles Lügen, was man mit gemütlicher Couchseligkeit sonst so verbinden möchte. Ein Phallus schwingt, maschinell getrieben, durch das Tor eines Modellhauses, erzählt von häuslicher Gewalt. Mit einer solchen freizügigen Arbeit könnte Shetty in Indien selbst Probleme mit Politikern des rechten Flügels bekommen, erzählt er auf explizite Nachfrage hin. Bisher aber sei er mit ähnlichen Objekten immer noch irgendwie davongekommen.

Nebenan rinnt im Inneren eines Glaskastens Milch über die Scheiben. Hinter diesem „Schleier“ erkennt man indisches Brot ausgebreitet liegen, das sehr an Buchteln erinnert. Man kann es weder erreichen, noch essen (es ist aus Keramik). Was allerdings keine plumpe Metapher indischer Armut sein soll. Sondern laut dem Künstler vielmehr den menschlichen Körper symbolisiere. Seit dem Erlebnis, einen ihm wichtigen Menschen im Spital sterben zu sehen, hat Shetty begonnen, mit Maschinen und Flüssigkeiten die Körper zu ersetzen, die in seinen Objekten und Installationen zwar überall zu spüren, aber nie konkret anwesend sind.

Shettys Ausstellung ist der Beginn eines neuen Schwerpunkts, mit dem Galeristin Ursula Krinzinger eigentlich eine lang gehegte Sehnsucht nach Indien stillen wollte. Jetzt ist sie mit ihrer Ausstellungsreihe, die bis nächsten Herbst ihre Entdeckungsreisen nach Indien – Bangalore, Mumbai, Neu Delhi – nachzeichnen werden, am Beginn eines internationalen Trends gelandet. Kurz nach ihr, erzählt sie nicht wenig stolz, traf schon der internationale Tross von Guggenheim, Moca Los Angeles und anderen Galeristen in Bangalore ein.


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