09.07.2003 22:29
Der einfühlsame Blick eines Revolutionärs
Die Fotografien von Che Guevara in Graz - Foto
Graz - Sein Abbild wird auch 36 Jahre nach seinem Tod in aller
Welt auf T-Shirts und Buttons getragen. Doch nur wenige Fans des gelernten
Arztes und "Comandante" der kubanischen Linken, Ernesto Che Guevara, wissen,
dass er sich selbst intensiv mit Bildern beschäftigte - als leidenschaftlicher
Fotograf.
Eine Ausstellung in Graz, die kürzlich in Anwesenheit seines
41-jährigen Sohnes Camilo Guevara eröffnet wurde, zeigt einen Teil der in den
40ern bis 60ern aufgenommenen Fotografien, die erst 1995 in Kuba entdeckt
wurden.
Die Bilder - etwa von Reisen durch Argentinien, Mexiko, China und
Indien oder von der Familie Che Guevaras - wurden in Valencia vor zwei Jahren
erstmals ausgestellt; nach Hamburg ist nun Graz die dritte Station weltweit: Der
Kulturverein "Che" holte die Sammlung nach Österreich, gezeigt wird ein Teil der
über 200 Fotos in der heuer eröffneten Galerie der "Akademie für angewandte
Photographie" am Geidorfplatz. "Die Auswahl wurde nach rein ästhetischen
Kriterien getroffen", erklärt Hermann Herzele von der Akademie. Er wolle die
Kunst und die - für seine Zeit - hoch entwickelte Technik des Fotografen Che
zeigen.
Auf scheinbaren Schnappschüssen, etwa von Gerätschaften auf dem
Deck eines Industriekahns wurde ein virtuoses Spiel von Licht und Schatten
inszeniert. Andere Bilder zeigen Passagiere eines Schiffs, die in kollektiver
Einsamkeit in die Ferne blicken wie Protagonisten aus Edward Hoppers Malerei.
Doch ein gänzlich unpolitischer Zugang zu den meisten Bildern ist angesichts des
bewaffneten Berufsrevolutionärs, der sie gemacht hat, kaum möglich.
Die
Aufnahmen von Arbeitern, Kindern in Armutsvierteln, Tabakplantagen,
Industriehäfen oder Fabriken sind zwar keine Propagandabilder im eigentlichen
Sinn, doch der einfühlsame, respektvolle Blick, mit dem Che Guevara, der Sohn
aus gutem argentinischen Haus, sich der armen Bevölkerung näherte, kann nicht
getrennt von seiner Biografie gesehen werden.
Der stolze Sohn
Ches Sohn Camilo, der sich in Havanna mit dem "Zentrum für Studien
über Che Guevara" um das Andenken seines vor 75 Jahren geborenen Vaters kümmert,
bat die Gäste der Ausstellungseröffnung, diesen nie zu vergessen. Auf die Frage,
wie man sich als Sohn einer "Popikone" fühle, meinte er: "Gut. Ich will nicht
lügen - ich fühle mich sehr stolz, Che Guevaras Sohn zu sein." Dass Graz seit
der Gemeinderatswahl im Jänner und den überraschenden 21 Prozent des
kommunistischen Stadtrates Ernest Kaltenegger den scherzhaften Beinamen
"Leningraz" führt, wusste Guevara junior vor seiner Reise nach Österreich nicht,
aber es freute in sichtlich.
Camilo Guevara und seine Schwestern Aleida
und Hilda sind selbst - als Säuglinge - auf einigen Fotos verewigt. Diese
gehören mit jenen der Ehefrau Aleida March und Ches Eltern in Buenos Aires zu
den sehr privaten und tatsächlich nicht ideologischen Exponaten der Schau.
(Colette M. Schmidt/DER STANDARD; Printausgabe, 09.07.2003)