Die 25. Biennale von São Paolo gehört - nach der
Biennale in Venedig - zu den Top-Events im zeitgenössischen Kunstbetrieb.
Zdenka Badovinac, Direktorin der Modernen Galerie in Laibach, hat heuer
den Österreich-Beitrag ausgewählt: einen Künstler namens Georg Paul
Thomann, dessen weitschweifige Biographie von der Wiener
Medien-Kunstgruppe "Monochrom" verwaltet wird. Seit der Ars Electronica
2000, wo "Monochrom" eine Installation von Thomann zeigte, schwirrt sein
Name durch die Kunstszene. "Die Presse" bat Thomann, real oder virtuell,
an den Computer.
"DIE PRESSE": Laut einer Agenturmeldung sagen Sie von
sich selbst, "Österreichs bekanntester nichtexistenter Künstler", ein
Phantom zu sein. Wer sitzt jetzt am Computer und beantwortet die
Fragen?
"Georg Paul Thomann": Es gab da Mitte der
Neunziger (so ungefähr als Kurt Cobain sich so furchtbar weh tat) einen
Cartoon: "On the internet nobody knows that you're a dog." Nun, in meinem
Seinsmodus als Hunzerl, tippe ich folgendes: Mich jetzt mit dem
unpassenden und irgendwie schon durch fünfzehn Diskursschläuche und
dreiundzwanzig Kontextblasen gehexelten Attribut "Phantom" zu bezeichnen,
nehme ich den Medien zumindest platonisch übel. Meine Frau
Presseassistentin hatte ein Zitat ausgeschickt, wo ich mich als
"Österreichs bekanntester unbekannter nichtexistenter Künstler, dabei bin
ich doch schon 55!" bezeichne. Das wurde dann sofort zu
"bekanntester nichtexistenter Künstler". Aber was soll ich sagen? Seit
Jahren bin ich ein sprudelnder Urquell an Selbstmystifikation und
Automultiplikation. Manchmal weiß ich schon gar nimmer, bin ich jetzt
Manderl oder P. Weibel.
1994 haben Sie angeblich einen Notar in ein Café
bestellt, der Ihr Palatschinken-Essen notariell beglaubigen sollte. Hat er
auch einen Bissen abgekriegt?
GPT: Nein, wissen Sie eigentlich, was der Mann an
mir verdient hat! Hätte ich dem was abgegeben, hätte man mir nachher
Transzendentalismus unterstellen können, und das ist in der
zeitgenössischen Kunstszene etwa das, was Homosexualität in der
Innenpolitik ist. Außerdem bin ich froh um jede Palatschinke, die essen zu
können mir zu inszenieren gelingt. Mein kleines Schwimmreiferl heißt
nicht, daß es mir gut geht, finanziell.
"Zeigen Sie mir jemanden, der mit seinem Informationshintern auf
so vielen sub-, hyper- und prägaleristischen Kirtagen gleichzeitig
gesessen ist!"
Mit 56 Jahren sind Sie nun offizieller Vertreter
Österreichs bei der Biennale in São Paulo. Laut Ihrer Biographie haben Sie
sich aber nie gerne vereinnahmen lassen . . .
GPT: Ich wurde ja schon 1983 nach São Paulo
eingeladen. Da ging's nicht. Ich hatte da etwas, was Katholiken "eine
Krankheit" nennen. Woher Sie die Information haben, daß ich ein
Verweigerer der kunstbetrieblichen Handwerks- und Zurschaustellungsmatrix
wäre, kann ich nicht sagen. Zeigen Sie mir jemanden, der mit seinem
fluktuierenden Informationshintern auf so vielen sub-, hyper- und
prägaleristischen Kirtagen gleichzeitig gesessen ist! Das sind doch
Zahlen, die könnte man vom Mond aus sehen, wenn man vom Mond aus überhaupt
was sehen könnte!
Warum wurden gerade Sie als Vertreter Österreichs
gewählt?
GPT: Die Kuratorin Zdenka Badovinac besuchte mich,
und wir gingen rund um die Burg Kreuzenstein einen spätkapitalistischen
Freizeitspaziergang machen. Ich hab' mit ihr über ein paar Projekte
gesprochen. Ich plante einen Skulpturenpfad, wußte aber nicht, ob es
"Michael Haneke lacht im Keller" oder "Erregt diskutierendes Publikum nach
Lynch-Film" werden würde. Das hat sie, glaub' ich, sehr amüsiert.
Wie wird Ihre Installation "Yes, Sir, I can network it
out, Sir!" , die Sie für São Paolo planen, aussehen?
GPT: Das Biennale-Motto lautet ja "Metropolitan
Iconographics". Von daher geruhe ich, mich selbst als Großglockner zu
porträtieren, das bin ich mir einfach schuldig. Um mich herum werden der
Tonki Gebauer, der Richard Wientzek, die monochrom und die netten jungen
Damen von 320x200 sich als Siedlungsprojekte lagern. Der Titel soll ein
bißchen als altväterliche Neoliberalismus-Kritik daherkommen. Sie
verstehen schon: so ein Methodenmix aus "Tausend Plateaus" und
Kontrollgesellschaft. Es geht irgendwie um eine Mischaussage, einerseits
so ein hochmoralisches gerümpftes Näseln, von wegen: "Der Neoliberalismus
ist ja zum Speiben!", und andererseits auch so ein bißchen um das Pathos
des "Sich-im-angesichts-des-Neoliberalismus-eigens-Erbrochenen-Wälzen".
Wann haben Sie die Gruppe Monochrom kennengelernt?
Warum haben Sie sie eingeladen?
GPT: Leute, die sich "Medienmogulerie" oder
"Theoriecocooning- und Bastelkollektiv" oder "Kultur aus Bodenhaltung"
nennen, haben bei mir schnell einen Cappuccino im Café Ritter gewonnen.
Die organisierten 1997 eine "Diskurs- und Gameshow" in den Hallen des
damalsnochnichtsoparanoiden Konrad "Flossi" Becker (Chef von "Public
Netbase, Anm. d. Red.). Da war ich mit von der Partie. Und dann
natürlich im Nulljahr 2000 ihre "Ars in der Manege", mit meiner
Installation "Anteil 04". Kunst kommt von Kummer - nicht von Können -
sonst hieße es ja Könst.
Ihre Arbeiten, Ihr Stil wurden schon als "pubertär"
bezeichnet. Machen Sie "Spaß-Kunst"?
GPT: Jede Kunst ist "Spaß-Kunst", lassen Sie sich
bitte von ihren Rowohlt-Monographien nichts vormachen. Flaubert war Stefan
Raab und Mallarmé Harald Schmidt. Oder umgekehrt. Eigentlich beginnt die
Spaßgesellschaft ja schon mit Hegels Weltgeist, der tagsüber als biedere
Dialektik arbeitet, aber nachts mit seinen Kumpels, dem kategorischen
Imperativ, dem transzendentalen Ich, der prästabilisierten Harmonie und
der romantischen Ironie um die Häuser zieht. Was ist denn DJ Ötzi anderes
als der vollends entfesselte Rembrandtdeutsche? Und Hitradio Ö3, ist das
nicht einfach Adalbert Stifter im Demokratisierungsanprall, also quasi mit
Werbeeinblendung?
Sie arbeiten als Maler, Musiker, Performance-Künstler,
Photograph, Filme-Macher. Wie definieren Sie "Kunst"?
GPT: Kunst ist darum so wichtig, weil nirgends
sonst die Infamie des Bestehenden so brutal hervorklafft. Einer der
exzellentesten Bildungsbürger der Welt, der Adorno, hat ja seine gesamte
"Theorie der Ästhetik" unter großartigen nervösen dialektischen Zuckungen
und einem herzzerreißend komplizierten Satzbau gegen diese imposante Wand
gefahren.
"Kunst muß weh tun."
Sicherlich sehe ich mich gerade darum als Künstler und
finde es gerade darum wichtig, den Begriff der Kunst nicht nur nicht zu
verabschieden, wie es ab und zu ja mal irgendwelche Leute wollen, damit
sich ihre Jugend hinterher gelohnt hat, sondern ihn mit aller vorrätigen
Hysterie durchzuhecheln.
In diesem Sinne muß Kunst wehtun: Denken Sie nur an den
Van Gogh und wie er sich das Ohr abgeschnitten hat. Das meine ich damit,
so weh, wie dieses Anekdoterl und seine aufdringlich-onkelhafte Moral
nebst der aufgetakelten Pathetik der Geste. Schon wenn ich daran denke,
fühle ich mich wieder wie als Kind, als ich mich immer beim
Wirtschaftswunder-Kaffeetrinken am Schlagobers sozusagen
kritisch-materialistisch überfressen habe.
Genau so muß Kunst wehtun. Wie ein Sodbrand, was man als
Österreicher so drauf hat. Ich finde jedenfalls, daß man dieses Ohr gar
nicht genug thematisieren kann. Ich will, daß es selbst den Japanerinnen
im Museum und den 16jährigen Dark Wavern zum Hals raushängt, das
Ohr vom Van Gogh.
"Ich möchte keine
Shakespeare-Metaphern in meinem Leben
haben."
Ich arbeite ohnehin gerade an einem diesbezüglichen
Bilderzyklus, den ich nach São Paulo fertigzustellen hoffe. Der
Arbeitstitel ist "Ohrwürmer der Abgeschmacktheit. Für Theo van Gogh". Ich
werde besagtes Ohr in die bescheuertsten Bilder der Kunstgeschichte
reinkopieren, z. B. in die "Ermordung des Jean Paul Marat" vom David, wo
ich einfach das Gesicht vom Marat durch das Ohr vom Van Gogh ersetzen
werde. Oder der Mona Lisa auf die Augen pappen. Also, ich kriege richtig
Gänsehaut, wenn ich daran denke.
Sehen Sie einen roten Faden in Ihrem Leben, Ihrer
Arbeit?
GPT: Da stochern Sie jetzt in einem wunden Punkt,
ja, Sie streuen Salz auf meine Stigmata. Bewußt, nehme ich an. Wissen Sie
eigentlich, daß die verblaßte Metapher mit dem roten Faden von Shakespeare
stammt? Und Shakespeare ist, das kann man gar nicht oft genug sagen, nicht
nur fast so unbegabt wie Franz Werfel, Michel Houellebecq und Rainhard
Fendrich zusammen, sondern irgendwie sogar der Niklas Luhmann der
Renaissance, zumindest was die Penetranz betrifft. Daher möchte ich keine
Shakespearemetaphern in meinem Leben haben. Ich habe ja schon genug zu tun
mit dem Ohr von Van Gogh.
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