diepresse.com
zurück | drucken
19.01.2002 - Kultur News
Das Ohr von Van Gogh - und ein Urquell an Selbstmystifikation
Österreichs Vertreter auf der Kunst-Biennale in São Paolo, die am 23. März eröffnet wird, diskutierte mit der "Presse" nur via Internet. Sein Name am Bildschirm: Georg Paul Thomann.
VON ALMUTH SPIEGLER


Die 25. Biennale von São Paolo gehört - nach der Biennale in Venedig - zu den Top-Events im zeitgenössischen Kunstbetrieb. Zdenka Badovinac, Direktorin der Modernen Galerie in Laibach, hat heuer den Österreich-Beitrag ausgewählt: einen Künstler namens Georg Paul Thomann, dessen weitschweifige Biographie von der Wiener Medien-Kunstgruppe "Monochrom" verwaltet wird. Seit der Ars Electronica 2000, wo "Monochrom" eine Installation von Thomann zeigte, schwirrt sein Name durch die Kunstszene. "Die Presse" bat Thomann, real oder virtuell, an den Computer.

"DIE PRESSE": Laut einer Agenturmeldung sagen Sie von sich selbst, "Österreichs bekanntester nichtexistenter Künstler", ein Phantom zu sein. Wer sitzt jetzt am Computer und beantwortet die Fragen?

"Georg Paul Thomann": Es gab da Mitte der Neunziger (so ungefähr als Kurt Cobain sich so furchtbar weh tat) einen Cartoon: "On the internet nobody knows that you're a dog." Nun, in meinem Seinsmodus als Hunzerl, tippe ich folgendes: Mich jetzt mit dem unpassenden und irgendwie schon durch fünfzehn Diskursschläuche und dreiundzwanzig Kontextblasen gehexelten Attribut "Phantom" zu bezeichnen, nehme ich den Medien zumindest platonisch übel. Meine Frau Presseassistentin hatte ein Zitat ausgeschickt, wo ich mich als "Österreichs bekanntester unbekannter nichtexistenter Künstler, dabei bin ich doch schon 55!" bezeichne. Das wurde dann sofort zu "bekanntester nichtexistenter Künstler". Aber was soll ich sagen? Seit Jahren bin ich ein sprudelnder Urquell an Selbstmystifikation und Automultiplikation. Manchmal weiß ich schon gar nimmer, bin ich jetzt Manderl oder P. Weibel.

1994 haben Sie angeblich einen Notar in ein Café bestellt, der Ihr Palatschinken-Essen notariell beglaubigen sollte. Hat er auch einen Bissen abgekriegt?

GPT: Nein, wissen Sie eigentlich, was der Mann an mir verdient hat! Hätte ich dem was abgegeben, hätte man mir nachher Transzendentalismus unterstellen können, und das ist in der zeitgenössischen Kunstszene etwa das, was Homosexualität in der Innenpolitik ist. Außerdem bin ich froh um jede Palatschinke, die essen zu können mir zu inszenieren gelingt. Mein kleines Schwimmreiferl heißt nicht, daß es mir gut geht, finanziell.

"Zeigen Sie mir jemanden, der mit seinem Informationshintern auf so vielen sub-, hyper- und prägaleristischen Kirtagen gleichzeitig gesessen ist!"

Mit 56 Jahren sind Sie nun offizieller Vertreter Österreichs bei der Biennale in São Paulo. Laut Ihrer Biographie haben Sie sich aber nie gerne vereinnahmen lassen . . .

GPT: Ich wurde ja schon 1983 nach São Paulo eingeladen. Da ging's nicht. Ich hatte da etwas, was Katholiken "eine Krankheit" nennen. Woher Sie die Information haben, daß ich ein Verweigerer der kunstbetrieblichen Handwerks- und Zurschaustellungsmatrix wäre, kann ich nicht sagen. Zeigen Sie mir jemanden, der mit seinem fluktuierenden Informationshintern auf so vielen sub-, hyper- und prägaleristischen Kirtagen gleichzeitig gesessen ist! Das sind doch Zahlen, die könnte man vom Mond aus sehen, wenn man vom Mond aus überhaupt was sehen könnte!

Warum wurden gerade Sie als Vertreter Österreichs gewählt?

GPT: Die Kuratorin Zdenka Badovinac besuchte mich, und wir gingen rund um die Burg Kreuzenstein einen spätkapitalistischen Freizeitspaziergang machen. Ich hab' mit ihr über ein paar Projekte gesprochen. Ich plante einen Skulpturenpfad, wußte aber nicht, ob es "Michael Haneke lacht im Keller" oder "Erregt diskutierendes Publikum nach Lynch-Film" werden würde. Das hat sie, glaub' ich, sehr amüsiert.

Wie wird Ihre Installation "Yes, Sir, I can network it out, Sir!" , die Sie für São Paolo planen, aussehen?

GPT: Das Biennale-Motto lautet ja "Metropolitan Iconographics". Von daher geruhe ich, mich selbst als Großglockner zu porträtieren, das bin ich mir einfach schuldig. Um mich herum werden der Tonki Gebauer, der Richard Wientzek, die monochrom und die netten jungen Damen von 320x200 sich als Siedlungsprojekte lagern. Der Titel soll ein bißchen als altväterliche Neoliberalismus-Kritik daherkommen. Sie verstehen schon: so ein Methodenmix aus "Tausend Plateaus" und Kontrollgesellschaft. Es geht irgendwie um eine Mischaussage, einerseits so ein hochmoralisches gerümpftes Näseln, von wegen: "Der Neoliberalismus ist ja zum Speiben!", und andererseits auch so ein bißchen um das Pathos des "Sich-im-angesichts-des-Neoliberalismus-eigens-Erbrochenen-Wälzen".

Wann haben Sie die Gruppe Monochrom kennengelernt? Warum haben Sie sie eingeladen?

GPT: Leute, die sich "Medienmogulerie" oder "Theoriecocooning- und Bastelkollektiv" oder "Kultur aus Bodenhaltung" nennen, haben bei mir schnell einen Cappuccino im Café Ritter gewonnen. Die organisierten 1997 eine "Diskurs- und Gameshow" in den Hallen des damalsnochnichtsoparanoiden Konrad "Flossi" Becker (Chef von "Public Netbase, Anm. d. Red.). Da war ich mit von der Partie. Und dann natürlich im Nulljahr 2000 ihre "Ars in der Manege", mit meiner Installation "Anteil 04". Kunst kommt von Kummer - nicht von Können - sonst hieße es ja Könst.

Ihre Arbeiten, Ihr Stil wurden schon als "pubertär" bezeichnet. Machen Sie "Spaß-Kunst"?

GPT: Jede Kunst ist "Spaß-Kunst", lassen Sie sich bitte von ihren Rowohlt-Monographien nichts vormachen. Flaubert war Stefan Raab und Mallarmé Harald Schmidt. Oder umgekehrt. Eigentlich beginnt die Spaßgesellschaft ja schon mit Hegels Weltgeist, der tagsüber als biedere Dialektik arbeitet, aber nachts mit seinen Kumpels, dem kategorischen Imperativ, dem transzendentalen Ich, der prästabilisierten Harmonie und der romantischen Ironie um die Häuser zieht. Was ist denn DJ Ötzi anderes als der vollends entfesselte Rembrandtdeutsche? Und Hitradio Ö3, ist das nicht einfach Adalbert Stifter im Demokratisierungsanprall, also quasi mit Werbeeinblendung?

Sie arbeiten als Maler, Musiker, Performance-Künstler, Photograph, Filme-Macher. Wie definieren Sie "Kunst"?

GPT: Kunst ist darum so wichtig, weil nirgends sonst die Infamie des Bestehenden so brutal hervorklafft. Einer der exzellentesten Bildungsbürger der Welt, der Adorno, hat ja seine gesamte "Theorie der Ästhetik" unter großartigen nervösen dialektischen Zuckungen und einem herzzerreißend komplizierten Satzbau gegen diese imposante Wand gefahren.

"Kunst muß weh tun."

Sicherlich sehe ich mich gerade darum als Künstler und finde es gerade darum wichtig, den Begriff der Kunst nicht nur nicht zu verabschieden, wie es ab und zu ja mal irgendwelche Leute wollen, damit sich ihre Jugend hinterher gelohnt hat, sondern ihn mit aller vorrätigen Hysterie durchzuhecheln.

In diesem Sinne muß Kunst wehtun: Denken Sie nur an den Van Gogh und wie er sich das Ohr abgeschnitten hat. Das meine ich damit, so weh, wie dieses Anekdoterl und seine aufdringlich-onkelhafte Moral nebst der aufgetakelten Pathetik der Geste. Schon wenn ich daran denke, fühle ich mich wieder wie als Kind, als ich mich immer beim Wirtschaftswunder-Kaffeetrinken am Schlagobers sozusagen kritisch-materialistisch überfressen habe.

Genau so muß Kunst wehtun. Wie ein Sodbrand, was man als Österreicher so drauf hat. Ich finde jedenfalls, daß man dieses Ohr gar nicht genug thematisieren kann. Ich will, daß es selbst den Japanerinnen im Museum und den 16jährigen Dark Wavern zum Hals raushängt, das Ohr vom Van Gogh.

"Ich möchte keine
Shakespeare-Metaphern in meinem Leben haben."

Ich arbeite ohnehin gerade an einem diesbezüglichen Bilderzyklus, den ich nach São Paulo fertigzustellen hoffe. Der Arbeitstitel ist "Ohrwürmer der Abgeschmacktheit. Für Theo van Gogh". Ich werde besagtes Ohr in die bescheuertsten Bilder der Kunstgeschichte reinkopieren, z. B. in die "Ermordung des Jean Paul Marat" vom David, wo ich einfach das Gesicht vom Marat durch das Ohr vom Van Gogh ersetzen werde. Oder der Mona Lisa auf die Augen pappen. Also, ich kriege richtig Gänsehaut, wenn ich daran denke.

Sehen Sie einen roten Faden in Ihrem Leben, Ihrer Arbeit?

GPT: Da stochern Sie jetzt in einem wunden Punkt, ja, Sie streuen Salz auf meine Stigmata. Bewußt, nehme ich an. Wissen Sie eigentlich, daß die verblaßte Metapher mit dem roten Faden von Shakespeare stammt? Und Shakespeare ist, das kann man gar nicht oft genug sagen, nicht nur fast so unbegabt wie Franz Werfel, Michel Houellebecq und Rainhard Fendrich zusammen, sondern irgendwie sogar der Niklas Luhmann der Renaissance, zumindest was die Penetranz betrifft. Daher möchte ich keine Shakespearemetaphern in meinem Leben haben. Ich habe ja schon genug zu tun mit dem Ohr von Van Gogh.



© Die Presse | Wien