Schwarzes und graues Wasser | |
Gestaltung von Lebensraum, die optimale Ausnutzung von Fläche und Energie sowie die Selbstbestimmung des Einzelnen bestimmen die Arbeit von Joep van Lieshout.
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Edwin Lipburger landete wegen
Amtsanmaßung im Gefängnis, nachdem er Anfang der 70er Jahre seine Republik
"Kugelmugel" im niederösterreichischen Katzelsdorf ausgerufen hatte.
Anders gehen heute niederländische Behörden mit einem künstlerischen Staat
im Staat um. AVL-Ville
liegt am Rotterdamer Hafen, hat eine eigene Verfassung und wurde im Rahmen
von Rotterdam Kulturhauptstadt 2001 einer
breiten Öffentlichkeit präsentiert. Der Niederländer Joep van Lieshout, der als Möbeldesigner und Bildhauer
begonnen hat, hat seinen mobilen Freistaat rund um sein Atelier van
Lieshout (AVL) im Hafen von Rotterdam gegründet. Der erste offizielle
Staatsbesuch findet in der Wiener BAWAG Foundation statt. Bis 26. August
sind unter dem Titel "Schwarzes und graues Wasser" in Wien Objekte aus
"AVL-Ville" zu sehen - von Entwurfszeichnungen für Sexroboter und
Maschinengewehre bis hin zur mobilen Denkzelle und zur
Komposttoilette.
Kunst, Design, Leben "Es interessiert mich nicht, nur Kunstgegenstände zu schaffen. Ein Werk
sollte auf mehreren Ebenen funktionieren - als Kunst, Design und Leben,"
charakterisiert van Lieshout seine Arbeit in einem Interview mit dem
Magazin Artforum.
AVL-Ville funktioniert weniger wie eine Kommune als wie ein
Wirtschaftsunternehmen. Von den 35 StaatsbürgerInnen wohnen bisher nur
fünf auf dem Staatsgelände, der Rest arbeitet lediglich im Atelier.
AVL-Ville hat u.a. eine eigene Fahne und Währung und eine Verfassung, in
der Freiheit, Ehrlichkeit und Gleichheit als absolute Werte verankert
sind. Im Übrigen sind Moral und Politik jedem selbst überlassen.
Schwimmende Abtreibungsklinik Das Team um Lieshout macht Kunst, die ihre Autonomie dazu nützt, die
Welt zu erobern: AVL-Ville ist ein mobiler Staat mit Wohncontainern, einer
Farm, zwei Krankenhäusern - darunter eine schwimmende Abtreibungsklinik
für Frauen aus Ländern, in denen Abtreibung verboten ist -, einer Akademie
(mit einem speziellen Bildungsangebot wie etwa "Freunde dich mit einer Kuh
an" oder "Mach etwas ganz langsam"), ein Restaurant und
Transportunternehmen - auch für auswärtige Gäste - und eine Waffenfabrik.
"Ohne eigene Armee wird ein Staat nicht ernst genommen", so van Lieshout,
den an der Waffenproduktion neben dem künstlerischen auch der Aspekt der
Provokation interessiert. "Wiener Küche" Sämtliche Gebrauchsgegenstände werden im eigenen Atelier - und zwar nie
als Unikate - hergestellt, wobei van Lieshout mit Vorliebe Polyester
insbesondere als Verkleidungsmaterial verwendet und technisches
Raffinement mit ökologischem Anspruch und Design verbindet.
In der BAWAG Foundation ist neben der beeindruckenden türkisfarbenen,
drei Meter hohen Komposttoilette eine Wasser-Kläranlage aus drei mit
verschiedenfarbigen Schläuchen verbundenen Tanks und Filterwannen zu
sehen. Für Wien entstanden außerdem die "Wiener Küche" u.a. mit
Schlachtblock, Gulaschkanone, Waschbecken und Räucherofen, sowie ein
"Wiener Esszimmer" - eine lange Holztafel mit Stühlen und "AVL-Männern"
aus Polyester. Dem Betrachter steht es frei, wie er sich den Arbeiten
nähern möchte. Mobile Denkzelle
Akkumulatoren des österreichischen Psychiaters Wilhelm Reich. In diesen Reich'schen "Sex-Kisten" wirkt, Reich zufolge, eine rätselhafte, eigene Lebenskraft, die von ihrer eigenen Konzentration angezogen wird und in geschlossenen Räumen am besten funktioniert. Ein multifunktionaler Wohncontainer van Lishouts war bereits in Wien zu
sehen: Studenten und Passanten genossen letzten Winter Punsch und Musik
vor der Keks-Hütte
im Ressel-Park.
Modell mit Zukunft Van Lieshout sieht AVL-Ville übrigens durchaus als ausbaufähiges Modell
mit Zukunft. "Wir würden gerne expandieren und ein weltweites
Franchising-System aufbauen. Keinen Staat, der größer und größer wird,
sondern Inseln über den Raum verteilt: AVL Westküste, AVL Ostküste, AVL
Asien." Tipp: "Schwarzes und graues Wasser", Arbeiten des Ateliers van Lieshout (AVL), von 10. Mai bis 26. August in der BAWAG Foundation, 1., Tuchlauben 7a; täglich von 10 bis 18 Uhr. | ||||||||||||