text breit  text schmal  
drucken 

derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst | Ars Electronica 2004 
18. August 2004
19:40 MESZ
Von
Franz Niegelhell

 
Weg mit den verdammten Rückspiegeln
Eine Zeitreise von der Vergangenheit in verschiedenste Utopien

Die Ars Electronica, das Linzer Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft, blickt in die Zukunft. Und feiert gleichzeitig ihr 25-jähriges Jubiläum. Eine Zeitreise von der Vergangenheit in verschiedenste Utopien.


Linz - Timeshift - Die Welt in 25 Jahren verspricht einen Zeitsprung in die Welt von morgen. Oder zumindest eine Vorschau auf die Möglichkeit von Zukunftsutopien. Gleichzeitig feiert die Ars in diesem Jahr ihr 25-jähriges Jubiläum. Ein paar Blicke in die eigene Vergangenheit sollen deshalb mithelfen, diesen Blick in die Zukunft zu schärfen.

Wenn man sich vergegenwärtigt, dass diese 25 Jahre vom so genannten Vierteltelefon bis hin zur Videokonferenz, von einstigen Großrechnern, die ganze Zimmerfluchten brauchten und deren Rechenleistungen heutigen PCs nicht mehr nahe kommen, geführt haben, so ist das schon eine ganze Reihe von Entwicklungen, die seit 1979 passiert sind. Die jubiläumstechnischen Gründe für eine Zeitreise in die Vergangenheit dienen bei der heurigen Ars also als Hintergrund für die Zukunftsvorschau.

Um die Inhalte des diesjährigen Programms zu veranschaulichen, erzählen die Verantwortlichen Christine Schöpf und Gerfried Stocker eine Anekdote: "Ich werfe den verdammten Rückspiegel aus dem verdammten Fenster, weil ich nicht wissen will, woher ich komme, sondern wohin ich fahre", soll der amerikanische Architekt Frank Lloyd Wright einmal in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts gesagt und dabei tatsächlich den Rückspiegel des Autos abgebrochen und beim Fenster rausgeworfen haben - was für eine fantastische Anekdote. Aber das war noch vor dem Holocaust, vor Hiroshima, vor Vietnam, vor dem ersten Mondflug, vor Tschernobyl, vor 9/11 und dem Irakkrieg, vor der Entdeckung der DNA-Doppelhelix, vor Dolly, dem geklonten Schaf, vor der Entschlüsselung und Patentierung ganzer Genome, vor der Entwicklung des Transistors, vor dem Zeitalter der digitalen Simulation, vor dem Aufbau des Internets und dem Siegeszug von Mobile Phones und Computergames. Ziemlich viel an Zukunft, die mittlerweile in unserem Rückspiegel liegt - was liegt vor uns?"

Welche Trends werden es also sein, die - ausgelöst durch technologische Entwicklungen - unsere Zukunft beeinflussen und ausmachen?

Timeshift - Die Welt in 25 Jahren bietet deshalb ein umfangreiches Programm mit zahlreichen Ausstellungen, Events und Konferenzen, das aus Anlass des Jubiläums um eine Reihe von Sonder- und Themenveranstaltungen erweitert wurde. So dauert die Ars heuer auch sieben statt wie bisher fünf Tage.

Um mögliche Antworten auf die Frage, was vor uns liegt, geben zu können, liegt ein Schwerpunkt auf der Frage, ob sich im Laufe der Zeit ein reiferer Umgang mit Zukunftsprognosen (manche werden unhinterfragt allgemein gehypt, wie etwa die Biotechnologie, andere, wie die Gentechnologie, von vornherein verdammt) entwickelt hat. Und es geht - mittlerweile schon gute Tradition bei der Ars - um die Frage, welche Rolle(n) Kunst in diesem Zusammenhang spielen kann.

Kunst, so ist man sich bei der Ars sicher, kann mithelfen, Bewusstsein aufzubauen für diese gesellschaftlichen Wandelerscheinungen. Kunst kann die Rahmenbedingungen, unter denen solche Transformationsprozesse ablaufen, in einer kritisch-analytischen Weise reflektieren - ein Reflektieren über kulturelle, systemische, gesellschaftliche Funktionsweisen und Implikationen, die die Technologien mit sich bringen.

Wie überhaupt vieles, was heute technologischer Common Sense ist, von Künstlern erstmals verwendet wurde. Electrolobby - Artists do it first ist angesichts des Jubiläums auch ein passender Programmpunkt, ein stolzer Blick in den Rückspiegel. Die History Lounge für die Archive der Ars Electronica gibt spannende Einblicke in diese produktive Nutzung neuer Technologien. Ob Slowscan und Tele-Faksimile bei der Welt in 24 Stunden, Reality-TV bei Hotel Pompino und im Stadtwerkstatt TV, "global datastreams" und "telecollaboration" bei realtime . . . viele heute selbstverständliche Medienformate und -nutzungen wurden von Künstlern erstmals erprobt, gestaltet, definiert.

Nun gelte es, so Gerfried Stocker, künstlerische Sichtweisen im Zusammenhang mit den Chancen und Gefahren der neuen Schlüsseltechnologien (Biotechnologie, Nanotechnologie, Gentechnologie) als tragfähige Beiträge für die Bewältigung dieser zukünftigen Herausforderungen erkennbar zu machen.

Nur Kunst, Wissenschaft, Wirtschaft alleine zu betrachten greife zu kurz: "Man muss den Aspekt der Gesellschaft, all das, was sich an kultureller und gesellschaftlicher Dynamik entwickelt und entfaltet, mit einbeziehen . . ." Alle Aspekte zusammen ermöglichen erst ein Verständnis von gegenwärtiger Gesellschaft. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19. 8. 2004)


© 2004 derStandard.at - Alle Rechte vorbehalten.
Nutzung ausschließlich für den privaten Eigenbedarf. Eine Weiterverwendung und Reproduktion über den persönlichen Gebrauch hinaus ist nicht gestattet.