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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst | Aufregung um Muehl 
02.03.2004
20:09 MEZ
Bis 31. 5. im MAK
 
Otto Muehl - eine Selbstbesteigung
Das Museum für angewandte Kunst zeigt "Otto Muehl - Leben/Kunst/Werk - Aktion Utopie Malerei"

Die Schau versteht sich als Versuch, den Zusammenhang von Otto Muehls höchst unterschiedlichen Werkphasen retrospektiv verständlich zu machen.

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Wien - Die MAK-Ausstellungshalle im Obergeschoß in der Weißkirchnerstraße eröffnet zwei Möglichkeiten, in die Retrospektive auf das Werk von Otto Muehl einzusteigen: Nimmt man deren erste Tür und wendet seinen Blick sogleich nach rechts, sind jüngste Arbeiten zu sehen: "electric paintings", Computeranimationen der eher einfachen Natur, und gleich dahinter eine Gruppe von Bildern mit Acryl, Eiern, Kot und Urin; daneben hängen höchst einfache Darstellungen gefräßiger Haie.

Die hintere der Türen lässt den Besucher chronologisch dort beginnen, wo Muehl künstlerisch der Knopf aufging: Bei seinen Gerümpelplastiken, u. a. Ergebnisse einer - im 20. Jahrhundert üblichen - brachialen Überwindung des Tafelbildes. (Lucio Fontana hatte 1958 begonnen, die Leinwand aufzuschlitzen, und damit das Tafelbild ebenso zerstört wie in die dritte Dimension gehoben.)

Daneben finden sich fotografische und filmische Dokumente diverser Materialaktionen ab 1963. Dem folgen, in der Ausstellung eher knapp gehalten, Dokumentarmaterialien zu Muehls sozialer Utopie, der Kommune, die er ab 1970 in seiner 120-m-Wohnung in der Wiener Praterstraße als alternative Lebensform zu entwickeln begann. Muehls AA-(Aktionsanalyse-)Parabeln zeigen, welche Anleitungen er den Kommunarden zur "Selbstanalyse" anbot, eine Serie von Siebdrucken aus 1976 schildert - illustrierten Hausordnungen gleich und dementsprechend spießig in Sprache und Darstellung - das Regelwerk.

Anstatt der zehn Gebote aus der Welt der "Wichtel" verhängte Muehl deren zwölf, etwa: "Du sollst nicht eifersüchtig sein!", gewährte acht AA-Menschenrechte und formulierte neun Grundlagen zum AA-Kinderaufwachsen. Covers der Kommunenzeitschriften FF-Frauenforderung und AA-Nachrichten, einige Plakate und Fotos ergänzen den Abschnitt der Schau.

Der verbleibende - größte - Teil ist dem Maler gewidmet. Biedere Versuche nach Cézanne oder van Gogh (Alter Heuwagen) belegen die Anfänge. Die Materialbilder und Aktionsmalereien aus 1962/63 repräsentieren im Kontext der Aktionsdokumente und Gerümpelplastiken den zumindest für die heimische Kunstgeschichte unbestritten historisch relevantesten Beitrag Otto Muehls. Dem folgen Paraphrasen auf van Gogh bzw. mythologische Themen.

Wider die Ordnung

Und immer wieder Porträts: Muehl näherte sich dem Gesellschaftskörper nicht nur durch radikales Infragestellen dessen innerer Ordnung und Organisation, er suchte auch immer wieder in Porträts von Repräsentanten der "Wichtelgesellschaft" dessen Wesen zu veranschaulichen. Von Franz Jonas über Anton Benya über Moshe Dayan zu Charles de Gaulle und Ho Chi Minh - Muehl bediente sich der Pop-Art und ließ die Größen des 20. Jahrhunderts ebenso höchst bunt in repräsentativen Posen lächeln.

Ende der 80er-Jahre wiederholte er den Einfall mit stilistisch veränderten Mittel und anderen Darstellern. Auch er selbst erscheint nun mit Zigarre unter den Großen und Mächtigen, fordert Gleichstellung und Mitsprache. Mit dem Schüttbild Marx Brothers (Lenin, Marx, Stalin) bringt er den Kollegen im Aktionismus Hermann Nitsch in die Debatte ein, zwischendurch nähert er sich den Darstellungskonventionen der alten Ägypter, dann wieder reduziert er Landschaften auf mit der Rakel gezogene monochrome Schlieren oder wendet sich neuen Varianten der Leitmotive Ficken, Samen- bzw. Urinverspritzen zu. Um endlich wieder Kot in die Phantasie eines Blockwarts einzubringen.

Der Bogen schließt sich. Und zeigt, dass Muehl, der Aktionist, Muehl, der Chefkommunarde, und Otto Muehl, der Maler, nicht getrennt voneinander zu verhandeln sind, es wie bei jedem anderen Künstler auch keinen Sinn ergibt, das Werk vom Leben zu isolieren. Die Kernfrage, die diese Ausstellung stellt, ist die nach Muehls Bedeutung als Künstler. Und die Schau - eine erste Möglichkeit, die oft parallel zueinander produzierten, formal wie inhaltlich so unterschiedlichen Werkgruppen zusammen zu sehen - zeigt keinen Erfinder. Keinen, der das Malen selbst wesentlich erweitert hätte.

Und sie zeigt auch keinen Intellektuellen, dem vermittels ausgetüftelter Konzepte daran gelegen wäre, die Kunstgeschichte voranzutreiben. Die Schau im MAK zeigt einen Breitbandempfänger, einen, der aus der Umwelt nimmt, was ihm passt, sich ein Bild zu machen - von anderen und oft genug bloß von sich selbst. Einen, der imstande ist, mit fahrlässigen Zitaten, bockigen Beharren auf sich selbst als oberste Wahrheit, mit beliebigen Medien und anderer Künstler Stile ab und an höchst eigenständige, bisweilen beißend witzige Produkte auszuwerfen.

Auch wenn die Selbstinszenierung über Strecken durchhängt, ab und an gelingt ihm Gültiges zum Umgang seiner Generation mit der Welt. Aufgabe Kunst erfüllt! (Markus Mittringer/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3. 3. 2004)


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