Hauptausgabe vom 16.09.2002 - Seite 007
Die Macht weiß: Das Wort kann entzünden

VON FRANZ SCHWABENEDER

Seit 37 Jahren lebt der iranische Schriftsteller SAID im Exil in Deutschland. Die LIVA hat ihn eingeladen, zur Eröffnung des Brucknerfestes 2002 die Festrede zu halten. Einen Tag zuvor war Gelegenheit zu einem Gespräch mit SAID.

OÖN: Eine Ihrer größten Hoffnungen sei es, "mit Salman Rushdie in Teheran einen Tee trinken". Wann könnte sich diese Hoffnung erfüllen?

SAID: Ich fürchte nie. Meine Einschätzung besagt, dass die Herrschaften länger an der Macht bleiben als befürchtet. Wer, in Gottes Namen, ist denn an dem Sturz der Mullahs interessiert, außer mir oder vielleicht Ihnen?

OÖN: Die Vertreibung ins Exil ist eine der eindrucksvollsten Praktiken der politischen Macht. Die Liste reicht von Vergil bis Stefan Zweig, Pavel Kohout bis zu Ihnen. Was macht einen Dichter so existenziell gefährlich?

SAID: Die Macht weiß: Das Wort kann entzünden; nicht sofort vielleicht, aber unter gewissen Umständen. Im Iran gab es eine Liste mit verbotenen Wör- tern für die Lyrik. "Morgendämmerung" etwa unterlag der Zensur. Die Befürchtung der Machthaber ist verständlich, denn sie wissen, dass sich die Machtverhältnisse ändern können¼

OÖN: Sie sind gewissermaßen ein doppelt Exilierter: zunächst durch das Schah-Regime, dann durch die Mullahs. Politik und Religion - sind sie nicht gelegentlich wesensverwandte Diktaturen?

SAID: Das glaube ich nicht. Religion ist nie menschenfeindlich, außer sie greift zur Staatsmacht. Dann wird es gefährlich. Und am schlimmsten ist es, wenn eine Diktatur die Religion im Rücken hat. Ein Beispiel: Im Iran-Irak-Krieg hat Khomeini zu den Soldaten gesagt: Wer im Kampf fällt, kommt ins Paradies. Das ist ungeheuerlich.

OÖN: In Ihrer literarischen Arbeit und in Ihrer bewegenden Festrede spielt das Thema der Unbehaustheit eine entscheidende Rolle. Ist dies aber nicht auch eine große Chance für die Fremde, in der Sie selbst leben? Nämlich einen Menschen hier zu haben, der mit den Augen des Außenstehenden schärfer und tiefer blickt oder sagen wir analytisch genauer?

SAID: Die Chance ist eine gegenseitige. Der Blick des Fremden ist sicher sehr wichtig, gerade jetzt zum Beispiel, wo in Europa wieder die Nationalismen wachsen; ein Anachronismus. Wer sich aber als Fremder in ein Ghetto einschließt, der hat keine Chance. Das heißt, er muss sich öffnen, sich auf die Sprache einlassen, sie erlernen. Denn nur so kann er sich mitteilen. Dann können beide Seiten aus diesem Fremdsein in einem Land profitieren.

OÖN: Der republikanische Kriegstreiber Bush rüstet zum Krieg, unterstützt von seinem Büttel in Britannien. Nun hat gerade die USA eine Phalanx ganz starker gesellschaftskritischer Stimmen: von Norman Mailer über Philip Roth, T. C. Boyle oder Susan Sontag, die gegen diese Politik der Rache und des kapitalistischen Imperialismus anschreiben. Ist Schreiben letztlich nicht ein ohnmächtiges Gewerbe?

SAID: Anfangs haben wir darüber gesprochen, dass die Macht sich vor der Zündkraft des Wortes fürchtet. Die USA aber ist zu einer Spaßgesellschaft geworden, in der die Schriftsteller nicht ernst genommen werden. Man gestattet den Autoren eine kleine Nische, eine Narrenecke, da können sie dann provozieren, wie sie wollen. Wer, glauben Sie, kennt in Amerika denn wirklich Norman Mailer? In Europa ist die Stimme des Schriftstellers gewichtiger, weil die Stimme der Freiheit, der Liberalität, auch der Provokation mehr gehört wird.

OÖN: Sie sind innerhalb des PEN-Clubs Beauftragter für "Writers in prison". Ist dies reine Sisyphusarbeit oder haben Sie auch ermutigende Momente erlebt?

SAID: Es ist keine Sisyphusarbeit, aber es sind die kleinen Schritte, die zählen. Allein wenn wir uns für einen gefangenen Autor einsetzen und der PEN-Club Deutschland oder der USA erhebt die Stimme, dann wird man schon vorsichtiger im Umgang mit dem Gefangenen. Oder wenn es gelingt, 50 Euro zu sammeln und zu überweisen, dann kann der Gefangene zwei Monate besser leben. Oder Medikamente an einen Eingesperrten zu übermitteln¼

OÖN: Sie sind, wie Sie es so wunderschön formuliert haben, "mit aufgerissenen augen und einem dritten ohr" ein persischer Autor in Deutschland. Sagen wir, der Weg in die Heimat wäre offen: Stünden Sie nicht dort abermals "mit aufgerissenen augen und einem dritten ohr" in einer fremden oder entfremdeten Welt?

SAID: Ich will es so unpathetisch wie möglich sagen: Wer so lange im Exil gelebt hat, der wird nie mehr heimisch. Würde mich diese Gesellschaft überhaupt wollen? Der Begriff Vaterland ist eine statische Angelegenheit im Kopf. Wer es so lange entbehrt hat, dem wird das Stigma des Exils bleiben.


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