Galerien
Adidas von Samothrake
(cai) Was ist ein Paradox? Jedenfalls kein männliches, kastriertes
Rindviech beim Almabtrieb. Aber vielleicht nach Westen zu segeln und
sich dabei eigentlich nach Osten zu bewegen. Und "East by South West",
das Motto des "Curated by"-Projekts, wo Profi-Kuratoren mit Wiener
Galerien zusammenarbeiten, das klingt mir sehr nach dieser
Kolumbus-Logik. Ähm, solldas heißen, wenn wir nur lange genug nach
Südwesten marschieren (und schwimmen), sind wir irgendwann in Sibirien
oder so? Passenderweise hat sich die Galerie nächst St. Stephan als
Kurator einen gebürtigen Polen ausgesucht, der jetzt Direktor der
Kunsthalle Basel ist. Denn womöglich hat Adam Szymczyk ja eines Morgens
das Haus verlassen und ist stur nach Nordosten gegangen, bis er in der
Schweiz gelandet ist.
Sein auserwählter Künstler, Daniel Knorr, ist sogar einer, der, wenn
er sich in Berlin schlafen legt, in Wiendas Licht löscht. Ein rotes
Lamperl. Per Fernsteuerung.Hm. Minimalistischer Exhibitionismus? Ein
"richtiger" Aktionist würde ja nicht das Licht ausmachen, wenn er ins
Bett geht, sondern umgekehrt: ins Bett machen, sobald das Licht ausgeht
(und dann das Leintuch ausstellen). Zum Arbeitsplatz des Kurators gibt’s
auch eine Liveverbindung. Ein Monitor zeigt den Grundriss
der Kunsthalle Basel und jeder Punkt ist ein aktueller Besucher. Soll
die Wiener Galerie da neidig sein? Na ja, dafür hat sie was, was dem Louvre
fehlt: die Arme der Venus von Milo. Die Marmorprothesen sind sicher
einfeministisches Manifest. (Die Anatomie ist kein Schicksal!) Als
nächstes wird der Knorr noch der Adidas von Samothrake einen Kopf aufsetzen. (Äh: der Nike .) Seine Matrjoschka freilich wird der Alice Schwarzer wohl nicht
gefallen. (Diese schwangere Puppe der russischen Folklore. Das
"Gebärmütterchen Russland" sozusagen.) Besucher zählen und Arme wie
fehlende Beistriche hinzufügen, das ist aber witzig pedantisch.
Galerie nächst St. Stephan
(Grünangergasse 1)
curated by_adam szymczyk
Bis 18. Juni
Di. – Fr.: 11 – 18 Uhr, Sa.: 11 – 16 Uhr
See you later, elevator
(cai) Ein bissl fühlt man sich wie in einem dieser Architektur-Witze,
die anfangen mit "Zwei Hochhäuser sitzen im Keller". Nur dass sich in
den Keller vom Mauroner bloß ein Hochhaus verirrt hat. Quasi.
Allerdings gleich das höchste der Welt. Und wie hat das slowenische Duo
son:DA dieses Vier-Kilometer-Trumm (mindestens!) gebaut? Mit einem
billigen Trick. Man hat zwei Aufzugstüren an der Kellerwand montiert und
die öffnen sich halt einfach nie, weil die Lifte niemals unten ankommen
(und weil sie nur gezeichnet sind – mit der Computermaus). Einer
befindet sich laut Anzeige grad im 981sten Stock. Der ultimative
Wolkenkratzer ist also rein virtuell. Und obwohl die Illusion alles
andre als perfekt ist, zieht sie einen in ihren Bann. Die kokett
ausgestreuten, gezeichneten Zigarettenstummeln, die sich vor den Liften
verdichten, sind sowieso das Pixerl auf dem i. Ein Leitsystem, das ins
Zentrum des Wartens führt. Tja, die zwei von son:DA amüsieren sich
offenbar köstlich über den Alles-ist-möglich-Glauben. (Kennen Sie
übrigens den? Ein Hochhaus lungert im Keller herum und wartet auf den
Aufzug.)
Galerie Mario Mauroner
(Weihburggasse 26)
curated by_ivica buljan
Bis 18. Juni
Di. – Fr.: 11 – 19 Uhr, Sa.: 11 – 16 Uhr
Sind Dokumente Kunst?
(cai) Wenn uns Arseniy Zhilyaev gefundene Fotos und ein Interview mit
einem Schwarzhändler vorsetzt, ist das ja mehr informativ als kreativ.
Und wenn die Tatsachen auf Skateboards picken? (Wie Alina Gutkina das
mit Vermisstenanzeigen von Jugendlichen macht.) Dann ist das originell.
Und stimmig. Mit den Mitteln der Recherche die Postsowjet-Ära fassen zu
wollen, ist eben riskant. Diese jungen Russen tun es trotzdem.
Galerie Grita Insam
(An der Hülben 3)
curated by_joseph backstein
Bis 18. Juni, Di. – Fr.: 12 – 18 Uhr, Sa.: 11 – 16 Uhr
Printausgabe vom Mittwoch, 18. Mai 2011
Online seit: Dienstag, 17. Mai 2011 16:52:00