Neben mir ein gar nicht beruhigender Unvertrauter, Vivienne Westwoods Sohn Joseph Corré, sleeker Brite, angeblicher Ex-Punk und der weltweit einflussreichste Lingerie-Designer, der Frauen seit einigen Jahren in boudoirartiger Shop-Atmosphäre glauben lassen will, dass lächerlich baumelnde Quasteln auf ihren Brustwarzen sie zu ultimativen Agents Provocateurs männlicher Lustbilder werden lassen.
Und eine
Sekunde hoffte ich im Stillen tatsächlich, dass Rubens Fleischeswucht
den mit Worten wie Stoffen so kargen Dessous-Guru saulusmäßig auf die
Knie pressen und verkünden lassen würde: Nie mehr Dinnercancelling! Nie
mehr optische Folter mit computergeglätteten Frauenkörpern. Nie mehr...
„Nein, das habe ich mir alles nie überlegt.“ Sagte der Chefagent. Und
meinte das nicht einmal provokant. Aus. Der Traum. Das Essen. Der Spaß.
Oder?
Seit Dienstag lebt die Hoffnung wieder, Dienstag geschah
in einem New Yorker Auktionssaal Unerhörtes, Dienstag wurde inmitten
ausgemergelter, ganzkörperoperierter Millionärsgattinnen wahrscheinlich
alle in knappen Agent-Provocateur-Dessous, ein neues altes
Schönheitsideal ausgerufen: 130 Kilo schwer, mit hängendem Bauch,
hängenden Brüsten und massigen Schenkeln schlummert auf dem nunmehr
teuersten Bild eines lebenden Künstlers (33,6 Mio. Dollar) eine pralle
Venus. Vergessen der bisherige Platz eins der Liste, Jeff Koons Ikone
der Konsumsucht, sein perfekt glänzendes rotes „Hängendes Herz“ an
goldenem Gängelbändchen.
1995 hat gerade Sigmund Freuds Enkel Lucian seine Inspiration ganz woanders gefunden als in einer Luxusboutique, nämlich (durch einen Bekannten) auf dem Londoner Arbeitsamt, wo seit einem Vierteljahrhundert eine gewisse Sue Tilley arbeitet. Freud malte sie in all ihrer weiblichen Pracht und nannte sie „Benefits Supervisor Sleeping“, also schlafende Spenderin von Wohltaten. Und das ist sie tatsächlich. Für alle Frauen, die Quasteln auf Brüsten und die immer gleichen faden Magermodells wie Kate Moss satt haben. Letztere hat Freud auf ihr Betreiben hin übrigens auch gemalt. Schwanger, trotzdem noch mager. „Big Sue“ hat ihr am Dienstag um einige Millionen Dollar den Rang abgelaufen. Hoffentlich nicht nur am Kunstmarkt.
almuth.spiegler@diepresse.com
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2008)