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Kunstberichte

Quer durch Galerien

Lauft schneller als eure Schuhe!

Gudrun Kampl macht ein Theater um die Schuhe. In der Hauptrolle (gut hineingetarnt in die Bauernmöbel) brilliert ein Paar Sabots. Oder sagt man Dianettes dazu oder Schlapfen? Galerie Steinek

Gudrun Kampl macht ein Theater um die Schuhe. In der Hauptrolle (gut hineingetarnt in die Bauernmöbel) brilliert ein Paar Sabots. Oder sagt man Dianettes dazu oder Schlapfen? Galerie Steinek

Von Claudia Aigner

Es müsste ihn eigentlich irgendwo geben (bei einem Schuhfetischisten daheim in einem Schrein), nämlich den auf wundersame Weise blutenden Stöckelschuh, getränkt vom Blut zweier tapferer Märtyrerinnen der Eitelkeit. Und am Feiertag, wenn sich die Blutempfängnis jährt, senken sich zwei Tauben auf ihn herab und gurren: "Ruckedigu, ruckedigu, Blut ist im Schuh." Dann verflüssigt sich der eingetrocknete Saft, und der fromme Schuhfetischist bindet sich vor Verzückung seine eigenen Schuhbänder noch fester zu.

Die armen bösen Stiefschwestern vom Aschenputtel hätten sich die Reliquie ja redlich verdient (die natürlich aus Glas sein muss – wegen der besseren Sicht auf das Blutwunder). Was legt man ihnen denn zur Last? Schuhanmaßung. Dass sie halt dem supergeilen Schuh einer andern nicht widerstehen konnten und eben auch hinein wollten, weil Modepupperln nun mal dem Dernier Cri willenlos ausgeliefert sind. Und der Zweck heiligte dann bekanntlich das Messer, mit dem sie sich den Fuß auf die richtige Schuhgröße zuschnitten.

Und empfangen nicht heute noch ganz normale, unauffällige Passantinnen plötzlich auf offener Straße die Stigmata der Stiefschwestern und werden ihnen etwa nicht blutende Zehen und Fersen zuteil, als trügen sie selber Aschenputtels Pumps? (Aschenputtel: Das ist die, die schneller rennen kann als die Schuhe, die sie gerade anhat, und die einmal tatsächlich einem von ihnen davongelaufen ist, der völlig perplex einsam auf der Strecke liegen blieb.)

Galerie Steinek: Manolo Blahnik auf dem Jakobsweg

Der Brutstätte des heftigsten aller Körpersekrete, also des Fußschweißes, dem Stall für die Hühneraugen, dem Behälter für Thors Hammerzehe (oder schwang Thor den Hammer doch mit der Hand und nicht mit dem Fuß?), kurz: dem Ding, ohne das die Schnürsenkel keinen Sinn machen würden, kann man noch bis 30. Juli bei der Steinek (Himmelpfortgasse 22) nahe sein wie eine Schuhverkäuferin: "Choose a shoe." Eine sinnliche Angelegenheit.

Mit den meisten ausgestellten Fußetuis hätten die Blutzeuginnen der Gehkultur eine Riesenfreud’, jene Frauen, die höchstens im Bett und in der Badewanne den Lieblingsschuh vom Pfarrer Kneipp und vom äthiopischen Marathonläufer Bikile Abebe anziehen würden (den bloßen Fuß), aber nirgendwo den Lieblingsschuh von Adi Dassler: den Turnschuh. Da täten sie schon lieber den kompletten Jakobsweg mit den höchsten und spitzesten Stilettos von Manolo Blahnik abschreiten (zum Zeichen der totalen Unterwerfung unter die Mode). Und dann in Santiago de Compostela zum Orthopäden gehen.

Und in der Heimat himmeln sie die graziösen Nachfolger des spanischen Stiefels der Heiligen Inquisition in den Auslagen der Schuhgeschäfte an (und das hochhackige Modell "Kleine Meerjungfrau", das mit Blasen und dem Gehgefühl von Andersens Nixe lockt, für die ja jeder Schritt an Land wie ein Stich in die Fußsohle war) und murmeln: "Lass diesen Schuh an mir vorübergehen, aber nicht mein, sondern dein Wille geschehe, lieber Humanic!"

Mit der Stiefelhose, die Deborah Sengl dem Gipsabguss eines Freundes aufs rechte Gipsbein geschneidert hat, kann man sich wahrscheinlich eh nur mit dem Gehwagerl, dem "Rollator", fortbewegen: Ein einzelnes Hosenbein aus Hirschleder, das unten in eine größenwahnsinnige Plateaustiefelette übergeht, wo Stöckel und Plateau durch Erweiterungsteile bis zur Höhenangst steigerbar sind. Fürs einseitige Humpeln. Eigentlich ein satanischer Bocksfuß. Der Teufel hinkt ja auch. Weil er beim Engelssturz ohne Fallschirm aus dem Himmel gefallen ist.

Hirsche werden bald hinter unsern Schuhen her sein

Momenterl: Hirschleder. Dieser Hirsch (und Männchen dieser Spezies haben spätestens im Jänner Geweihverlustangst, Weibchen leiden unter Geweihneid) trägt freilich sein Imponierorgan unter der Ferse: einen einschüchternden Absatz. Und würden die Hirsche wissen, dass die Menschen ihre Schuhe jedes Jahr achtlos wegwerfen wie sie selber ihren Kopfschmuck, dann würden sie vielleicht hinfort ebenfalls Waldspaziergänger überfallen, ihnen triumphierend die Schuhe rauben, verschleppen und sich als Trophäe in den nächsten Busch hängen. Oder pulverisieren und schnupfen (wegen der potenzsteigernden Wirkung).

Cornelius Kolig wiederum springt auf die Fruchtbarkeitssymbolik des Damenschuhs auf. Hat ein martialisches Ehevollzugsgerät gebastelt, einen Potenztransformator. Die an der männlichen Anatomie orientierte Maschine wandelt körperliche Arbeit (nennen wir es Sport) in Ballistik um. Der Ehevollstrecker, also der Cowboy aus dem Wilden Süden (Kärnten), schwingt sich auf einen Fahrradsattel, verausgabt sich, bis ein Seil reißt, ein Böller saust los, eine lange phallische Stange entlang, und gibt einem zierlichen Schuh an deren Ende den Rest. Das Schucherl wird standrechtlich defloriert äh: gesprengt. Leider ist das Turngerät nicht ausgestellt. Bloß das (nicht ganz so aufregende) Ergebnis der Ertüchtigung.

Ein Schuh sagt mehr als tausend Füße

Schuhe haben Persönlichkeit. Wie der Geßlerhut. Und Gudrun Kampl hat solche, mit denen sie befreundet ist, geradezu theatralisch inszeniert. Poetisch und verführerisch. Einem filigranen Traum aus silbernen Riemchen, der der Schwerkraft nicht viel zu bieten hat, baut sie ein Nest und lässt ihm Flügel wachsen, wie das aerodynamische Schuhwerk des Hermes welche hatte.

Und Arnulf Rainer ? Der hat seine aufgebrauchten, verhatschten Arbeitsschuhe ausgezogen, die seine ganze Malwut abgespeichert haben (zumal Schuhe Speichermedien sind). Ein Selbstporträt? Die Spinnweben sagen: Außer Betrieb. Daneben hat er die roten Kinderschuhe seiner Tochter auf eines seiner Kreuze gepickt, auf dass sie das Werk des Papas in kindlicher Unschuld und naivem Imperialismus in Besitz nähmen, wie ein römischer Imperator eine autoritäre Sandale auf einen sklavisch kauernden Untergebenen drückt. Ein Schuh sagt mehr als 1.000 Schritte.

Engholm Engelhorn Galerie: Achtung: unsichtbar!

Nicht nur für Putzfrauen, die mit gefährlichen Putzmittelflaschen hantieren, gibt’s Gefahrenzeichen (etwa den Totenkopf), auch Singvögel haben eins: die schwarze Raubvogelsilhouette. Die bedeutet: "Vorsicht: Scheibe!" Oder: "Achtung: unsichtbar!" Und Hanspeter Hofmann klebt neuerdings beides, den Raubvogel und das Zunftzeichen der Piraten und Giftmischer (Letzteres ein bisschen plakativ und aufdringlich wie ein Label), auf seine Bilder, die gar nicht mehr unbedingt wie eine künstlerische Biopsie sind, wie malerische Untersuchungen von Gewebeproben.

Die Vernetzungen und "Mikroorganismen" sind jetzt großzügiger und schwelgen genießerischer in der Farbsubstanz. Nicht zu ihrem Nachteil. Bis 30. Juli bei Engholm/Engelhorn (Schleifmühlgasse 3).

Freitag, 22. Juli 2005


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