Salzburger Nachrichten am 6. Juli 2005 - Bereich: kultur
Kleiner Mann mit dem großen Zylinder Grafische Blätter von
Henri Toulouse-Lautrec im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum
HELGA REICHARTINNSBRUCK (SN). Einen Höhepunkt im Tiroler Kultursommer
bietet die Ausstellung "Die Noblesse des Gewöhnlichen" im Tiroler
Landesmuseum mit über 100 grafischen Meisterwerken des Malers Henri
Toulouse-Lautrec (1864-1901). Sie kommen aus dem Kupferstichkabinett
Dresden, das sich der weltweit bedeutendsten und ältesten
Toulouse-Lautrec-Sammlung rühmen kann. Nach einer ersten Schau in Bad
Homburg sind die sensationellen Blätter nun zu ihrem zweiten und letzten
Auftritt in den Innsbrucker Musentempel eingezogen. Längst sind der durch mehrere Knochenbrüche grotesk kleinwüchsige
südfranzösische Aristokrat mit dem großen Zylinder und seine innovativen
Arbeiten zum Synonym für die Euphorie des Pariser Fin de siècle geworden.
Künstler und Lebenskünstler, mondäne Damen von Welt und Halbwelt, frivole
Snobs aus Adelgemäuer und Souterrain auf der Flucht aus dem Alltag sind
Mittelpunkt seines Interesses. Mit ihnen frequentiert er die
glamourös-dekadenten Vergnügungsstätten am nächtlichen Montmartre, die
Kabaretts, Tanzpaläste, Theater und Hurenhäuser. Er zeichnet, lacht,
weint. Und er trinkt mit der feuerhaarigen Jane Avril, dem Wirbelwind Miss
Loie Fuller, mit Valentin, dem Schlangenmenschen, dem Kabarettbesitzer
Aristide Bruant, mit May Belfort und vielen anderen zwielichtigen
Geschöpfen, die alle in Innsbruck zu bewundern sind. Er zeichnet und malt
sie in schonungsloser Sicht, leicht karikierend. Man reißt sich darum, von
Toulouse-Lautrec porträtiert zu werden, denn bereits während seiner
Studien an der Ecole des Beaux Arts hat sich der "kleine Mann hinter dem
Absinthglas" einen großen Namen gemacht. Er kennt keinen Unterschied zwischen "hehrer Kunst" und so genannter
Gebrauchsgrafik. Sein Stift wendet sich dem Alltag zu: Die Gestaltung von
Plakaten, Theaterprogrammen, Buchillustrationen zählt zu den Aufträgen,
bei denen er mehr und mehr die lithografische Technik (Steindruck)
anwendet. Mit seinem ersten Großplakat, einem Steindruck in vier Farben, 1,90
Meter hoch, "Moulin Rouge, La Goulue" (die Gefräßige) - ebenfalls im
Ferdinandeum prangend - wird Toulouse-Lautrec 1891 berühmt. Angeregt durch
den japanischen Farbholzschnitt, kreiert er ein neues, aufwändiges
Druckverfahren, bei dem er Lithografien mit bis zu sieben, acht Farben
herstellen kann. Die sinnliche Wirkung der formalen Gestaltung dominiert Inhalt und
Aussage des Werkes auf neue Weise. Mut zur Farbe und Offenheit für
Experimente machen den Künstler zu einem Pionier der Druckgrafik des 20.
Jahrhunderts. Obwohl auch Lautrecs Gemälde sein hohes Niveau belegen, tragen seine
Druckgrafiken - alle in den letzten zehn Lebensjahren entstanden - seinen
Ruhm in die Welt. Als Gustostückerl der Tiroler Ausstellung präsentiert sich die
vollständige Folge seines lithografischen Hauptwerkes "ELLES", das er den
Prostituierten in der Rue des Moulins, den "Bürgerinnen nach seinem Maß",
widmet. Körperlich und psychisch durch seine exzessive Lebensführung
angeschlagen, zieht er sich auf den Landsitz seiner Mutter zurück, wo er
1901 stirbt - noch nicht einmal 37 Jahre jung.Bis 11. 9., täglich 10-18
Uhr, Donnerstag 10-21 Uhr, www.tiroler-landesmuseum.at. |