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03.03.2004 - Kultur&Medien / Ausstellung
Mühl: Lebenswerk als Notlösung
Leben und Kunst sind laut Otto Mühl voneinander nicht zu trennen. Das MAK wagte den Versuch einer Retrospektive und tappte mit offenen Augen in die perfide Falle.

Die Kunst Otto Mühls will das MAK in einer Retrospektive vorstellen - und scheitert.

Eigentlich müsste heute praktisch alles schon vorbei sein. Denn in vier Tagen, am 7. März, sollte ursprünglich die Retrospektive von Otto Mühl, der sich zurzeit "Muehl" schreibt, im MAK wieder schließen. Bei seiner Jahrespressekonferenz kündigte MAK-Direktor Peter Noever 2003 den Start der Mühl-Ausstellung "Das Leben ein Kunstwerk" schon für 3. Dezember an. Letztendlich wurde die Personale erst gestern, Dienstag, eröffnet. Aus budgetären Gründen verschoben, lautet die offizielle Begründung für die Verzögerung. Auch am Titel wurde gerückt. Die Artikel wurden weggelassen, die Wörter getrennt, jetzt heißt er "Leben/Kunst/Werk". War eh nur ein Arbeitstitel, so das MAK, das die ursprüngliche Überschrift aber schon in Aussendungen publik gemacht hatte. Doch Ex-Kommunarden protestierten, fragten: "Kindesmissbrauch und Vergewaltigung als Teil eines Lebenskunstwerkes?" und machten Druck bis ins Bildungsministerium.

Dabei wandten sich diese Proteste aber nie gegen eine Retrospektive an sich - schließlich hat Mühl, 1991 u. a. wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen zu sieben Jahren Haft verurteilt, seine Strafe abgesessen und sein Künstlertum wird ihm auch von heute kritisch eingestellten ehemaligen Kommunarden nicht abgesprochen. Alles andere ist moralisches Geifern.

Also wartete man darauf, wie das MAK das Lebenswerk Mühls aufarbeiten würde. Man gliederte es in drei Teile gliederte: Aktion, Malerei und die Utopie, die leicht manipulativ den Kommune-Abschnitt betitelt. Eine zwischen den insgesamt 480 Exponaten verschwindend kleine Koje. Ein einziges Foto aus der Zeit - das aber wandfüllend - dokumentiert die Atmosphäre am burgenländischen Friedrichshof. Die Wand gegenüber füllt eine Chronologie der Kommune, gekürzt übernommen aus dem Katalog, geschrieben von einem Ex-Kommunarden aus der damaligen Führungsriege um Mühl.

Die Aufarbeitung der Kommune sei nicht Sache des Museums, betonte Noever während der Pressekonferenz am Dienstag immer lauter werdend. Allerdings: In einer ernst zu nehmenden Retrospektive müsste die Kommune ihrem Status in Mühls Werk entsprechend dargestellt werden. Schließlich gilt sie als Fortführung seiner aktionistischen Kunst ins reale Leben. Die Kommunen-Koje im MAK wirkt wie eine ängstlich-trotzige Notlösung. Allein eines der "Aschebilder" aus der Schlusszeit der Kommune, in denen Mühl verbrannte Tagebücher der Kommunarden zynisch als Material für seine Kunst zweckentfremdete, wäre hier nicht nur wünschenswertes Exponat gewesen.

Dabei wollen Noever und die Kuratorin Bettina Busse die Ideen der Kommune ausdrücklich "neu zur Diskussion stellen". Aber selbst das Rahmenprogramm soll sich nur allgemein mit dem in den 60er, 70er Jahren populären Kommunen-Gedanken beschäftigen. Auch der Büchertisch ist - bis auf eine Ausnahme - mit Mühl-Katalogen und allgemeiner Literatur bestückt worden.

So bleibt dem Besucher der Ausstellung nur, das aus Mühls extremem Lebenskonzept herausgelöste Werk zu besichtigen. Und das wirkt ziemlich harmlos. Die international anerkannten und auf zeitgenössische Künstler wie Paul McCarthy einflussreichen Relikte seiner Zeit als Mitbegründer des Wiener Aktionismus in den 60er Jahren sind bekannt und publiziert. Diese Phase bildet die qualitative Grundlage der Ausstellung, mit Materialbildern, Aktions-Fotos, Aktions-Malerei, Filmen und Zeichnungen.

Den Großteil der Ausstellung aber bestreitet die nach-aktionistische bildnerische Produktion Mühls, die nur in der Anfangszeit der Kommune, von 1972 bis 1976, aussetzte. Dann geht es weiter wie zuvor. Mühl bedient sich an der Kunstgeschichte von der klassischen Moderne über Neo-Expressionismus bis zu Pop Art - je nach Laune - und füllt sie mit seinen Inhalten: idyllische Landschaften und Sex-Szenen, von pornografisch bis neckisch.

In den letzten Jahren malte der seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis 1997 in Portugal lebende Künstler am liebsten Haie. Naive Flächenkunst, dekorativ wie Souvenir-Malerei. Sein künstlerisches Resümee aber will Mühl in seinen jüngsten Arbeiten gezogen sehen, den "electric paintings". Eine Art animierte Dia-Schau zu berieselnder Jazz-Musik. Digitale Filme und Fotos von Aktionen, die er in seiner neu gegründeten "Art & Life"-Kommune inszeniert, übermalt, verfremdet er digital, montiert sie mit am Computer geschaffenen Bildern zu bunten ruckelnden Collagen. Das "multimediale Feuerwerk" (Mühl) eines 78-Jährigen. Die Kunst hat den an Parkinson leidenden Ex-Provokateur längst eingeholt. Otto Mühl wird als Wiener Aktionist und fatal gescheiterter Kommunen-Chef in die Kunst- und Zeitgeschichte eingehen. Nicht aber als Maler. Und nicht mit dieser Retrospektive. Sie wird seinem Lebenswerk nicht gerecht. Auch nicht als Diskussionsgrundlage.

Bis 31. Mai. Mi.-So. 10-18h, Di. 10-24h.

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