Wiener Zeitung · Archiv


Kunstberichte
Kunsthalle Krems ermöglicht in der Schau "Sehnsucht nach dem Abbild" neue Einsichten in ein altes Genre

Vom wahren Bildnis jenseits der Maske

Spannungsreicher Parcours durch einen Wald von Gesichtern. Alex Katz, "Vivien with Orange", 2007. Foto: Heinz Neumann, VBK Wien, 2009

Spannungsreicher Parcours durch einen Wald von Gesichtern. Alex Katz, "Vivien with Orange", 2007. Foto: Heinz Neumann, VBK Wien, 2009

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Aufzählung Glaubt man dem antiken römischen Autor Plinius, so basiert das erste überlieferte Abbild der Kunstgeschichte auf dem Herzenswunsch einer Tochter des Künstlers Butadis: Das Gesicht ihres Geliebten wurde, bevor er in den Krieg zog, mit einem Schattenriss festgehalten. Wir wollen unserer Erinnerung nachhelfen, wenn wir Personen oder uns selbst auf Papier oder Film bannen. Daran hat sich seit der Antike nichts geändert. Das Porträt ist bis heute ein Hauptthema der Bildenden Kunst. Daher widmet sich die Kunsthalle Krems in ihrer Sommerausstellung der "Sehnsucht nach dem Abbild".

180 Meisterwerke, darunter Künstler wie Pablo Picasso, Alberto Giacometti oder Ferdinand Hodler, werden nicht kanonisch kunsthistorisch gruppiert. Gegenwartskunst trifft hier etwa auf Rembrandt. Themeninseln werden quer durch die Zeit der Moderne miteinander konfrontiert. Dies ermöglicht völlig neue Einsichten in im Grunde alte Hüte.

Kurator Hans-Peter Wipplinger hat auch für den Katalog beratende Experten wie den Psychoanalytiker August Ruhs oder die Porträtspezialistin Edith Futscher zugezogen und schafft so einen spannungsreichen Parcours durch einen Wald von Gesichtern.

Als kräftigen Auftakt dekonstruieren Marcel Duchamp, Gelitin und Arnulf Rainer die Porträt-Ikone schlechthin: Mona Lisa wird zur Spielkarte, zu einem Berg aus Plastilin oder mit Grünschleier übermalt.

Schleier, Feind des Abbilds

Apropos Schleier: Dieser Feind des Abbilds taucht in der verwischten Malerei von Gerhard Richter und Eva Schlegel, in den Fotos von Cindy Sherman, aber auch in den verfremdenden Verkleidungen des Kölner Medienkünstlers Jürgen Klauke auf. Klauke hat in seiner Fotoserie "Physiognomien" der traditionellen Rolle des Männerbilds 1972 eine Absage erteilt. Melancholisch zornig war zwar schon Rembrandt in seinen Selbstuntersuchungen, geschminkt und verschleiert tritt uns hier aber eine zweigeschlechtliche Schwellenfigur gegenüber: Seit vierzig Jahren herrscht die Ambivalenz eines desaströsen Ichs.

Die verschwommenen Fotos von Christian Boltanski, die eine Klasse jüdischer Schülerinnen aus 1931 zeigen und deren gelöschte Identität thematisieren, geraten so zur historischen Mahnung. Das aktuelle Verankern des Porträts mündet in zahllose Verunsicherungen – nach der Deformation eines Francis Bacon und der Maskerade kommt Manipulation, Simulation und Virtualisierung des Menschenbilds. Stars treten uns gegenüber wie Andy Warhols Jackie Kennedy, Elke Krystufeks Marilyn Monroe oder Ludwig Wittgenstein, gemalt von Otto Muehl.

Auch Unbekannte werden zu Heroen einer Nan Goldin und Adriana Czernins ornamentaler Sog an der Figur beantwortet uns, warum wir Gustav Klimt heute so verehren. Seine Zeichnung der Margaret Stonborough zu Czernin ist ein besonderer Zeitbogen.

Doch es gibt auch neue Namen zu entdecken wie die jungen deutschen Künstler Simon Schubert und Matthias Bitzer. Die Installation unbekannter ethnologischer Aufnahmen von Frauen, kombiniert mit fremden Lebensläufen von Mathilde ter Heijne legt den Schluss nahe: Es gibt kein Ende des Porträts, aber das Ich ist zur Chimäre geworden.

Aufzählung Ausstellung
Sehnsucht nach dem Abbild
Das Porträt im Wandel der Zeit
Hans-Peter Wipplinger (Kurator)
Kunsthalle Krems,
bis 26. Oktober
Öffnungszeiten: Täglich 10–18 Uhr

Printausgabe vom Mittwoch, 05. August 2009

Kommentar senden:
Name:

Mail:

Überschrift:

Text (max. 1500 Zeichen):

Postadresse:*


* Kommentare werden nicht automatisch veröffentlicht. Die Redaktion behält sich vor Kommentare abzulehnen. Wenn Sie eine Veröffentlichung Ihrer Stellungnahme als Leserbrief in der Druckausgabe wünschen, dann bitten wir Sie auch um die Angabe einer nachprüfbaren Postanschrift im Feld Postadresse. Diese Adresse wird online nicht veröffentlicht.

Wiener Zeitung · 1040 Wien, Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Mail: online@wienerzeitung.at