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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst | Kunsthalle Wien 
25. Mai 2007
15:27 MESZ
Bis 2. September 
Foto: Kunsthalle
Den Menschen heute zeigen, wie man ihren Alltag in der Zukunft entdecken wird: Chen Zhen betätigt sich in "Purification Room" als Totengräber des Dinglichen.

Fotos: Kunsthalle
Chen Zhen führt Badewannen und Nachttöpfe neuen Zwecken der Reinigung zu.

Fotos: Kunsthalle

Archäologie eines Heimatlosen
"Chen Zhen. Der Körper als Landschaft": Die Kunsthalle Wien richtet dem komplexen Werk des früh verstorbenen Künstlers eine Hommage aus

Zu sehen sind rund vierzig Werke, Zeichnungen, Fotocollagen, Skulpturen und Installationen von 1989 bis 2000.

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Wien - Im hintersten Winkel der Kunsthalle plätschert und gluckert es. In das Geräuschbad, das aus dem bedrohlich rot leuchtenden Inneren eines altmodischen metallenen Waschzubers dringt, fügen sich schrubbernde Reinigungsgeräusche. Eine seltsam anmutende, authentische Tonkulisse, nächtens aufgenommen in Schanghai beim Reinigen von Nachttöpfen, die aber weitaus mehr als der Export kultureller Spezifika ist.

In Bathroom transformiert Chen Zhen ein Objekt des täglichen Gebrauchs zu einer Metapher der Reinigung. Er befreit und reinigt das objet trouvé, das zusätzlich durch seine Materialität (Metall, Holz) eine Dimension von Zeit in sich trägt, von seiner ursprünglichen Bedeutung. Er versinnbildlicht gleichzeitig aber auch einen sehr persönlichen Prozess. Gläserne Spritzen durchziehen den warmen, mit Holz geschlossenen Wannenkörper, in dem rot leuchtend das Blut zirkuliert. Chen Zhen war krank, litt an Leukämie. 2000 verstarb er in Paris.

Seine Krankheit war mit ein Grund, warum Zhen 1986 seine Heimat China Richtung Europa verließ. Zhen gehörte aber neben Huang Yongping und Cai Guo-Quiang, dem die Kunsthalle 1999 eine kleine Personale widmete, zur Gruppe jener herausragender Künstler, die zu dieser Zeit desillusioniert von der nachmaoistischen Reformpolitik China verlassen haben.

Cultural Clash

Fortan war er ein "kulturell Heimatloser", der China hinter sich ließ, aber nie eine neue, europäische kulturelle Identität annahm: "Geistiges Weglaufen - das ist das tiefste Erlebnis, das man im Leben haben kann. Man muss lernen, aus seinem Kokon auszubrechen und den Mut aufzubringen, sich und seinen kulturellen Kontext hinter sich zu lassen. Das chinesische Sprichwort 'Die Seele hat ihr schützendes Dach verlassen' symbolisiert einen kritischen Zustand, in dem die kreativen Möglichkeit ihren Höhepunkt erreichen."

Überfordert vom "Cultural Clash" ließ Zhen seine künstlerische Arbeit zunächst einige Jahre ruhen, bevor er sich dann - ursprünglich Maler einer eher expressionistischen Tradition - skulpturalen und installativen Arbeiten zuwandte, die nicht nur Aspekte kultureller Überlagerung thematisierten und die eigene Identität im Widerstreit der kulturellen Entwürfe offenbarten, sondern vor allem um den menschlichen Körper, seine eigene Krankheit sowie westliche als auch chinesische Medizin kreisten.

Symptomatisch erscheint hierfür Zhens letzte Arbeit Crystal Landscape of Inner Body (2000), die die Vorstellung des Ying und Yang und des Sichtbaren als Spiegel des visuell Verborgenen beinhaltet: Das Innere, seine teils symbolisch übersetzten Organe, stülpte er in kalter, gläserner Gestalt nach außen, um das Äußere darin zu reflektieren.

So zart, zerbrechlich und klein Zhens letzte Installation ist, so mächtig und brutal erscheint eine seiner zentralsten Arbeiten, die im Hauptraum fast gewalttätig Raum greift: Jue Chang, Dancing Body - Drumming Mind (The Last Song), ein monströses Perkussioninstrument aus dutzenden mit Tierhäuten bespannten Hockern und Bettgestellen. Formal an das traditionelle chinesische Glockenspiel Bianzhong erinnernd, lädt das Instrument zur Interaktion ein. Neben dem kollektiven Erleben soll das Berühren der schwingenden Trommelmembranen auch den Prozess der Heilung vergegenwärtigen.

Dem Lauten ist ganz Leises nebenan gestellt: Der Purification Room (2000) ist ein Ort der Stille, ein dreidimensionales Tableau aus Alltagsgegenständen, das begraben unter einer Schicht von reinigendem und farblich Einheit gebendem Schlamm seine meditative Wirkung entfaltet. Zhen wollte ein "monochromes Grab" schaffen und als eine Art Archäologe den Menschen, die Dinge "so zeigen, wie man sie einmal in der Zukunft entdecken wird".

Ende der Neunzigerjahre kehrt Zhen als Mittvierziger erstmals nach Schanghai zurück: Exciting Delivery verarbeitet sein ernüchterndes Erschrecken über die "Fortschritte" seiner alten Heimat. Ein aus Fahrradreifen geformter Drachen auf dem an Mao gemahnenden Fahrrad ist von Eindringlingen befallen: Der Kapitalismus hat die Form schwarzer Matchboxautos. (Anne Katrin Feßler / DER STANDARD, Printausgabe, 25.05.2007)


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