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Einstürzende Neubauten

In der Ausstellung über den Architekten Erich Boltenstern (1896-1991) im Wien Museum steht die Architektur des Wiederaufbaus auf dem Prüfstand. Für die meisten Bauten aus dieser Zeit kommt eine Neubewertung freilich zu spät.
 
Falter 42/2005 vom 19.10.2005
Ressort Stadtleben > Architektur
Autor Matthias Dusini

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Wienmuseum

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Der 14. Juni 1955 ist für viele ein Freudentag: für den Architekten Erich Boltenstern, dessen Hochhaus am Schottenring eröffnet wird. Für den vor acht Jahren aus Amerika zurückgekehrten Direktor der Wiener Städtischen Versicherung Norbert Liebermann, der die Idee dazu hatte und sie gegen die allgemein verbreitete Hochhausskepsis durchsetzte. Für den "Wochenschau-Reporter", der den Büroturm mit den Worten akklamiert: "Das ist nicht Amerika, das ist Österreich ..." Nur für eine Hand voll junger Architekten gibt es an diesem Junitag keinen Grund zum Jubeln. Sie sehen in Boltenstern eine jener Figuren, die den Faden zur internationalen Entwicklung verloren und jenen zur Wiener Moderne vor dem Anschluss 1938 nicht mehr aufgegriffen haben. Auch gegen das Hochhaus gibt es Vorbehalte. Der Architekt und Kritiker Friedrich Achleitner, der bei Boltenstern an der Bildenden studiert hatte, sieht die Silhouette der Ringstraße zerstört. Den ebenfalls von Boltenstern geplanten Gartenbau-Komplex (das Kino selbst wurde um 1960 von Robert Kotas gestaltet) wird er sieben Jahre später gar als "steinernes Krebsgeschwür" bezeichnen.
Das Werk Boltensterns ist das Thema einer Ausstellung im Wien Museum. Es hätte zum Heimspiel werden können, wäre Boltenstern 1953/54 aus dem Wettbewerb für den Neubau des Museums am Karlsplatz als Sieger hervorgegangen. Als einer der wenigen Dableiber, die nicht zu Parteigängern der Nazis wurden, war er nach dem Krieg über jeden politischen Verdacht erhaben. Mit Boltenstern steht auch die Architektur des Wiederaufbaus auf dem Prüfstand, die von der Kritik lange Zeit als halbherziger Moderneabklatsch in die Besenkammer der Architekturgeschichte verbannt wurde. In deren Vitrinen glänzten Le Corbusiers Kirche in Ronchamp oder Mies van der Rohes und Philipp Johnsons Seagram Building in New York.
Nach Österreich blies der frische Wind einer architektonisch vermittelten Modernisierung mit geringer Stärke. Notgedrungen baute man sparsam, pragmatisch. Die Ideologie dahinter war jene der Neutralität, politisch wie ästhetisch. Boltensterns Ringturm, bei der Grundsteinlegung noch als Freiheitsturm an die Grenze zum Sowjetsektor platziert, wurde das Symbol des Jahrzehnts. "Integer, schlicht, ohne großen Gestus", versucht der Architekturhistoriker Adolph Stiller eine Ehrenrettung. Der vom Ringturm (und der Opernpassage) symbolisierte "Aufstieg zur Weltstadt" fand in einem von einem zähen Konservativismus geprägten Klima statt. Die Kuratorinnen der Ausstellung im Wien Museum Judith Eiblmayr und Iris Meder nennen den Zeitgeist "moderat modern". Erst mit dem Bau von Roland Rainers Stadthalle (1955-58) und dem Österreich-Pavillon Heinrich Schwanzers auf der Expo in Brüssel 1958, dem späteren "Zwanziger Haus", wurde die provinzielle Selbstbescheidung beendet.
Am 14. Juni 1955 gibt es noch einen weiteren Gewinner, den Wiener Oskar Wittinger. Unter 6502 Einsendungen wurde sein Vorschlag prämiert, das Gebäude "Ringturm" zu nennen. Er erhält als Preis hundert Schilling, was immerhin einer Monatsmiete in einer Type-C-Neubauwohnung (56 Quadratmeter) der Gemeinde Wien entsprach. 33.000 neue Wohnungen entstanden in den zehn Jahren nach Kriegsende. Dabei ging es nicht um den großen architektonischen Wurf, sondern um die Anzahl nach Normgrößen errichteter Wohneinheiten. "Das Leben und seine klare Einfachheit" sei auf die Dauer stärker als "das Pathos repräsentativer Bauten des 18. und 19. Jahrhunderts", aber auch der Superblocks des Roten Wien, schrieb Rudolf J. Böck, Chefredakteur der Zeitschrift aufbau, im Rückblick auf zehn Jahre sozialen Städtebaus. Diese humanistisch-paternalistische Ideologie lag auch der seriellen Produktion billiger Möbel zugrunde, die Mitte der Fünfzigerjahre durch die öffentliche Hand initiiert wurde. Die mit buntem Kunststoff beschichteten, mit dem Label "SW-Möbel" ("Soziale Wohnkultur") markierten Küchenschränke zeigt derzeit das Hofmobiliendepot in einer Ausstellung über Möbeldesign der Fünfzigerjahre.
Statt "billiger Wiederaufbauerfolge" (Böck) gab die Stadt Wien dem Bau von Straßen, von Strom-, Gas- und Wasserleitungen, den Vorzug. So entstanden einfache Wohnanlagen im Grünen wie die Per-Albin-Hansson-Siedlung (1947-51, 1954-1955). Diese notgedrungene Bescheidenheit kippte bald in öden Funktionalismus. "Man weiß, wie elend die Gemeinde damals gebaut hat. Und was wurde gebaut außer Gemeindebauten?", erinnert sich der Architekt und Boltenstern-Schüler Karl Mang. Nicht Ideen gesellschaftlicher Veränderung, sondern die strengen Bauvorschriften der Gemeinde führten die Hand der Entwerfer.
1955 ist Mang 33 Jahre alt. Sein erstes Bauprojekt, die Ausstattung eines Herrenmodegeschäfts, liegt drei Jahre zurück. Es war so erfolgreich, dass einige Geschäftsleute sagen: "Das will ich auch." So kann er sich durchschlagen, auch ohne Gemeindeaufträge. Er ist froh, dass er nicht im Büro Boltensterns landete, der ihn 1948 nach der Staatsprüfung auf der Technischen Hochschule für den Wiederaufbau der Oper engagieren wollte. "Ich dachte mir, drei Jahre Operndetails zeichnen, das halt ich nicht aus." Der Wiederaufbau der Oper gehört neben der Rekonstruktion des Parlaments und des Burgtheaters zu den Symbolprojekten des Wiederaufbaus. Als Sohn einer Opernsängerin und Mitglied des Staatsopernchors war Boltenstern für die Aufgabe prädestiniert. Seine demokratische Idee eines ausschließlich aus Rängen bestehenden Hauses fand keinen Anklang. Nur keine Experimente! Das alte Logentheater musste wieder her. Die Opernbühne weihte der Architekt persönlich ein, indem er vor den Mitarbeitern eine Arie trällerte.

Sein Student Mang beschreibt ihn als sehr präzisen, zurückhaltenden Lehrer, der stets für seine Stundenten ansprechbar war. Achleitner nennt ihn rückblickend einen Sir. Typisch für die von Boltenstern repräsentierte Wiener Moderne-Melange, in der sich das Neue wie ein Milchschaumhäubchen auf das Alte setzt, ist seine Bar in der Österreichischen Ingenieur- und Architektenkammer in der Eschenbachgasse, die derzeit im Begriff ist, in ein Fitnessstudio integriert zu werden. Die kunststoffüberzogenen Stühle, die geflochtenen Lampenschirme: typisch Fifties. Ganz im Trend auch die Drucktapete an der Wand. Darauf zu sehen ist allerdings eine alte Stadtansicht vom Oberen Belvedere aus, auch Canaletto-Blick genannt. Mit jenem argumentieren Traditionalisten noch heute gegen jedes neue Bauprojekt in Altstadtnähe.
Schlechte Bauweise, das Verdikt der maßgeblichen Kritiker, die trostlosen Fassaden vieler Gebäude: Viele Gründe verringern die Chance der Nachkriegsarchitektur auf Fortbestand. Die hitzige Diskussion über das Haas-Haus am Stephansplatz bezog sich auf Hans Holleins extravaganten Entwurf, nicht auf das durchaus respektable Kaufhaus Philipp Haas von Appel/Fellerer/Wörle, dem niemand ein Träne nachweinte. Ohne mit der Wimper zu zucken, eliminierte die Leitung der Albertina beim Umbau vor zwei Jahren die Spuren der Nachkriegszeit. Haerdtls legendäres Arabia-Espresso am Kohlmarkt, die Geschäfte von Karl Mang, der Lesesaal der Nationalbibliothek, Roland Rainers Franz-Domes-Heim in der Theresianumgasse, das Steyr-Gebäude am Opernring, der Messepavillon Oswald Haerdtls für die Firma Felten & Guilleaume. Alles weg! Demnächst wird auch Georg Lipperts Bundesländerversicherung am Donaukanal (heute Uniqa) einem Hotelneubau weichen.
Die Architektur der Wiederaufbauzeit ist das Sorgenkind des Denkmalschutzes. "Das wurde ja erst nach dem Krieg gebaut", bekommt Barbara Neubauer vom Bundesdenkmalamt zu hören, wenn wieder einmal ein Dachstuhl, eine Fassade oder ein Foyer demoliert worden sind. "Es ist uns noch nicht gelungen, die Architektur der Fünfzigerjahre aus der Sphäre des persönlichen Geschmacks herauszubringen." Dabei sei gerade die Art, wie mit der beschädigten Altbausubstanz umgegangen wird, ein Dokument für den Umgang des Nachkriegsösterreich mit der eigenen Geschichte. Die Ruine des Opernhofs von Theophil Hansen wurde nach dem Krieg abgerissen, stattdessen steht dort der Opernringhof von Appel/Lippert. Die Neuerer von damals sind nun ihrerseits von jener Ignoranz bedroht, mit der sie die Architektur der Gründerzeit bedachten. Das aktuelle Bespiel ist der geplante Umbau des Parlaments.
"Nein, nein", wehrt Nationalratspräsident Andreas Khol ab. Einen revolutionären Umbau werde es sicher nicht geben. Schließlich stehe der von Max Fellerer und Eugen Wörle entworfene Plenarsaal im Unesco-Handbuch schützenswerter Nachkriegsarchitektur. Neben dem Parlament scheint darin gerade einmal das ebenso von Fellerer/Wörle gebaute Strandbad Gänsehäufel auf, nicht gerade viel angesichts Zigtausender Neubauten. Wolfgang Zinggl, der für die Grünen in der für den Umbau zuständigen Arbeitsgruppe sitzt, setzt sich für eine "funktionale Verbesserung" ein. "Die kleine Kosmetik macht keinen Sinn und wird obendrein noch teurer. Aus fixen Stühlen lassen sich nun einmal keine beweglichen machen." Die Abgeordneten haben zu wenig Platz, das Licht sei schlecht, der Raum nicht behindertengerecht. "Also entweder ein ordentlicher Umbau oder gar nichts."
Der Architekt Roland Rainer lobte die Architektur des mit Nussholz und Marmor ausgekleideten Plenarsaals als ein "ernstes und klares Konzept aus modernem Geist". Barbara Neubauer vom Bundesdenkmalamt hat allerdings Zweifel daran, dass die Parlamentarier dieses Konzept für erhaltenswert erachten. Die 14 Millionen Euro, die für den Umbau beschlossen wurden, dünken ihr reichlich viel für ein paar Rollstuhlrampen.
Während also im Herzen der Republik die Leistungen der Aufbaujahre bejubelt werden, wird im stillen Kämmerlein der Abriss von deren Herzstück beschlossen. Wie soll da erst einem privaten Bauherren die Bedeutung modernistischer Architektur vermittelt werden? Ein aktuelles Beispiel ist der Abriss des in den Achtzigerjahren von der Stadt Wien verkauften, von Hermann Kutschera Anfang der Sechzigerjahre geplanten Hotels am Kahlenberg. Knapp dem Abriss entgangen ist das daneben errichtete Restaurant Boltensterns, das 1935 den krönenden Abschluss der neu gebauten Höhenstraße bildete. Der Boltenstern-Forscherin Iris Meder war es gelungen, die öffentliche Meinung für den Erhalt dieses raren Beispiels eines öffentlichen Baus der Wiener Moderne der Zwischenkriegszeit zu mobilisieren. Die Nachkriegsmoderne hat es noch schwerer. "Sie ist noch nicht in das kulturelle Bewusstsein eingedrungen", sagt Meder. Lediglich die vom verspielten italienischen Design beeinflusste Espresso-Moderne eines Oswald Haerdtl werde inzwischen akzeptiert. "Den Volksgartenpavillon würde niemand mehr wegreißen."

Moderat Modern: Bis 29.1.2006 im Wien Museum (4., Karlplatz), www.wienmuseum.at
Möbeldesign der 50er: Bis 6.11. im Hofmobiliendepot (7., Andreasgasse 7),www.hofmobiliendepot.at

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