Falters Kultur für Genießer
Falters Citywalks
Startseite    Book & Music & Film Shop    Falter Abo Service    Falter Top-Stories    heureka Wissenschaftsmagazin    Tier der Woche    Werbung    Newsletter    
Event Programm    Kino Programm    Lokalführer Wien    Feste feiern    Best of Vienna    creation/production    Reparaturführer Wien    Weinführer    Impressum    

Die beste Stadtzeitung Europas.

Die Schutztruppe

Hitler-Zimmer, Dürer-Hase und Mozart-Wohnung: Das Bundesdenkmalamt kämpft an vielen Fronten. Porträt eines wenig geliebten Friedensheeres.
 
Falter 48/2005 vom 30.11.2005
Ressort Kultur > Denkmalschutz
Autor Matthias Dusini


diesen Falter bestellen

Das hört sich so an, als hätte Hitler nach seinem Einmarsch in Österreich nichts anderes zu tun gehabt, als ein Wartehäuschen zu errichten“, wundert sich Eva-Maria Höhle, die Generalkonservatorin des Bundesdenkmalamts (BDA). Wiederholt war ihre Behörde in den Tagen davor vom Wiener Planungsstadtrat Rudolf Schicker angegriffen worden, Nazibauten unter Schutz zu stellen, damit gar „politischen Revisionismus“ zu betreiben. Der Volkstheaterdirektor Michael Schottenberg hatte ein dem Führer gewidmetes Empfangszimmer demolieren lassen, um seiner Empörung über diesen historischen Schandfleck im ehemaligen „Kraft durch Freude“-Theater Ausdruck zu verleihen. Schicker gab ihm Rückendeckung für diesen Verstoß gegen das Denkmalschutzgesetz und legte mit dem Verweis auf das kürzlich unter Schutz gestellte Wartehäuschen vor dem Hotel Bristol gleich noch eins nach: „Das hat mit Denkmalschutz nichts zu tun.“
Eva-Maria Höhle kann das nicht aus der Ruhe bringen. „Konflikte gehören zum Geschäft“, sagt die Generalin in ihren Arbeitsräumen in der Hofburg, zündet sich eine Zigarette an und schaut zum Fenster hinüber, durch das Kaiser Franz I. (1768–1845) 43 Jahre lang auf sein Reich blickte. Besonders auffällig sind die großen, in Metall gerahmten Fensterscheiben, unter denen die Kutschen Richtung Vorstadt vorbeifuhren. Zuerst hatte der Monarch, für diese Zeit ganz ungewöhnlich, Schiebefenster anbringen lassen. „Vielleicht sind sie ihm einmal auf die Finger gefallen und er hat sie daher austauschen lassen?“, mutmaßt Eva Maria Höhle, die an der Spitze eines kleinen Friedensheeres steht, das eine heikle Mission zu erfüllen hat: die Verteidigung materieller Quellen der Geschichte gegen die von der Tendenz zur Immaterialisierung geprägte Gegenwart.
An kleinen Fetzen konnte in ihrem Büro die ursprüngliche Wandbespannung rekonstruiert werden, mit Schweinfurter Grün gefärbte Jute, die den Nachteil hat, stark arsenhaltig zu sein. Im Gespräch ist viel von Befunden die Rede, von historischen Schichten, deren wissenschaftlicher Wert der Öffentlichkeit verborgen bleibt, weil sie sich meist unter der Oberfläche der touristisch verwertbaren Geschichtskulissen befinden. Schon hat Höhle ein Foto bei der Hand, mit dem sie belegen kann, dass die Haltestelle vor dem Bristol bereits 1928, also zehn Jahre vor der Nazidiktatur, hier stand. Die Behörde wollte lediglich eines der wenigen Stadtmöbel der Zwischenkriegszeit vor der Zerstörung bewahren. Es gebe aus allen Epochen Werke, die ihre Zeit dokumentieren, eben auch aus der Zeit des Nationalsozialismus. Und das können dann auch scheinbar marginale Zweckbauten sein, wie besagtes Zimmer im Volkstheater. „Es gibt neben künstlerischen eben auch historische Gründe für eine Unterschutzstellung.“
Die Denkmalschützer gälten, so Höhle, als Verhinderer, aus der Berufsbezeichnung des Konservators würde eine konservative Weltanschauung abgeleitet. Dem neoliberalen Zeitgeist erscheint eine solche Behörde als altväterisch. Privatisierung, nicht Konservierung ist das Gebot der Stunde, gerade aufseiten jener, die sich selbst gerne als konservativ bezeichnen. Ein zorniger Stadtrat kann die 57-Jährige, die schon viele Minister und Bürgermeister sich in den Ruhestand verabschieden sah, genauso wenig aus der Fassung bringen wie der Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder, dessen Leihgeschäfte mit dem Madrider Prado am BDA scheiterten. Ohne dessen Bewilligung schickte er Dürers berühmten „Feldhasen“ nach Spanien. „So nicht“, mokierte sich das BDA und veranlasste dessen rasche Rückkehr. Aus Furcht vor den Forderungen der ehemaligen Kronländer beschloss der Nationalrat 1923 ein Gesetz, das die Ausfuhr geschützter Kulturgüter verbot. Wenn ein Kunstwerk heute dennoch ins Ausland geschickt wird, muss das mit dem BDA geklärt werden.
Schon bei der Renovierung der Albertina hatte Schröder Zores mit dem BDA bekommen. Er ließ alte Bibliotheksschränke zu Brennholz zerkleinern und mehrere Mauern und Gewölbe abtragen. Auch in neuester Zeit spielt Schröder mit Generalkonservatorin Höhle Katz und Maus. So schickte er ein paar Schiele-Zeichnungen „zur maltechnischen Untersuchung“ (offizielle Begründung) in die Schweiz, ließ sie aber stattdessen restaurieren. Die hauseigenen Spezialisten hatten sich gegen eine Bleichung der Grafiken ausgesprochen, ein privater Restaurator erledigte den schmutzigen Job.
Nein, der Funke Mozarts sei noch immer nicht auf ihn übergesprungen, bekennt der Wiener Denkmalschützer Friedrich Dahm. Und das, obwohl er dutzendfach in die Domgasse hinter dem Stephansdom gekommen ist, um die Renovierung jenes Hauses zu überwachen, in dem der Komponist zwischen 1784 und 1787 gewohnt haben dürfte. Zu sehr sei sein Mozart-Bild von Milos Formans Film „Amadeus“ geprägt worden, als dass er in dem sogenannten Figaro-Haus vom Geist des 1791 verstorbenen Genies gestreift würde.
Damit im nächsten Jahr, zu Mozarts 200. Geburtstag, möglichst viele Amadeus-Funken stieben, werkeln derzeit Dutzende Handwerker an dem Haus herum. Ein Aufzug wird eingebaut, die Böden abgeschliffen, eine Brandschutzanlage montiert, die Pawlatschen mit Stahlträgern verstärkt. Aus einem schlichten Wohnhaus soll ein Museumsbetrieb werden, durch den täglich Tausende Besucher drängen. Das Bundesdenkmalamt ist dafür zuständig zu überprüfen, inwiefern die Authentizität des Gebäudes durch jene Umbauten bewahrt bleibt, die für eine neue Nutzung erforderlich sind. „Nichts ist schlimmer als ein Leerstand“, so Dahm mit lauter Stimme, als wäre er es gewohnt, Baulärm zu übertönen. Dahm ist der Artillerist des BDA, der mit Bauherren und Handwerkern verhandelt.
In der Mozart-Wohnung im ersten Stock befand sich schon bisher eine vom Wien Museum betriebene Gedenkstätte. In den darüberliegenden Etagen will nun auch der kommunale Konzern Wien Holding vom Mozart-Boom profitieren. Der Restaurator kratzt mit dem Skalpell die Wände ab, die Spuren alter Ausstattungen und Umbauten zutage fördernd. Seine Befunde bilden die Grundlage dafür, wo in Wände gebohrt, wo der Aufzug eingebaut werden darf. Man entscheidet sich schließlich für eine grüne Schicht als Endfassung, ein wenig altertümlich soll sie schon wirken, die Wohnung, in der Mozart seine berühmteste Oper schrieb. Den Plan des Kurators Joachim Riedl, ein Loch in die richtige Mozart-Wohnung hinunter zu bohren, wurde nicht umgesetzt.
Die Interessen kommerzieller Nutzer sind nicht immer deckungsgleich mit denen der Bewahrer. Voreilig wurden schon einmal Plakate mit dem proper in Rosa gehaltenen „Mozart House Vienna“ gedruckt, bevor der Restaurator einen wenig spektakulären Farbbefund zutage förderte: Die Fassade erstrahlt nun im matten Glanz seiner Bauzeit, in einer taubengrauen Mischung aus Kalk und Ruß. Die Absicherung der Pawlatschenstege durch neue Stahltraversen und zusätzliche, kopierte Steinträger ging anstandslos durch: „Nach dem Veranstaltungsgesetz müssen hier hundert Japaner gleichzeitig herumspringen dürfen“, so Dahm. Schließlich wird das „schöne Quartier mit aller zum Haus gehörigen Auszierung“, so Mozarts Vater Leopold, eine Ausstellungsmaschine sein, deren Triebwerk unter einer authentisch wirkenden Kulisse versteckt ist.

Wenn es eine Schlagzeile gibt, die Manfred Koller schlecht schlafen lässt, dann folgende: „Altes Gebäude erstrahlt in neuem Glanz.“ Für den Leiter der Werkstätten im Wiener Arsenal – Koller ist damit gewissermaßen der Chef-Logistiker der BDA-Truppen – steckt darin alle Ignoranz der Öffentlichkeit. „Alles soll nach heiler Welt ausschauen, glatt sein und glänzen.“ Gerade einmal 340.000 Euro stehen ihm und seinen acht fix angestellten Kollegen im Jahr zur Verfügung, seit elf Jahren unverändert. Sie arbeiten daran, dass der neue Glanz nicht jene Spuren verschwinden lässt, die den eigentlichen dokumentarischen Wert eines Denkmals ausmachen.
Der 64-jährige Koller kennt beim Rundgang durch die vielen Spezialwerkstätten jede laufende Arbeit im Detail, er weiß, welche Fäden in den Tapisserien durch zu langes Hängen gebrochen sind, welche Metallverzierungen auf dem Chorgestühl in der Holzwerkstatt beschädigt sind, und wie das Votivbild zu nähen ist. In der intern als Schatzkammer bezeichneten Sammlung von Anschauungsobjekten greift er in den Kasten mit den Fassadenbrocken wie ein Vogelzüchter, der seine Küken streichelt.
In der freien Wildbahn gibt es vieles, was ihm den Schlaf raubt: die nichtstudierten Kollegen, die Politiker, die Gustav Klimts Beethoven-Fries in das unklimatisierte Entree der UNO-City stellen wollten. Die Warmluftheizungen in den Kirchen. Billige Pfuscherfirmen. Eine Mariensäule in Mariazell, die um zwanzig Meter verrückt wird; das Ministerium, das selbiges genehmigt. „Man kann ein Denkmal nur einmal hinmachen. Was hin ist, ist hin.“ Die gegnerische Koalition aus Unwissen und schlechtem Geschmack ist übermächtig. Gerade hat er einen 16-stündigen Arbeitstag in Salzburg hinter sich, wo er den Umbau des Festspielhauses überwacht. Dabei soll auch eine Wandmalerei von Anton Faistauer aus dem Jahr 1926 restauriert werden, die von den Nazis 1940 heruntergerissen worden war. Koller setzt sich dafür ein, dass dieser Akt sichtbar bleibt, der abgebildete Landeshauptmann etwa so zu sehen ist, wie er nach der Attacke dastand, ohne Kopf. Die Präsidentin der Salzburger Festspiele Helga Rabl-Stadler plädiert für eine Ergänzung. „Damit alles ja schön ausschaut“, schnaubt Koller.
Am Horizont dräut neues Ungemach: jene modernen Kunstwerke, die programmatisch auf die eigene Zerstörung hin angelegt sind. Die Butterklumpen von Josef Beuys etwa, warum sollten die mit öffentlichen Mitteln erhalten werden? Die wissenschaftlichen Methoden dafür wird Koller nicht mehr entwickeln müssen. Er geht mit Jahresende in den Ruhestand. Tausende von ihm aufgepäppelte und wieder in die freie Wildbahn entlassene Pestsäulen, Marienbilder und Wasser speiende Neptune werden sich dankend vor dem Landstraßer Sisyphos verneigen.

2007 © Falter Verlagsgesellschaft mbH
E-Mail: Webmaster
Impressum
Aktueller Falter
Startseite