Die Schutztruppe
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Das hört sich so an, als hätte Hitler nach seinem Einmarsch in
Österreich nichts anderes zu tun gehabt, als ein Wartehäuschen zu
errichten“, wundert sich Eva-Maria Höhle, die Generalkonservatorin des
Bundesdenkmalamts (BDA). Wiederholt war ihre Behörde in den Tagen davor
vom Wiener Planungsstadtrat Rudolf Schicker angegriffen worden,
Nazibauten unter Schutz zu stellen, damit gar „politischen
Revisionismus“ zu betreiben. Der Volkstheaterdirektor Michael
Schottenberg hatte ein dem Führer gewidmetes Empfangszimmer demolieren
lassen, um seiner Empörung über diesen historischen Schandfleck im
ehemaligen „Kraft durch Freude“-Theater Ausdruck zu verleihen. Schicker
gab ihm Rückendeckung für diesen Verstoß gegen das Denkmalschutzgesetz
und legte mit dem Verweis auf das kürzlich unter Schutz gestellte
Wartehäuschen vor dem Hotel Bristol gleich noch eins nach: „Das hat mit
Denkmalschutz nichts zu tun.“
Eva-Maria Höhle kann das nicht aus der Ruhe bringen. „Konflikte gehören
zum Geschäft“, sagt die Generalin in ihren Arbeitsräumen in der
Hofburg, zündet sich eine Zigarette an und schaut zum Fenster hinüber,
durch das Kaiser Franz I. (1768–1845) 43 Jahre lang auf sein Reich
blickte. Besonders auffällig sind die großen, in Metall gerahmten
Fensterscheiben, unter denen die Kutschen Richtung Vorstadt
vorbeifuhren. Zuerst hatte der Monarch, für diese Zeit ganz
ungewöhnlich, Schiebefenster anbringen lassen. „Vielleicht sind sie ihm
einmal auf die Finger gefallen und er hat sie daher austauschen
lassen?“, mutmaßt Eva Maria Höhle, die an der Spitze eines kleinen
Friedensheeres steht, das eine heikle Mission zu erfüllen hat: die
Verteidigung materieller Quellen der Geschichte gegen die von der
Tendenz zur Immaterialisierung geprägte Gegenwart.
An kleinen Fetzen konnte in ihrem Büro die ursprüngliche Wandbespannung
rekonstruiert werden, mit Schweinfurter Grün gefärbte Jute, die den
Nachteil hat, stark arsenhaltig zu sein. Im Gespräch ist viel von
Befunden die Rede, von historischen Schichten, deren wissenschaftlicher
Wert der Öffentlichkeit verborgen bleibt, weil sie sich meist unter der
Oberfläche der touristisch verwertbaren Geschichtskulissen befinden.
Schon hat Höhle ein Foto bei der Hand, mit dem sie belegen kann, dass
die Haltestelle vor dem Bristol bereits 1928, also zehn Jahre vor der
Nazidiktatur, hier stand. Die Behörde wollte lediglich eines der
wenigen Stadtmöbel der Zwischenkriegszeit vor der Zerstörung bewahren.
Es gebe aus allen Epochen Werke, die ihre Zeit dokumentieren, eben auch
aus der Zeit des Nationalsozialismus. Und das können dann auch
scheinbar marginale Zweckbauten sein, wie besagtes Zimmer im
Volkstheater. „Es gibt neben künstlerischen eben auch historische
Gründe für eine Unterschutzstellung.“
Die Denkmalschützer gälten, so Höhle, als Verhinderer, aus der
Berufsbezeichnung des Konservators würde eine konservative
Weltanschauung abgeleitet. Dem neoliberalen Zeitgeist erscheint eine
solche Behörde als altväterisch. Privatisierung, nicht Konservierung
ist das Gebot der Stunde, gerade aufseiten jener, die sich selbst gerne
als konservativ bezeichnen. Ein zorniger Stadtrat kann die 57-Jährige,
die schon viele Minister und Bürgermeister sich in den Ruhestand
verabschieden sah, genauso wenig aus der Fassung bringen wie der
Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder, dessen Leihgeschäfte mit
dem Madrider Prado am BDA scheiterten. Ohne dessen Bewilligung schickte
er Dürers berühmten „Feldhasen“ nach Spanien. „So nicht“, mokierte sich
das BDA und veranlasste dessen rasche Rückkehr. Aus Furcht vor den
Forderungen der ehemaligen Kronländer beschloss der Nationalrat 1923
ein Gesetz, das die Ausfuhr geschützter Kulturgüter verbot. Wenn ein
Kunstwerk heute dennoch ins Ausland geschickt wird, muss das mit dem
BDA geklärt werden.
Schon bei der Renovierung der Albertina hatte Schröder Zores mit dem
BDA bekommen. Er ließ alte Bibliotheksschränke zu Brennholz zerkleinern
und mehrere Mauern und Gewölbe abtragen. Auch in neuester Zeit spielt
Schröder mit Generalkonservatorin Höhle Katz und Maus. So schickte er
ein paar Schiele-Zeichnungen „zur maltechnischen Untersuchung“
(offizielle Begründung) in die Schweiz, ließ sie aber stattdessen
restaurieren. Die hauseigenen Spezialisten hatten sich gegen eine
Bleichung der Grafiken ausgesprochen, ein privater Restaurator
erledigte den schmutzigen Job.
Nein, der Funke Mozarts sei noch immer nicht auf ihn übergesprungen,
bekennt der Wiener Denkmalschützer Friedrich Dahm. Und das, obwohl er
dutzendfach in die Domgasse hinter dem Stephansdom gekommen ist, um die
Renovierung jenes Hauses zu überwachen, in dem der Komponist zwischen
1784 und 1787 gewohnt haben dürfte. Zu sehr sei sein Mozart-Bild von
Milos Formans Film „Amadeus“ geprägt worden, als dass er in dem
sogenannten Figaro-Haus vom Geist des 1791 verstorbenen Genies
gestreift würde.
Damit im nächsten Jahr, zu Mozarts 200. Geburtstag, möglichst viele
Amadeus-Funken stieben, werkeln derzeit Dutzende Handwerker an dem Haus
herum. Ein Aufzug wird eingebaut, die Böden abgeschliffen, eine
Brandschutzanlage montiert, die Pawlatschen mit Stahlträgern verstärkt.
Aus einem schlichten Wohnhaus soll ein Museumsbetrieb werden, durch den
täglich Tausende Besucher drängen. Das Bundesdenkmalamt ist dafür
zuständig zu überprüfen, inwiefern die Authentizität des Gebäudes durch
jene Umbauten bewahrt bleibt, die für eine neue Nutzung erforderlich
sind. „Nichts ist schlimmer als ein Leerstand“, so Dahm mit lauter
Stimme, als wäre er es gewohnt, Baulärm zu übertönen. Dahm ist der
Artillerist des BDA, der mit Bauherren und Handwerkern verhandelt.
In der Mozart-Wohnung im ersten Stock befand sich schon bisher eine vom
Wien Museum betriebene Gedenkstätte. In den darüberliegenden Etagen
will nun auch der kommunale Konzern Wien Holding vom Mozart-Boom
profitieren. Der Restaurator kratzt mit dem Skalpell die Wände ab, die
Spuren alter Ausstattungen und Umbauten zutage fördernd. Seine Befunde
bilden die Grundlage dafür, wo in Wände gebohrt, wo der Aufzug
eingebaut werden darf. Man entscheidet sich schließlich für eine grüne
Schicht als Endfassung, ein wenig altertümlich soll sie schon wirken,
die Wohnung, in der Mozart seine berühmteste Oper schrieb. Den Plan des
Kurators Joachim Riedl, ein Loch in die richtige Mozart-Wohnung
hinunter zu bohren, wurde nicht umgesetzt.
Die Interessen kommerzieller Nutzer sind nicht immer deckungsgleich mit
denen der Bewahrer. Voreilig wurden schon einmal Plakate mit dem proper
in Rosa gehaltenen „Mozart House Vienna“ gedruckt, bevor der
Restaurator einen wenig spektakulären Farbbefund zutage förderte: Die
Fassade erstrahlt nun im matten Glanz seiner Bauzeit, in einer
taubengrauen Mischung aus Kalk und Ruß. Die Absicherung der
Pawlatschenstege durch neue Stahltraversen und zusätzliche, kopierte
Steinträger ging anstandslos durch: „Nach dem Veranstaltungsgesetz
müssen hier hundert Japaner gleichzeitig herumspringen dürfen“, so
Dahm. Schließlich wird das „schöne Quartier mit aller zum Haus
gehörigen Auszierung“, so Mozarts Vater Leopold, eine
Ausstellungsmaschine sein, deren Triebwerk unter einer authentisch
wirkenden Kulisse versteckt ist.
Wenn es eine Schlagzeile gibt, die Manfred Koller schlecht schlafen
lässt, dann folgende: „Altes Gebäude erstrahlt in neuem Glanz.“ Für den
Leiter der Werkstätten im Wiener Arsenal – Koller ist damit
gewissermaßen der Chef-Logistiker der BDA-Truppen – steckt darin alle
Ignoranz der Öffentlichkeit. „Alles soll nach heiler Welt ausschauen,
glatt sein und glänzen.“ Gerade einmal 340.000 Euro stehen ihm und
seinen acht fix angestellten Kollegen im Jahr zur Verfügung, seit elf
Jahren unverändert. Sie arbeiten daran, dass der neue Glanz nicht jene
Spuren verschwinden lässt, die den eigentlichen dokumentarischen Wert
eines Denkmals ausmachen.
Der 64-jährige Koller kennt beim Rundgang durch die vielen
Spezialwerkstätten jede laufende Arbeit im Detail, er weiß, welche
Fäden in den Tapisserien durch zu langes Hängen gebrochen sind, welche
Metallverzierungen auf dem Chorgestühl in der Holzwerkstatt beschädigt
sind, und wie das Votivbild zu nähen ist. In der intern als
Schatzkammer bezeichneten Sammlung von Anschauungsobjekten greift er in
den Kasten mit den Fassadenbrocken wie ein Vogelzüchter, der seine
Küken streichelt.
In der freien Wildbahn gibt es vieles, was ihm den Schlaf raubt: die
nichtstudierten Kollegen, die Politiker, die Gustav Klimts
Beethoven-Fries in das unklimatisierte Entree der UNO-City stellen
wollten. Die Warmluftheizungen in den Kirchen. Billige Pfuscherfirmen.
Eine Mariensäule in Mariazell, die um zwanzig Meter verrückt wird; das
Ministerium, das selbiges genehmigt. „Man kann ein Denkmal nur einmal
hinmachen. Was hin ist, ist hin.“ Die gegnerische Koalition aus
Unwissen und schlechtem Geschmack ist übermächtig. Gerade hat er einen
16-stündigen Arbeitstag in Salzburg hinter sich, wo er den Umbau des
Festspielhauses überwacht. Dabei soll auch eine Wandmalerei von Anton
Faistauer aus dem Jahr 1926 restauriert werden, die von den Nazis 1940
heruntergerissen worden war. Koller setzt sich dafür ein, dass dieser
Akt sichtbar bleibt, der abgebildete Landeshauptmann etwa so zu sehen
ist, wie er nach der Attacke dastand, ohne Kopf. Die Präsidentin der
Salzburger Festspiele Helga Rabl-Stadler plädiert für eine Ergänzung.
„Damit alles ja schön ausschaut“, schnaubt Koller.
Am Horizont dräut neues Ungemach: jene modernen Kunstwerke, die
programmatisch auf die eigene Zerstörung hin angelegt sind. Die
Butterklumpen von Josef Beuys etwa, warum sollten die mit öffentlichen
Mitteln erhalten werden? Die wissenschaftlichen Methoden dafür wird
Koller nicht mehr entwickeln müssen. Er geht mit Jahresende in den
Ruhestand. Tausende von ihm aufgepäppelte und wieder in die freie
Wildbahn entlassene Pestsäulen, Marienbilder und Wasser speiende
Neptune werden sich dankend vor dem Landstraßer Sisyphos verneigen.
nur mit schriftlicher Genehmigung der Falter Zeitschriften Gesellschaft m.b.H. gestattet.