Salzburger Nachrichten am 19. Jänner 2007 - Bereich: Kultur
Die Beschleunigung des eigenen Werks

Die Albertina in Wien zeigt Georg Baselitz' Rückbesinnung auf die Motive seiner frühen, wilden Schaffensphase HEDWIG KAINBERGER

Hedwig Kainberger Wien (SN). Wer ahnungslos das Untergeschoß der Albertina betritt, wird sich vielleicht wundern, was an dieser hingekritzelten Tusche meisterhaft sein soll. Und wären die Ölgemälde nicht so riesig, könnte man vermuten, sie seien binnen Minuten gepinselt und gespachtelt. Beim ersten Hinschauen wirken diese Bilder schnell, grob, ungelenk gemalt und gezeichnet - als wären sie von Kinderhand. Tatsächlich sind sie von Georg Baselitz, einem der wichtigsten Künstler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

"Ich wollte es beschleunigen", erläutert Georg Baselitz im Pressegespräch vor der Eröffnung dieser Ausstellung. Er habe Motive seines Œuvres wieder gemalt, und dies schneller als einst. An "Eine lange Nacht im Eimer" von 1963 habe er zwei Monate lang gearbeitet, die aktuelle Version sei in zwei Stunden fertig gewesen. Das um vier Jahrzehnte jüngere Bild des gleichen Motivs ist in kräftigeren Farben und skizzenhafter. Sowohl die Figur als auch die Maltechnik wirken kindlicher, leichter und harmloser als in der düsteren Urfassung. Damit erschreckt der Kontrast zur Ähnlichkeit mit Hitlers Seitenscheitel und Oberlippenbart noch mehr.

Edvard Munch, der vom "Schrei" 27 Versionen angefertigt habe, sei für die "Remix"-Bilder ein Vorbild, erläutert Georg Baselitz. Es gehe nicht darum, ein Motiv zu verbessern oder zu wiederholen, sondern dieses einfach noch einmal darzustellen. Für die Ausstellung in der Albertina, die zuvor in der Münchner Pinakothek der Moderne war, hat Baselitz Werke der 60er und 70er Jahre, damals aus den Erfahrungen der Nachkriegszeit genährt, nun neu - als "Remix" - gemalt. "Jetzt kann ich noch einmal das Fähnchen heben und sagen: Das bin ich, das war ich." (Leider fehlen die Ursprungsbilder oder wenigstens Abbilder zum Vergleich.)

Da ist die Hand, die ein brennendes Haus hält, da sind Adler, da ist ein verkehrter Mann mit riesigen Schuhen und ein Orangenesser. Und da sind "Die großen Freunde": zwei graue - offenbar deutsche - Männer mit kleinen, unkindlichen Köpfen und großen, unsinnlich wirkenden Körpern; der eine hat gelbe Hakenkreuze auf den Knien, der andere hat eines auf der Hand; die dünn gespachtelte Farbe des Hintergrundes wirkt wie schwarzer Wind. Die offenbar schnell aufgetragene Farbe vermittelt etwas wie Unüberlegtheit dieser wuchtigen, ungelenken Helden. Und das grau-schwarze Bild mit schmutzigem Gelb bedroht auch wegen seiner Größe: drei mal vier Meter.

Er wisse nicht, wie ein Künstler "international" sein könne, sagte Baselitz. Er habe aus dem "Deutschsein" nicht entfliehen können. Denn "man kann sich mit noch so schönen Bildern nicht davon lossagen". Also habe er es bald aufgegeben, sich loszusagen, "sondern hineingesteigert in das Deutschsein".

Zu seiner Studienzeit sei in Deutschland die abstrakte Malerei aktuell gewesen. Er habe da nicht mittun wollen, habe sich isoliert und versucht, "Bilder durch Provokation" zu entwickeln. Seine damals brennende Frage: "Wie macht man ein provozierendes, hässliches Bild?" Ein Ergebnis war "Die große Nacht im Eimer", die im damaligen Nachkriegs-Deutschland einen Skandal samt Beschlagnahmung und Gerichtsverfahren wegen "Obszönität und Verletzung der guten Sitten" zur Folge hatte.

Auch wenn die riesigen Ölbilder Baselitz' diese Ausstellung dominieren, sind auch Arbeiten auf Papier zu entdecken. 58 Aquarelle (sowie sieben der Ölbilder) sind aus der Sammlung "Rheingold" - eine Privatsammlung sechs deutscher Sammler - der Albertina anlässlich dieser Ausstellung als unbefristete Dauerleihgabe übergeben.

So wie Georg Baselitz viele Motive auf den Kopf gestellt habe, so seien auch die skizzenhaft schnellen Zeichnungen (meist Tusche) nicht - wie sonst üblich - Vorarbeiten zu den Ölbildern, erläuterte Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder. Vielmehr seien sie nach den Gemälden entstanden, so dass auch für sie das "Prinzip der Umkehr" gelte."Baselitz - Remix", bis 24. April, Information: www.albertina.at.