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Hauptausgabe vom 07.01.2005 - Seite 019
Naturkatastrophen in der Kunst

Das Thema "Naturkatastrophen" war bei bildenden Künstlern vergangener Epochen en vogue. Während sich die Maler früher häufig mit solchen Inhalten auseinander setzten, spielen sie bei Zeitgenossen heute kaum noch eine Rolle.

VON IRENE JUDMAYER

Vulkanausbrüche, Erdbeben, Lawinenabgänge, Vermurungen. Gigantische Wellen, die große Segelschiffe zu Kleinholz zerlegen.: Die Themen hatten vor allem in der Zeit von 1750 bis ca. 1920 Hochsaison. Die Abbildung der Natur war damals noch das Kernthema in der bildenden Kunst.

So kaufte auch das oberösterreichische Landesmuseum auf Anregung seines Gründers, des Schriftstellers Adalbert Stifter, im Jahr 1855 den "Schiffbruch an der Insel Capraja". Das aufgewühlte Meer, die hilflos der Urgewalt Wasser ausgelieferten Menschen, die farblich zwingend akzentuierte Stimmung: Die Bedrohung ist hier unmittelbar, ist direkt zu spüren.

Stifter wollte mit derartigen Ankäufen übrigens die "Erbauung und Bildung des oberösterreichischen Bürgertums" unterstützen.

Während der Berichterstattung zur Flutkatastrophe in Südostasien erschien jetzt ein weiteres historisches Bild häufig auf den Internet-Seiten: "Die große Welle" ("Tsunami") aus der weltberühmten Serie "36 Ansichten des Berges Fuji" vom japanischen Farbholzschnitt-Virtuosen Katsushika Hokusai (1760-1849).

Macht der Elemente

Ein historisches Bild, wie gesagt, denn seit dem 20. Jahrhundert hat das unvorstellbare Elend in Krieg und in den Vernichtungslagern einen stärkeren Impuls auf Künstler ausgeübt als Fluten oder Erdbeben. "Das durch den Menschen verursachte Leid hat Naturkatastrophen den Rang abgelaufen", sagt die deutsche Kunsthistorikern Freya Strecker in einem dpa-Interview: "Vor der Industrialisierung war der Mensch der Natur ausgeliefert, etwas Schlimmeres als eine Naturkatastrophe erschien nicht denkbar."

Damals ging es darum, die gewaltige Macht der Elemente darzustellen. Einige der beeindruckendsten Bilder von Naturkatastrophen gelangen Künstlern wie William Turner (1775-1851) oder Théodore Géricault (1791-1824) mit ihren Sintflut-Darstellungen.

Das seit dem 16. Jahrhundert bei niederländischen Künstlern beliebte Schiffbruch-Motiv ist Anfang des 20. Jahrhunderts wieder aufgenommen worden, unter anderem von expressionistischen Künstlern wie Max Beckmann (1884-1950).

Um eine vermeintliche "Grausamkeit der Natur" ging es bei ihnen aber ebensowenig wie bei den religiösen Darstellungen in Mittelalter, Renaissance oder Barock.

Kollektives Gedächtnis

Michelangelos Sintflut-Deckenfresko in der sixtinischen Kapelle veranschaulicht - wie viele Gemälde seiner Kollegen - das Thema Schuld und Sühne. Das Leid des Menschen wird als Folge der Bestrafung durch einen gerechten Gott dargestellt. Die Sündigen stehen im Vordergrund, die Naturkatastrophe bildet die Kulisse.

Vereinzelte moderne Künstler haben zwar auch das Thema Naturkatastrophen aufgegriffen. Etwa Emil Nolde (1867-1956) in seinem Werk "Die Welle". Bei den meisten anderen Zeitgenossen treten jedoch andere Leiderfahrungen in den Vordergrund. So geht es in den Guernica-Bildern von Pablo Picasso um Krieg, in vielen Plastiken Alfred Hrdlickas um den Horror in Konzentrationslagern.

Ein Grund für die Abwendung vom Thema Naturkatastrophen ist auch in Streckers Einschätzung der Wandel in der Funktion der Bilder seit Erfindung der Fotografie.

"Medien bringen uns heute eine Quasi-Wirklichkeit ins Wohnzimmer, da wollen Künstler nicht mehr abbilden, sie wollen verarbeitete Eindrücke anbieten. Trotz einer steigenden Häufigkeit von großen Naturkatastrophen wird die Umwelt in der Kunst der vergangenen 30 Jahre noch als schützenswert und nicht etwa als feindlich interpretiert."

Seit elf Tagen brennt sich der japanische Begriff "Tsunami" in das kollektive Gedächtnis unserer Welt. Möglicherweise auch als Impuls im inhaltlichen Repertoire zeitgenössischer bildender Künstler.

Erster Ankauf des oö. Landesmuseums 1855: Die zerstörerische Gewalt des Wassers malte damals Hermann Mevius. Foto: oö.Landesmuseum


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