text breit  text schmal  
drucken 
Bilder keine Bilder

derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst | Ars Electronica 2004 
27. August 2004
11:34 MESZ
Von
Markus Mittringer

 
Foto: Chris Landreth
Die Goldene Nica für Computeranimation: "Ryan", die wahre Geschichte des Pioniers der Computerkunst, Ryan Larkin.

Zurückblicken, Zukunft schreiben
Die Linzer Ars Electronica feiert Jubiläum und erinnert sich: "Timeshift" heißt das diesjährige Festival

Neben dem Rückblick wuchern die Visionen: Wie wird Linz wohl 2009, 2014 oder gar 2029 aussehen? Alle sind aufgefordert mitzufantasieren.


Linz - Der Code ist ein Vieles. Das lässt sich auch 2004 mit aller Bestimmtheit sagen. Die Language of Our Time - Das Ars-Electronica-Motto 2003 - sorgt auch heuer noch für ebenso viel Klärendes wie Verwirrendes. Auch abseits des sommerlichen Rechtschreibgeplänkels.

Immer noch werden Codes befragt, als Gesetz, als Kunst, als Leben definiert, seine Bedeutung für das Sozial- und Kulturleben, für Kommunikation und Kreativität - je nachdem - unterstrichen oder dementiert. Die Sprache(n) - als Code zwischenmenschlichen Austauschens - hat uns zu kollektivem Wissen (Fortschritt!) und Besitz geführt, jedes soziale Handeln ist geprägt von Regeln und Prinzipien - von Moral. Um diese zu umgehen und etwa Krieg zu führen, verwendet man ebenfalls Codes (um seine wahre Absicht zu verschleiern). Ein Code lässt teilhaben, genauso wie er vorenthält. In Form verschiedenster Programmiersprachen regelt er, als dunkles Geheimnis hinter deppensicheren grafischen Benutzeroberflächen, unser Alltags-wie Berufsleben, weil er Computer erst richtig laufen lässt.

Der kürzestmögliche Rückblick zum Jubiläum zeigt: alles beim Alten. Und auf Next Sex (das Motto des Festvals 2000) warten auch noch viele. Und merken dabei gar nicht, um wie viele Grade die virtuellen Intimpartner von Verkehr zu Verkehr zumindest optisch lebensechter werden, um wie viel weniger der Livestream aus der Strip-Bar ruckelt.

Frage: Wer, außer James Bond, bediente in den Anfangsjahren des Festivals ein Handy? Wer alles konnte gleich zu Beginn 1979 einen PC sein Eigen nennen? Wie viele Betriebssysteme mussten wir erlernen, bis wir mit Apples grafischer Benutzeroberfläche schon dachten, am Zenit des Machbaren angekommen zu sein?

Beschleunigung

Und was alles kam dann noch vor Wireless Lan? Und: Wie viel an Computerschrott liegt in unser aller Abstellräume herum, wie viel mehr wird der Müll wohl noch werden? Und lässt sich die Generationsfolge der Geräte noch weiter beschleunigen, ohne das die Maschinen schon auf dem Vertriebsweg alt aussehen? Was haben wir aus all dem gelernt? Haben wir aus all dem etwas gelernt? Wenn ja, wofür nützen wir das Wissen?

Vor wenigen Jahren noch sorgte ein Sperm Race am Linzer Hauptplatz für Aufregung. Im Moment wird angedacht, Spermien quotenträchtig im Fernsehen um die Wette laufen zu lassen - um erste Preise für die potentesten der Spenderkandidaten zu vergeben und live Häme über die Verlierer auszugießen.

Kann Kunst überhaupt noch Kritik formulieren, ehe ihre Ideen affirmiert, ihr kritisches Potenzial kommerzorientiert ausgeschlachtet wird? Können Ironie oder Zynismus noch zum Einsatz kommen, ohne vorweg von den Obszönitäten der Realität eingeholt zu werden?

Fixe Größen

Aber schließlich gibt es ja immer noch die Klangwolke. Und die gute alte Pyrotechnik krönt auch heute noch jedes bessere Event. Das beruhigt, in Nächten, in denen Digital Dreams und Virtual Worlds (Festival 1990) längst zu Alltag gehören, und daher ständig Gefahr laufen, der Langeweile anheim zu fallen.

An den Zustand Out of Control (Ars 1991) ist man mittlerweile ebenso gewöhnt, wie der tagesaktuelle Stand der Produktion von Artificial Life (1993) Einzug in die Chronikspalten des Boulevards gefunden hat. Die Grundlagen der Chaostheorie gehören zur Allgemeinbildung, Info-War (1998) ist auch schon wieder konventionelle Kriegsführung. Und LiveScience (1999) lächelt aus jedem Supermarktregal. Biotechnologie und Genetic Engineering haben in vielen Anwendungsbereichen die ersten Entwicklungskosten längst mehr als eingespielt.

Und die Zukunft? Warum sollte man ihr nicht weiterhin so wie bisher anlässlich der Ars Electronica begegnen können? Sie muss sich ja nicht immer hoch komplex vorstellen. Jedenfalls öffnet Timeshift die Ars-Electronica-Archive nicht, um innezuhalten. Ausruhen, das ist heutzutage allgemein als Gesetz anerkannt, ist ganz schlecht. Es wird weiter geforscht, vernetzt, etabliert, zum Standard erhoben, verworfen, ein- und ausgesteckt, monopolisiert und demokratisiert und dehierarchisiert werden. Und auch weiterhin werden Ideen, die anlässlich der Ars an den Donaupark kamen, die Stadt prägen - ob in Low- oder Hightech verkleidet.

Für Schöne Grüße aus Linz 2009 existiert ja schon ein Plan. Europäische Kulturhauptstadt will man dann sein und als solche "die Funktion eines kulturellen Zukunftslabors für Europa" übernehmen. Man sieht: Selbst die Amtssprache ist Ars-Electronica-geprägt.

Linz schreibt Zukunft verkündet heuer die Ars, was nur heißen kann, den Hauptplatz erneut zum Aktions- und Kommunikationsraum umzufunktionieren. Damit auch wirklich alle etwas vom Festival haben. Auch die, die weder ins neue Museum Lentos pilgern, um eine Retrospektive der Avantgarde mit Technologiehintergrund zu betrachten, noch im Offenen Kulturhaus die Installationen der Preisträger der CyberArts 2004 erproben werden. Am Hauptplatz sind selbstverständlich alle Medien zugelassen, und jeder ist aufgefordert, den visionären Stadtplaner zu geben. Als Vorlage dient eine offizielle Postkartenserie: Sie zeigt die Landstraße als überdachte Shoppingmall mit Shanghai-Charakter, oder den Neuen Dom umwaldet von üppig wuchernden Palmen.

Das Linzer Donauufer mit Skyline dürfte Vision bleiben. Schließlich wurde erst vor kurzem beschlossen, das geplante neue Landestheater aus der Kulturmeile am Fluss auszunehmen. Schade.

Vielleicht werden dafür aber 2024 UFO-artige Wohnscheiben über der Pestsäule schweben. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19. 8. 2004)


© 2004 derStandard.at - Alle Rechte vorbehalten.
Nutzung ausschließlich für den privaten Eigenbedarf. Eine Weiterverwendung und Reproduktion über den persönlichen Gebrauch hinaus ist nicht gestattet.