Manga-Figur als Kunstpersönlichkeit

Gemeinsam mit dem Künstlerkollegen Phillipe Parreno hat Pierre Huyghe die Rechte an der Mangafigur Ann Lee erworben, die nun von verschiedenen Künstlern in völlig anderen Kontexten verwendet wird.


Der allgemeine Titel für dieses Projekt ist "No Ghost just a Shell". Die Mangafigur wird an Buch- und Comicverlage, Produzenten von Zeichentrickfilmen, Hersteller von Videofilmen und Werbefirmen verkauft. Der Preis des Protagonisten hängt von seinem narrativen Potential ab. Je weiter die Person entwickelt ist, je mehr Möglichkeiten in ihnen stecken und je ausgefeilter ihre grafische Präsentation ist, desto teuerer ist sie.


Billige Nebenrollen

Doch beim größten Teil dieser Figuren handelt es sich um Nebenrollen, die in einem Film auftauchen und dann wieder verschwinden. Die beiden Künstler haben praktisch aus einem Katalog die Rechte für eine billige Figur erworben. Sie wurde aus dem kommerziellen Distributionswegen herausgenommen und ihrer Funktion für Unterhaltung zu sorgen enthoben. "Diese Figur ist ein leeres Zeichen, ist nichts, solange sie nicht Geschichten belebt", meint Huyghe.

Bespielbares Ikon

Ann Lee wurde für die Künstlergruppe zum Werkzeug, das man sich aneignen kann und nun von verschiedenen Autoren bespielt wird. Dominique Gonzales-Foerster, Liam Gillick, Pierre Joseph, Rirkit Tiravanija, Francois Curlet, Melik Ohanian und Joe Scanlan haben mit dieser Figur gearbeitet. So ist aus Ann Lee ein aktives Zeichen geworden.

Episoden

Im November 2002 sind im MOMA in San Francisco zehn Episoden mit Ann Lee zu sehen. Dazu wird ein Buch erscheinen, das die Frage nach Urheber- und Autorenrechten behandelte. Das Projekt "No Ghost Just a Shell" ist somit eine Ausstellung, die sich in der Zeit und in verschiedenen Kontexten bewegt. Ein und dasselbe Bild wird von verschiedenen Künstlern verwendet - eine Multiplizierung des selben Zeichens als eine Form von Differenz".

Verschiedene Wahrnehmungen

Videoinstallation,
Videoinstallation, "The Third Memory", 1999

Wie sehr sich Pierre Huyghe mit Fragen nach Zeit und Raum und dem Schaffen von Erinnerungsräume beschäftigt zeigt auch eine Arbeit aus dem Jahr 1999. Das Video "The Third Memory" basiert auf einem 1972 in Brooklyn verübten Banküberfall, der live im Fernsehen übertragen wurde. 1975 diente der Bankraub Sidney Lumet als Grundlage für den Hollywood-Film "Dog Day Afternoon" mit Al Pacino in der Hauptrolle. Pierre Huyghe hat den Bankräuber, John Wojtowicz, eingeladen, um seine Erinnerungen an die fast 30 Jahre zurückliegenden Ereignisse zu inszenieren. Auf diese Weise erzeugt er eine weitere Version der Geschichte, eine "Dritte Erinnerung", in die er auch Aufnahmen aus dem Spielfilm und Live-Auftritte von Wojtowicz einbezieht.

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