08.09.2003 19:50
Im strengen Eigensinn des Sammlers
Das Kunstforum der Bank Austria zeigt eine Schweizer Familie "Im Bann der
Moderne" - Foto
Vater und Sohn, Karl und Jürg im Obersteg, haben einen sehr
subjektiven Parcours durchs letzte Jahrhundert unternommen. Die Sammlung ist bis
heute kaum bekannt.
Wien - 1916, als Sammler üblicherweise noch keine Kuratoren im Rücken
hatten, Kunstconsulter noch keine Sammlungskonzepte nach Maß schneiderten und
Unternehmenskultur sich eher subjektiv mäzenatisch denn auf Gegenleistung und
gute Optik bedacht ausdrückte, kaufte Karl im Obersteg - Basler Spediteur - sein
erstes Bild: ein Nelkenbukket des Schweizers Cuno Amiet.
Was genau ihn
dazu bewog, Kunst zu sammeln, ist nicht bekannt, wohl aber, dass sich aus diesem
Initialkauf eine Freundschaft zu Amiet entwickelte, über die hinaus private
Kontakte zu anderen Künstlern, eine nebenberufliche Vorstandsfunktion im Basler
Kunstverein und schließlich - bis zu Karl im Oberstegs Tod, 1969 - eine
beachtliche Kunstsammlung mit bedeutenden Werken des zwanzigsten Jahrhunderts
entstanden.
Und: eine Familienleidenschaft. Karls Sohn Jürg führte,
gemeinsam mit Frau Doris, die Sammlung weiter, ergänzte und kontrastierte das
Konvolut seines Vaters. 1975 wurde die Sammlung im Kunstmuseum Bern erstmals
öffentlich präsentiert. Zwischen 1995 und 2002 war sie - inzwischen als Stiftung
organisiert - zumindest in den Sommermonaten am Wichterheergut am Thunersee zu
besichtigen. Bevor die Sammlung der Familie Karl und Jürg im Obersteg Anfang
2004 endgültig im Kunstmuseum Basel aufgeht, ist eine repräsentative Auswahl -
erst- und letztmals außerhalb der Schweiz - in Wien zu sehen. Das Kunstforum der
Bank Austria zeigt Im Bann der Moderne.
Und wirbt mit Picasso, Chagall
und Jawlensky. In der Tat sind unter den rund 80 Gemälden, Papierarbeiten und
Skulpturen auch Picassos, Chagalls und Jawlenskys. Recht ordentliche sogar: Aus
Pablo Picassos erster Zeit des Haderns mit dem Leben in Paris - seiner Blauen
Periode - eine schon recht fortgeschritten weltabgewandte Absinthtrinkerin; ein
Selbstbildnis Marc Chagalls aus 1914 und die zeitgleich entstandenen, aus dem
Gesamtoeuvre herausragenden Darstellungen Jude in Grün, Jude in Rot, Jude in
Schwarz-Weiß.
Die 20 Arbeiten Alexej Jawlenskys belegen anschaulich
dessen Entwicklung vom akademisch geprägten, expressiven Landschaftsmaler über
die - entscheidenden - Selbstporträts hin zu den abstrakten Köpfen und deren
weiterer Auflösung in den Meditationen. Dass eine private Sammlung aber mehr zu
bieten hat als das Nebeneinander längst abgesicherter Werte - neben den
erwähnten auch Bilder von Modigliani und Cézanne und Kleinplastiken von Auguste
Rodin und Aristide Maillol -, bestimmt die eigentliche Qualität dieser
Präsentation.
Karl im Obersteg hat nach dem Beginn mit dem eher regional
bedeutenden Cuno Amiet und seinem Engagement für die später großen Namen auch
Außenseiter gesammelt. Vor allem die Werkgruppe des nach wie vor viel zu wenig
geschätzten Chaim Soutine - der die Abstrakten Expressionisten Amerikas, etwa
Willem de Kooning, stark beeinflusste - ist alleine den Besuch wert.
Und
der Nachvollzug der Sammelspur, die Karl zog: Sie reicht bis Jean Dubuffet und
Antonio Tàpies. Mit seinem Sohn Jürg teilte er noch die eigenwillige Zuneigung
zum Nachkriegs-Modephänomen Bernard Buffet. Jürg wiederum setzte mit Louis
Soutters (1937/42), vor allem aber mit Alexander Rodtschenko und Theo van
Doesburg "intellektuelle" Kontrapunkte zur Bauchwelt des Vaters. (DER STANDARD;
Printausgabe, 05.09.2003)