Kultur/Medien | 24.08.01 | www.DiePresse.at
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Sowjet-Avantgarde - gepriesen, doch bald geschmäht, bedroht

Kasimir Malewitsch, dem Erfinder des Suprematismus und führenden Vertreter der russischen Avantgarde, widmet das Wiener Kunstforum im Herbst eine große Ausstellung in Kooperation mit der "Presse".

Ein attraktiver Mann, mit klaren Zügen, nachdenklichen, forschenden Augen, sinnlichen Lippen. 23 Jahre liegen zwischen den beiden Selbstporträts, das eine zeigt den früh Arrivierten, kühl, souverän, im anderen sind die Falten vertieft wie das Grüblerische in den Augen. Die Totenmaske schließlich offenbart den Endfünfziger als abgezehrten, dramatisch erloschenen Greis.
Kasimir Malewitsch (1878 bis 1935) setzte die Ideale der russischen Revolution in Bilder um. Der neuen Zeit entwarf er Menschen, Städte, Gebrauchsgegenstände. Manche seiner gesichtslosen Figuren kehren dem Betrachter den Rücken und schauen in hoffnungsvolle Ferne. Statt des neuen Tages kam eine neue Nacht und in dieser versank auch Kasimir Malewitsch.
Vor allem westlicher Forschung ist es zu verdanken, daß er nicht vergessen wurde. In Rußland war er lange persona non grata, "eigentlich bis zu Glasnost", sagt Ingried Brugger, Direktorin des Kunstforum der Bank Austria und Kuratorin der kommenden Malewitsch-Ausstellung.

Stilbruch Suprematismus

In 120 Arbeiten werden alle Schaffensphasen des Künstlers beleuchtet. "Die russischen Avantgardisten gingen Hand in Hand mit der Oktober-Revolution, auf 1917 zu", erzählt Brugger der "Presse": "Der Suprematismus bricht mit allen Traditionen. Aber die sowjetische Kulturpolitik hat ziemlich schnell einen anderen Kunstgeschmack ausgebildet, und da ist der Suprematismus nicht mehr hoffähig, weil das abstrakte, vergeistigte Konzept dem Agitprop widersprochen hat. Man suchte nach der realistischen Darstellung, weil man damit besser politische Inhalte transportieren kann. Malewitsch erlebte in diesem Umfeld einen tiefen Fall. Er war unglaublich anerkannt, der Führer der Avantgarde, kulturpolitisch einflußreich, ein gefragter Lehrer, hoch dekoriert. Und auf einmal mußte er erleben, wie das, wofür er mit seiner Kunst und allem gekämpft hat, umkippt und er auf einmal nicht mehr ankommt. Er wird sogar als Dissident verdächtigt. Er ist jenseits der vierzig, kann nicht einfach neu beginnen. Aber er versucht es. Er bekommt die Zusage, noch einmal eine große Ausstellung in der Tretjakow-Galerie zu machen und er beginnt naturalistischer zu malen, gibt das suprematistische Konzept auf, geht zurück in den Neo-Impressionismus."
"Unter dem Druck der Verhältnisse macht er Bilder, von denen er denkt, sie werden geschätzt von der Politik und dem offiziellen Kunstgeschmack", erzählt Brugger weiter: "Malewitsch hofft, daß er sich so sein Überleben sichert. Freilich sind diese Bilder nicht Abklatsch seiner frühen impressionistischen Phase, sondern sie operieren mit subtilen Kompositionskonzepten und sind auf sehr hohem Niveau."

Spätwerk neu bewertet

Gleichzeitig verfolgt Malewitsch aber weiter sein suprematistisches Konzept und vermischt es mit Figurenbildern. Die Bilder datiert er vor, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, er handle gegen die Vorgaben des Regimes. Da gibt es zum Beispiel Die rote Kavallerie, ein spätes Werk, auf 1918 vordatiert. Diese Bilder sind Ikonen des Malverbots."
Nach dem Sturz aus dem Olymp zog sich Malewitsch zurück, probierte aber immer wieder öffentliche Aufträge zu bekommen. Im Russischen Museum wurde ihm schließlich ein "Labor" eingerichtet, wo er arbeiten konnte bis zu seiner Krebserkrankung: "Darum hat das Russische Museum auch den Nachlaß bekommen." Was will das Kunstforum mit der Ausstellung zeigen? "Den höchst modernen Stilpluralismus Malewitschs. Er hat alles ausprobiert, suprematistische Bilder sind gleichzeitig mit impressionistischen entstanden. Man hat sich ja lange nicht an das spätere Werk herangewagt, weil es nicht diskussionsfähig gewesen ist. In Wahrheit war Malewitsch einer der ersten, die bewußt einen Stilpluralismus im Sinne des postmodernen Diskurses entwickelt haben. Es gibt nicht nur das Regressive, um der Konvention zu gehorchen, sondern es gibt parallel dazu das Spielen mit allen Formen, die er je entwickelt hat - als bewußte Entscheidung."

Schwitters, Attersee

"Die Malerei löst sich vom Stil, das werden wir mit Reihen ein und desselben Sujets dokumentieren", so Brugger.
Wie geht's dem Kunstforum sonst? "Hervorragend." Man hört von Einbrüchen der Besucherzahlen: "Wir haben in guten Jahren 320.000 bis 360.000 Besucher, das werden wir auch heuer erreichen. 2000 war ein extremes Jahr mit Cézanne und Picasso, da hatten wir 530.000 Besucher", sagt Brugger. Das Programm des nächsten Jahres: Eine Schau über Kurt Schwitters, wobei dokumentiert werden soll, wie weit der deutsche Maler, Bildhauer, Bühnenkünstler, Dichter die zeitgenössische österreichische Kunst beeinflußte: etwa Raoul Hausmann, Rühm, Oberhuber, Dieter Roth oder Attersee.
Weitere Projekte gelten Nolde in der Südsee, dem Impressionismus in Rußland und Amerika, wobei auch französische Spitzenwerke zu sehen sein werden. Der Futurismus ist ein weiteres Ausstellungsthema, Roy Lichtenstein, Karel Appel und Attersee (2004) sind Personalen gewidmet. Brugger selbst will eine Ausstellung über Weihnachten als Symbol der Idylle und Entfremdung in der bildenden Kunst betreuen sowie eine Schau über Künstlerpaare. Im nächsten Sommer wird das Kunstforum umgebaut und für Veranstaltungen im Souterrain erweitert. Malewitsch im Kunstforum, 5. September bis 2. Dezember 2001.

© Die Presse | Wien
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