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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst | Documenta 11 
05.06.2002
19:27 MEZ
Bewältigungen von Vergangenheit
Am Samstag startet die "documenta 11"

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Wien/Kassel - Armin Bodes documenta 1 von 1955 in Kassel stand unter einem deutlichen Vorzeichen: Vergangenheitsbewältigung. Bode wählte 148 Künstler aus sechs Ländern aus, um zu demonstrieren, was jenseits der Schamhaarästhetik der Nazis an Kunst produziert wurde. Etwa die Hälfte der 58 vertretenen deutschen Künstler waren der deutschen Bevölkerung als "entartet" bekannt.

Ihre Arbeiten wurden in den Jahren zuvor, ohne großen Widerspruch zwecks Nazikulturpropaganda, missbraucht. Und deren Schöpfer mussten flüchten oder wurden ermordet. Unter denen, die blieben, erstickten nicht wenige an den Folgen der inneren Emigration. Zugleich war Bodes erste "Internationale Ausstellung" ein Nachhol- und Anschlussprogramm. Die ersten hundert Tage Kassel simulierten, wofür erst später Willen und Geld da waren: Museen moderner Kunst in Deutschland.

Aktives Sehen

Mit Harald Szeemanns documenta 5. Befragung der Realität - Bildwelten heute von 1972 endete der passive Unterricht. Es war die erste programmatische Schau. Szeemann unterwies die Besucher zum einen im aktiven "Sehen", erweiterte weiters die Palette dessen, was Kunst sein kann - auch das Triviale, das Zustandsgebundene, der politische Akt -, und etablierte zugleich das heute schon mit hohen Raten an Arbeitslosigkeit geschlagene Berufsbild "Kurator".

Joseph Beuys schlug sich im Boxkampf für direkte Demokratie, James Lee Byars führte die Selbstdarstellung ins deutsche Großkunstverständnis ein, Riesenstrümpfe Geisteskranker aus dem Waldau Museum öffneten neue Kunstwelten.

Der Boxer Jan Hoet zelebrierte 1992 noch einmal die goldenen 80er, erweiterte allem voran den Marketingbegriff, um aller Welt zu zeigen, wie er sie sah. Nach dem belgischen Master of Ceremonies ging Catherine David zum Jubiläum 1997 daran, Begriffe zu klären, zu untersuchen, ob und wo im mittlerweile gar nicht mehr so fröhlichen pluralistischen Chaos noch Strategien, noch Haltungen zu finden wären. Ein Blick zurück nach vorne, eine "Retroperspektive" war angesagt. Die hundert Tage begleiteten hundert Talkshows.

Mit Okwui Enwezor rückt ab 8. Juni wieder die Vergangenheitsbewältigung ins Zentrum; und ein Bild vom Künstler als souveränes, Markt und Moden gegenüber zumindest distanziertes und kritisches Wesen.

Der project space der Kunsthalle Wien am Karls-platz erläutert bis 28. Juni mit Materialien aus dem documenta-archiv und Vorträgen von "Veteranen" den Mythos um die Weltkunstschau: "Skandal und Mythos: ein neuer Blick auf die Documenta 5 (1972)".

Bei dumont ist heuer das Buch documenta - Die Überschau erschienen, um einen Rückblick auf "fünf Jahrzehnte Weltkunstausstellung in Stichwörtern" zu geben. (Markus Mittringer/DER STANDARD, Printausgabe, 6.6.2002)


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