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derStandard.at | derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
19. November 2008
18:43 MEZ


Der Meister und sein gelehriger Schüler: Christian Ludwig Attersee und Tomak unterhalten sich über den verkehrt auf den Menschenkörper gesetzten Hirschkopf.


Pinselschrift und Farbkunst
"Wir wissen noch nicht alles - Zeuszungen, Jesuskästen und mehr" von Christian Ludwig Attersee

Seinen jüngsten Zyklus zeigt bis 17. Jänner die Wiener Galerie Heike Curtze, Seilerstätte 15.

Leicht schimmern Farbschattierungen durch, ein blasses Gelb, ein himmlisches Blau, ein lustfarbenes Rot. Durchgesichtet und aufgeschichtet, erzählen sie, tektonischen Faltungen gleich, von anderen Epochen, anderen Bildern, anderen Gedanken, anderen Welten. Genau das macht der Maler Christian Ludwig Attersee: auf einem Blatt Papier die Welt erschaffen, jedes Mal neu, jedes Mal anders.

"Ich habe meine Handschrift und werde sie nicht verlassen. Aber ich versuche immer wieder, die Symbole in eine andere Wertung zu bringen. Die Bibel, in einem Satz zusammengefasst, würde wohl lauten, dass der Sinn des Lebens der Schmerz ist. Ich versuche, den Sinn des Lebens anders zu definieren."

In seinem typischen Attersee-Vokabular und mit dem gewissen Attersee-Strich werden Objekte transformiert, umdefiniert, erscheinen in neuen Farben, veränderten Formen. "Bäume werden zu Vögeln, Steine verwandeln sich in Flöhe, Orangen werden zu Schiffen. Und das Meer kann im Himmel schweben wie Wolken in der Form von Frauenbrüsten", beschreibt der niederländische Museumsmann Rudi Fuchs, der als Leiter der Documenta VI Christian Ludwig Attersee 1977 in Kassel ausgestellt hatte: "Die Oberfläche der Leinwand gleicht einer kleinen Bühne. Sehr oft fließen auch die Farben des Bildes auf den Rahmen über. Damit wird er in den Vorgang einbezogen, der den Raum bestimmt."

Auch der Kunsthistoriker Otmar Rychlik hat sich mit Attersees Pinselschrift und Farbkunst beschäftigt: "Es handelt sich keineswegs um einen koloristischen Einsatz der Farbe, um eine Höhung der zeichnerischen Wirkungen, sondern um eine Selbstbezogenheit, die sie mit malerischen Aspekten teilt. Alles kann jede Farbe annehmen, aber auch abgeben."

Seit fast 20 Jahren leitet Attersee die Meisterklasse für Malerei, Tapisserie und Animationsfilm an der Universität für angewandte Kunst, versteht sich - auch - als hilfreicher Kontaktmann zwischen universitärem Elfenbeinturm und kunstmarkttauglicher Realität. Tomak, einer seiner ehemaligen Schüler, hat soeben in der Galerie Curtze ausgestellt, einen Zirkus Tomak dort, wo jetzt der jüngste Attersee-Zyklus gezeigt wird: Wir wissen noch nicht alles - Zeuszungen, Jesuskästen und mehr, entstaen in den letzten zwei Jahren.

Nun sitzen der große Meister und sein gelehriger Schüler in Attersees Wiener Atelier, beschäftigt mit einer einzigen Frage: Wie sieht ein Maler die Malerei? "Man muss wissen: Kunst wurde in erster Linie immer nur für Künstler gemacht. Wer mitnaschen darf, ist der eingebundene Betrachter. Aber der Wettkampf ist immer derselbe: Künstler gegen Künstler, Künstlergruppe gegen Künstlergruppe."

Zerfall religiöser Inhalte

"Das ist für mich der Punkt: wo ich als Erstes hinschaue als Maler", sucht sich Tomak seinen Weg durch die Atter-Welt aus Farbe und Form: "Zumindest sieht ein Maler: Wie hat er die Farbe aufgetragen, das kippende Blau zum Beispiel. Das macht die Qualität eines Bildes aus." Ja, und das sage er jetzt einmal so salopp, sehr beeindruckt sei er von den Hirschbildern. Den verkehrt auf den Menschenkörper gesetzten Hirschkopf sehe er als besonders gewagt. Attersee habe da zu einer neuen, ungewöhnlichen Ausdrucksform gefunden.

"Als Erstes gibt es die Farbe. Aus der Farbe kommt die Nachricht", sagt Attersee. "Die Malerei fordert auf zur Erzählungsjagd." Etwa das Bild "Schachfeuchte": Quadrat, Kreis, zwei gebogene Kreuze in Wurstform, "die ganze Welt der Malerei in einfachster Weise. Quadrat und Kreis als Hauptformen der Malerei und dann die ganze Glaubensgeschichte. Das Kreuz wird bei mir immer weich und deformiert dargestellt: So kann ich Schwäche und Zerfall sogenannter religiöser Inhalten zeigen, die mich ein Leben lang nicht nur beschäftigt, sondern auch belästigt haben. Ich wehre mich gegen Unterdrückung und Einschränkung durch politische oder religiöse Dogmen und habe das auch immer in meiner Malerei und in meiner Haltung deutlich gemacht." (Andrea Schurian / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.11.2008)

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