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Das Kind im Künstler

Oswald Oberhuber ist einer der maßgeblichen österreichischen Künstler des 20. Jahrhunderts. Vor lauter Prozessen, Ämtern und Selbstironie fiel das bisher kaum wem auf. Ein Porträt anlässlich des 75. Geburtstags und einer Ausstellung in der Secession.
 
Falter 05/2006 vom 1.2.2006
Ressort Kultur > Kunst
Autor Matthias Dusini

Infobox „Die Klimts sind viel zu teuer“

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Secession Wien

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Was ein Sekkierer ist, das weiß Oswald Oberhuber mit lexikalischer Genauigkeit: „Das ist jemand, der nicht aufhört, einen anderen zu bearbeiten, um etwas zu erreichen.“ Vor fünf Jahren hätte Oberhuber bei dieser Frage wohl nicht geschmunzelt. Da verlor er nach siebenjähriger Verhandlung den Prozess gegen den von ihm als „Sekkierer“ bezeichneten Galeristen Julius Hummel, der als Beweis für die Echtheit von Werken des deutschen Künstlers Joseph Beuys einen Brief Oberhubers vorgelegt hatte. Oberhuber bestritt die Gültigkeit des Dokuments mit der Begründung, Hummel habe ihn dazu gedrängt, was ihm das Gericht nicht glauben wollte.

Es war eine bittere Niederlage für den Exrektor der Angewandten; allein die Anwaltskosten betrugen rund 100.000 Euro. Im selben Jahr wurde der damals Siebzigjährige wegen Untreue zu einem Jahr bedingter Haft verurteilt, weil er etwa 400.000 Euro Stipendiengelder aus der Stiftung Adlmüller entnommen hatte und deren Verwendung für eine Ausstellung nicht nachweisen konnte. Damit brach eine der schillerndsten Karrieren der österreichischen Nachkriegskunst ab. Der von einem Schlaganfall geschwächte Künstler zog sich in seine Wohnung in der Praterstraße zurück, die Anfang der Siebzigerjahre die berühmteste Wohngemeinschaft des Landes beherbergt hatte – die Kommune des Aktionskünstlers Otto Mühl.

Jetzt ist Oberhuber wieder da. Die Secession zeigt einen Überblick auf dessen Werk: Zeichnungen, Skulpturen, Plakate, Gemälde, Installationen offenbaren ein vielgestaltiges Œuvre, das sich gegen die kunsthistorische Kategorisierung sträubt. Auf Jahres- und Titelangaben zu einzelnen Werken verzichtet der Künstler; die aus billigen Materialien gefertigten Skulpturen rückt er auf einem Podest so nah aneinander, dass sie zusammen wie ein Gerümpelhaufen wirken. Eine museale Präsentation wäre ihm „zu fad“ und den Eindruck einer Retrospektive möchte er erst recht vermeiden. „Es soll die Unmittelbarkeit eines Kindes dabei sein, etwas Spielerisches, das jünger ausschaut, wie zwanzig, fünfzehn oder sechs, und nicht wie ich, alter Sack, der ich bin.“

Mit 75 spielt Oberhuber das Kind, als Kind war er bereits ein Erwachsener. Die Bücher von Marquis de Sade holte er sich mit 14 aus der Bibliothek des Vaters, der in Innsbruck ein Kaffeehaus betrieb. In der Secession sind auch zwei amorphe Gipsskulpturen zu sehen, die Oberhuber nach eigenen Angaben mit 17 anfertigte. Damals lernte er am französischen Kulturinstitut die Pariser Moderne kennen, entdeckte in der französischen Buchhandlung den Dadaisten Marcel Duchamp. Wie jenem ging es Oberhuber konsequent um den Triumph der künstlerischen Idee über das konkrete Werk. „Ideendatierung“ nennt er das, was ein Albtraum für jeden Kunsthistoriker ist: die Datierung eines Werks nicht nach dem Zeitpunkt seines Entstehens, sondern nach dem Alter der Idee.

In der Secession zu sehen sind einige seiner Selbstporträts, die ausschauen wie Babygesichter. Oberhuber weiß, warum. In seinen Augen geht es in der Porträtmalerei immer um verhohlene Selbstdarstellungen. Und nachdem er einen kindlichen Rundschädel mit der Behaarung eines Neugeborenen hat, werden seine Porträts eben zu Babybildern. Das Kind steht außerdem für einen spielerischen Dilettantismus. „Jede fertige Auffassung ist nach Fertigstellung auf jeden Fall wieder falsch und sofort wieder in anderer Weise zu lösen“, schreibt Oberhuber 1969 auf eine Fotocollage, auf der er als Eingeborener mit Lendenschurz abgebildet ist.

Ein anderes Mal lässt er sich mit weißen Anstaltsgewändern abbilden und schreibt: „Ich bin ein Dieb!“ oder: „Es lebe die Betrugskunst.“ Der Künstler als Geisteskranker, Kind und Scharlatan – mit diesen Figuren hatte die Moderne die verlorene Position des handwerklich perfekten, an historischen Meisterwerken geschulten Akademiekünstlers nachbesetzt, als Provokation, aber auch als Bekenntnis zur Selbstmarginalisierung außerhalb der gesellschaftlichen Normen. Oberhuber beschritt diese von Surrealismus und Dadaismus gebahnten Wege der Kunstreflexion und bekannte sich gleichzeitig vehement zu einer in die Gegenwart mündenden Kunstgeschichte: „Kunst kann nur aus Kunst entstehen. Und wenn ein Künstler einen Baum malt, wird man immer sehen, von welchem anderen Künstler der Baum herkommt, und nicht, von welchem Baum.“

Einen Beweis dafür, wie ernst er die Kunst bei allem Augenzwinkern nimmt, lieferte er 1979 anlässlich einer Ausstellung in der Secession. Durch Vermittlung Oberhubers nahm auch sein Freund Joseph Beuys an einer Gruppenausstellung teil, deren eigentlicher Hit eine von Arnulf Rainer und Dieter Roth ausgeheckte Performance war: Ein Schimpanse sollte einen Raum ausmalen – ein ironischer Reflex auf das Klischee vom modernen Maler als Schmierer. Der Affe aber war von der fremden Umgebung so verängstigt, dass er nicht schmieren wollte. Als Rainer und Roth beim Mittagessen waren, kam Beuys in die Secession, nahm den Affen in den Arm und streichelte ihn. Ein zufällig anwesendes TV-Team nahm den deutschen Starkünstler beim Schmusen mit dem Affen auf. „Roth und Rainer haben sich irrsinnig geärgert, dass ihnen Beuys die Show stahl“, erinnert sich Oberhuber. Als der betrunkene Roth auf der Vernissage am Abend auf den zu Beuys’ Installation gehörenden Metallrinnen herumtrat, warf sich Oberhuber dazwischen: „Ich habe gebrüllt wie ein Löwe, dass er damit aufhört. Die anderen haben ja nur blöd gegrinst.“

Oberhuber wird 1931 im Südtiroler Meran geboren und erlebt dort das faschistische Schulsystem. 1940 zieht die Familie nach Innsbruck, als sich die Angehörigen der österreichischen Minderheit zwischen Süditalien und dem Deutschen Reich entscheiden müssen. Als einer der Ersten im Kulturbereich wird Oberhuber später die Zeit des Nationalsozialismus in Erinnerung rufen. In der von ihm nach dem Tod von Monsignore Otto Mauer 1973 geleiteten Galerie St. Stephan zeigt er das Werk verfemter Künstler der Moderne. Als Rektor der Angewandten initiiert er drei wesentliche Ausstellungen über die „Die Vertreibung des Geistigen aus Österreich“ (so der Titel einer der drei Ausstellungen). In der Aufarbeitung der Wiener Moderne leistete er Pionierarbeit jenseits von Klimt- und Schiele-Klischees.

Der wortgewaltige Prediger Otto Mauer, der die moderne Kunst nach 1945 gleichsam im Alleingang repatriierte, war ein Vorbild des Exministranten, die Galerie St. Stephan, die aus Rücksicht auf die Kirchenobrigkeit später Nächst St. Stephan genannt wurde, für ihn ein „Ersatzbereich für die Moderne.“ „Mauers wesentliches Verdienst liegt darin, jungen Künstlern einen Aufbruch ermöglicht zu haben“, urteilt Oberhuber, dem diese Qualität selbst von der jüngeren Generation attestiert wird. „Ohne Rücksicht auf eigene Interessen hat er sich immer für uns eingesetzt“, erinnert sich etwa Peter Kogler, der auf der Akademie der bildenden Künste studierte, aber mehr Zeit bei Veranstaltungen auf der Angewandten verbrachte, wo Oberhuber von 1979 bis 1987 und von 1991 bis 1995 Rektor war. Die Zeit des ersten Rektorats wird gemeinhin als „Ära Oberhuber“ bezeichnet, sorgte der als bunter Hund geltende Studienabbrecher doch für einen bis dahin einmaligen Modernisierungsschub.

Oberhubers augenzwinkernder Charme kam bei den Damen der Wiener Gesellschaft gut an, auch bei der sozialistischen Unterrichtsministerin Hertha Firnberg. „Neue Planstellen hat er sich mit Firnberg auf dem Opernball ertanzt“, erinnert sich eine Mitarbeiterin der Angewandten. Oberhuber setzte die mittlerweile zur Regel gewordenen zeitlich befristeten Professuren durch und holte große Namen an den Stubenring. So kamen der für seine improvisierten Exkurse bekannte Kunsttheoretiker Bazon Brock nach Wien, Joseph Beuys, die Modedesigner Karl Lagerfeld und Jil Sander. „Für jemand wie Lagerfeld, der ungeheure Beträge verdient, war so eine Professur ein Opfer. Er war großzügig, hat große Feste gemacht mit den Schülern und ihnen Posten verschafft. So gheat’s ja auch“, erinnert sich Oberhuber.

Ein Professor darf sich ebenso wenig aufs Lehren beschränken wie ein Künstler aufs Bildermalen: „Er soll auch in der Öffentlichkeit was tun, etwa ein Rektorat übernehmen, Ausstellungen machen, junge Künstler managen, schreiben. Das gehört zu den Voraussetzungen dafür, dass man Qualität schafft.“ Die Expansion des Künstlers zum 1-Mann- Kunstbetrieb wurde nicht von allen mit Wohlwollen beobachtet. Argwöhnisch verfolgten Kollegen wie Walter Pichler oder Arnulf Rainer, für die St. Stephan der Ersatz für Galerie, Kunsthalle und Museum war, Oberhubers Aufstieg von Mauers Ministranten zu dessen Nachfolger. Auch die mangelnde Anerkennung der Wiener Aktionisten wird von manchen dem politischen Einfluss Oberhubers angelastet. Gemeinsam mit dem späteren Wissenschaftsminister Erhard Busek, einem Schüler und Freund Otto Mauers und Vizeobmann des Vereins der Galerie St. Stephan, stellte Oberhuber die Weichen für wichtige museumspolitische Entscheidungen. Er machte sich für den Ankauf der Sammlung Leopold stark und plante am MuseumsQuartier mit. Der letzte Coup von Busek und Oberhuber misslang allerdings. Als 1990 ein neuer Direktor für das Museum moderner Kunst gesucht wurde, konnte Busek das seinem Freund gegebene Versprechen nicht wahr machen: Direktor wurde nicht Oberhuber, sondern der Ungar Loránd Hegyi.

Er hat auch dort mitgeredet, wo er nicht gefragt war“, erinnert sich ein Kurator an Oberhubers nicht immer willkommenen Beratungseifer. Als privater Sammler hatte dieser mehr Glück. So ersteigerte er etwa ein Bild des französischen Malers Francis Picabia (1879–1953) und nahm es zu Hause aus dem Rahmen. Sein Verdacht, dass Picabia wie gewöhnlich auch die Rückseite der Unterlage bemalt hatte, bestätigte sich. Oberhuber ließ das Bild spalten und gelangte so in den Besitz zweier Picabias.

In einem Alter, in dem andere Künstler milde lächelnd auf ihr Werk zurückblicken oder verbittert die mangelnde Anerkennung beklagen, kehrt Oberhuber nun zu jener Tätigkeit zurück, die er lange Zeit nur zwischen einem Telefonat und dem anderen ausübte – dem Kunstmachen. Vor allem ausländische Besucher kannten zwar Ossi, den Galerieleiter, Ausstellungsmacher und Rektor, nicht aber den Künstler.

Eine Skulptur Oberhubers ist nun in der Secession nach über dreißig Jahren zum ersten Mal wieder zu sehen. Es handelt sich um eine Kunst-am-Bau-Plastik, die Anfang der Siebzigerjahre vom Bundesland Tirol für das Innsbrucker Krankenhaus erworben wurde. Oberhubers Projektzeichnungen ließen auf eine abstrakte Röhrenskulptur schließen, nicht aber auf einen Haufen industriell gefertigter Entlüftungsrohre, die der Künstler schließlich montierte und die den Volkszorn erregten. Der Journalist Horst Christoph entdeckte 1973 die Rohre schließlich bei einem Installateur, wo sie von der Landesverwaltung klammheimlich entsorgt worden waren. Ein Künstlerprotest sorgte für eine Verlängerung des Skandals, wurde doch ruchbar, dass der Installateur nur 350 Euro für den Materialwert des um 17.000 Euro angekauften Kunstwerks gezahlt hatte. Die Skulptur sah damals auch der Teenager Peter Kogler, der dem Röhrenmotiv später sein künstlerisches Schaffen widmen sollte. Es ist nur ein weiterer Beleg für Oberhubers These von der Kunst als Ideenstrom, der sich weder durch Urheberangaben noch Datierungen begradigen lässt. In dieser Welt ist Oberhuber jedenfalls eines der wenigen Originale.

Oswald Oberhuber: „Der ewige Prozess der Geburt“. Bis 19.2. in der Secession. Information: www.secession.at

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